Wie ÖVP und SPÖ bessere Bildung blockiert haben
Jahrzehntelang haben SPÖ und ÖVP in der großen Koalition die Politik und Entwicklung Österreichs dominiert. Obwohl in manchen Bereichen durchaus etwas weiterging, war der Bildungsbereich von jahrzehntelanger gegenseitiger Blockade aus ideologischen Gründen geprägt – verlorene Zeit für die Schulen.
Die Ära der SPÖ-Absoluten unter dem legendären Bundeskanzler Bruno Kreisky war vorbei. Sein Nachfolger Fred Sinowatz musste nach der Wahl 1983 eine Koalition mit der (damals noch liberaleren) FPÖ eingehen, nach dem Putsch Jörg Haiders in der FPÖ rief Sinowatz’ Nachfolger Franz Vranitzky 1986 Neuwahlen aus, die im Jänner 1987 in die Große Koalition zwischen SPÖ und ÖVP unter Alois Mock mündeten. Zum ersten Mal seit 1966 regierten in Österreich wieder die zwei großen Parteien der Sozialdemokratie und der christlich-sozialen Konservativen. Diese Koalitionsvariante sollte bis zur Regierung Schüssel ab 2000 und dann wieder von 2007 bis 2017 das Land regieren.
Viel Zeit, um im so wichtigen Bildungsbereich etwas weiterzubringen – würde man meinen. Doch im internationalen Vergleich der PISA-Studien zeigt sich, dass diese Jahre verlorene Zeit waren – denn obwohl Österreich sehr viel Geld in die Schulen pumpt, sind die Ergebnisse nicht berauschend. Der Grund dafür ist, dass SPÖ und ÖVP sich in ideologische Scheindebatten verrannt hatten und lieber über Begrifflichkeiten wie „Gesamtschule“ stritten, als notwendige Reformen anzugehen.
Der Streit um die Gesamtschule: Eine unendliche Geschichte
Eine gemeinsame Schule für alle Kinder und Jugendlichen bis 14 oder gar bis zum Ende der Schulpflicht – was in den letzten rund 30 Jahren weltweit Standard wurde – ist bis heute in Österreich ein ideologischer Kampf. Seit 1987 wurde in den Regierungen über eine grundlegende Bildungsreform verhandelt, das Ergebnis waren immer kleine Anpassungen oder Schulversuche, während die Fakten und Erfahrungen, die die gemeinsame Schule in anderen Ländern lieferte, ignoriert wurden. Die ÖVP stellte sich immer gegen die gemeinsame Schule und pochte weiterhin auf die Trennung der Kinder mit 10 Jahren. 2007, als Rot und Schwarz sich nach der Ära Schüssel wieder zu einer Großen Koalition zusammenschlossen, startete die Debatte erneut, nur um vom damaligen ÖVP-Chef und Vizekanzler Wilhelm Molterer rasch beendet zu werden.
Bis 2017 ging die SPÖ in jede Wahl mit der Forderung nach einer gemeinsamen Schule, die ÖVP immer mit einem Bekenntnis für das „differenzierte System“, wie es die Partei nennt. An den Standpunkten hat sich nichts geändert, an den Fakten aber auch nicht. Die soziale Durchlässigkeit ist in Schulsystemen, die später differenzieren, besser. Im aktuellen österreichischen Bildungssystem wird der Bildungsstatus immer noch vererbt – Kinder von Akademiker:innen gehen überdurchschnittlich oft ins Gymnasium und dann auf eine Universität, und Kinder, deren Eltern keine Matura haben, sind öfter in der Mittelschule. Die Geburtslotterie bestimmt in Österreich also immer noch zu einem großen Teil die Chancen eines Kindes.
Kleinere Reformen gab es über die Jahrzehnte immer wieder: So wurde aus der Hauptschule die (Neue) Mittelschule ohne interne Leistungsgruppen, sondern mit gezielter Förderung. Doch in einer der entscheidenden Fragen ging nichts weiter – und es dürfte sich auch mit der ÖVP nichts daran ändern. Denn ÖVP-Chef Karl Nehammer hat in seinem „Österreichplan 2030“ nicht nur ein Bekenntnis zur getrennten Unterstufe abgegeben, er fordert darin auch eine Rückkehr zu den Leistungsgruppen. Die nächste Runde des ideologischen Kampfes um die Bildungsreform ist damit eingeläutet.
Die Angst vor den Bundesländern
Abseits ideologischer Debatten gibt es noch einen zweiten Grund, warum unter Rot-Schwarz nie große Reformen angegangen wurden: die Macht der Bundesländer. Denn Bildungsthemen liegen laut Bundes-Verfassungsgesetz im Pflichtschulbereich in der Verwaltung der Länder, nicht des Bundes. Dort stellen – mit Ausnahme Kärntens – SPÖ und ÖVP alle Landeshauptleute mit den entsprechenden inhaltlichen Positionen. Das bedeutet, dass jede:r Bildungsminister:in etwaige Reformideen nicht nur mit dem Koalitionspartner, sondern auch mit neun selbstbewussten Landeschef:innen verhandeln mussten. Was selten genug geschah.
Der Einführung der (Neuen) Mittelschule 2012 waren jahrelange Verhandlungen vorausgegangen, in denen sich die Landeshauptleute weiterhin Entscheidungskompetenzen sichern konnten. Eine komplette Neuaufstellung des Bildungssystems würde also die ehrliche Kooperation aller neun Landeshauptleute brauchen. Und müsste deren Eigeninteressen berücksichtigen.
Kein Ende des Stillstands?
Seit den relativ großen Brocken (Neue) Mittelschule, Zentralmatura und Neuaufstellung der Bildungsdirektionen ist es in der Bildungsdebatte aufseiten der verschiedenen Regierungen still geworden. In den Wahlprogrammen der Parteien werden immer noch Ziele angeführt, doch weder Türkis-Blau noch Türkis-Grün haben sich mit großem Reformwillen im Bildungsbereich hervorgetan. Der aktuelle ÖVP-Bildungsminister Martin Polaschek relativierte sogar im Dezember 2023 das schwache Abschneiden Österreichs in der aktuellen PISA-Studie, nannte das Ergebnis sogar „durchaus erfreulich“, obwohl wieder einmal die fehlende Durchlässigkeit des Systems kritisiert wurde. Und auch die bereits erwähnten Forderungen im „Österreichplan“ der ÖVP verheißen keine heiß kochende Reformlust.
Was getan werden müsste, um die Schulen in Österreich so zu reformieren, dass sie tatsächlich allen Kindern die selben Chancen im Leben ermöglichen, ist bekannt. Es müssen nur jene Parteien, die wirklich etwas dafür tun wollen, auch in Regierungsverantwortung kommen. Die Kombination SPÖ-ÖVP gehört auf jeden Fall nicht zu den Reformern. Das zeigt die Geschichte.