Wie Ölkonzerne den CO2-Fußabdruck erfanden
Es gibt kein richtiges Leben im Falschen, definierte der Philosoph Theodor Adorno. Kann in einem System, das falsch läuft, das Individuum richtig handeln? Adorno meinte in seiner Minima Moralia damit ein politisches System. Was er nicht unbedingt vorhersah, ist, dass auch Konzerne sich diese Maxime zu Herzen nehmen würden – um sie auf den Kopf zu stellen.
Als die Daten ab den 1980ern über den damals beginnenden Klimawandel immer deutlicher wurden, fingen Ölkonzerne nicht nur damit an, die wissenschaftlichen Fakten infrage zu stellen – sie versuchten auch durch Werbestrategien die Verantwortung für ein bewussteres Handeln mit Framing auf die Individuen abzuschieben. Ein Ergebnis dieser Kampagne nutzen wir alle immer noch: Das Konzept des CO2-Abdrucks.
„Was können Sie tun, um Ihren CO2-Fußabdruck zu reduzieren?“, diese Frage steht im Zentrum einer TV-Werbung im Auftrag des Ölkonzerns BP aus dem Jahr 2000. BP betreibt weltweit um die 18.700 Tankstellen und fördert Öl rund um den Globus, es ist der zweitgrößte private Ölkonzern der Erde. Die Botschaft war gesetzt: Nicht die Konzerne müssen sich anpassen oder gar Gesetze beschlossen werden – den einzelnen Personen obliegt es, das Klima zu retten. Ist man zu viel geflogen, hat man gar Fleisch gegessen? Das Abwälzen der Verantwortung hatte begonnen. 2003 wurde der nächste entsprechende Werbespot gelauncht – diesmal fragte man Menschen rund um den Erdball, wie hoch ihr persönlicher Fußabdruck ist – der Kampf gegen den Klimawandel als globales Problem der Einzelnen – wenn alle nur etwas beitragen würden, wäre die Welt gerettet, denkt nicht an rechtliche Intervention gegenüber den Konzernen, das ist die Message.
2004 ging es weiter – BP präsentierte einen CO2-Fußabdrucksrechner auf seiner Homepage. Auch andere Ölkonzerne waren bis dahin auf das Narrativ aufgesprungen – und das Konzept war in der Allgemeinheit angekommen. Das Framing ist also voll aufgegangen. Die New York Times hat einen Guide, wie man den persönlichen Fußabdruck reduzieren kann, das Klimaschutzministerium bietet einen personalisierten Rechner an. Am Ende des Fragebogens wird dann erklärt, wie viele Erden es bräuchte, würden alle Menschen so leben wie die Person, die gerade den Rechner benutzt. Bei einem Österreich-Durchschnitt wären es rund zweieinhalb Erden. Von Gesetzgebung, die das persönliche Verhalten unterstützen oder gar an den großen Schrauben drehen würde, ist nichts zu lesen.
Verrutschter Fokus
Das soll keinesfalls bedeuten, dass die persönlichen Bemühungen der Einzelnen keinen Beitrag zu einem Senken des CO2-Ausstoßes leisten. Doch das Konzentrieren auf den persönlichen Fußabdruck hat – im Sinne der Erfinder:innen – den Fokus verrutschen lassen.
Die größten Verursacher der Treibhausgas-Emissionen sind die Sektoren Energie und Industrie, Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft. Die Gesamtemissionen des Sektors Energie und Industrie beliefen sich 2021 in Österreich auf 34,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent, jene des Verkehrs auf 21,6 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent. Der Gebäudesektor verursachte 9,1 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent, die Landwirtschaft 8,2 Millionen und die Abfallwirtschaft 2,3 Millionen. Das bedeutet, dass der größte einzelne Bereich – die Industrie – jener ist, bei dem individuelle Personen kaum einen Unterschied machen können. Hier prallen Framing und Fakten aufeinander.
Das einzelne Individuum kann eine Stahlgießerei wohl nicht dazu bringen, rascher neue, weniger CO2-intensive Produktionswege zu erforschen, und auch im zweitgrößten Bereich, dem Verkehr, ist der mögliche Einfluss geringer als angenommen – nicht jede Person kann sich einen Elektro- oder Hybridwagen leisten, nicht in allen Gegenden ist es möglich, auf den öffentlichen Verkehr umzusteigen. Hier kommt die Politik ins Spiel.
Politik versus Framingversuch
An den großen Schrauben muss jene Institution drehen, die in der Demokratie die Macht dazu hat: die Politik. Ihr obliegt es, die Gesetze so zu gestalten, dass auf der einen Seite das Bemühen der Einzelnen leichter wird, aber auch die Industrie dazu zu bringen, klimafit zu werden, auch wenn es hier massiven Widerstand gibt. Der Fokus darf nicht mehr verrutscht sein, und das narrative Framing darf nicht mehr von jenen Firmen definiert werden, die durch die Transformation verlieren würden. Es liegt an uns allen, bei Wahlen entsprechend zu entscheiden.