Woher die Teuerung kommt
Ein politisches Problem, das die Bürger:innen im Alltag spüren, ist die Teuerung. Warum ist sie gerade so hoch? Was kann man gegen sie tun? Und wer ist wirtschaftspolitisch dafür verantwortlich?
Vor einem Jahr war sie keines, jetzt aber ist sie das Thema. Die Inflation, also der Kaufkraftverlust durch steigende Preise, ist auf dem höchsten Stand seit fast 50 Jahren. Extrem stark gestiegene Preise für Gas oder Strom treiben die Energiepreise und Heizkosten, mögliche Ernteausfälle für Weizen die Lebensmittelpreise in die Höhe, und Jahre der ultralockeren Geldpolitik haben zusätzlich Nachfrage und Preisdynamik befeuert.
Doch was ist die Inflation, wie wird sie gemessen, wie kann die Wirtschaftspolitik gegen sie vorgehen, und warum ist sie eine „Geliebte des Finanzministers“? Eine kurze Erklärung.
Was ist Inflation?
Mit dem Begriff „Inflation“ werden eigentlich zwei unterschiedliche Phänomene beschrieben. Zum Einen beschreibt Inflation traditionell eine massive Ausweitung der Geldmenge, also des im Umlauf befindlichen Geldes. Wo viel Geld im Umlauf ist, aber nicht zugleich im selben Ausmaß mehr Waren und Dienstleistungen verfügbar sind, steigen die Preise. Im modernen Sprachgebrauch ist die Inflation genau das: ein Ansteigen des Preisniveaus, zumeist ausgedrückt in Prozent. Heute beträgt die Inflationsrate etwa acht Prozent im Jahresvergleich.
Wie wird Inflation gemessen?
Die Inflation kann auf verschiedene Arten gemessen werden. Doch in den allermeisten Fällen beziehen sich Aussagen zur Teuerung auf sogenannte Warenkörbe. Die Statistikbehörden, in Österreich die Statistik Austria, ermitteln für einen durchschnittlichen Haushalt in Österreich die Konsumausgaben. Diese verteilen sich auf Wohnen und Energie bis hin zu Mobilfunktarifen oder durchschnittlichen Wirtshausbesuchen. Das ist natürlich ein rein statistisches Verfahren und sagt wenig über deine oder meine Ausgabenstruktur aus. Aber der so ermittelte Warenkorb ist die Basis für die Inflationsermittlung. Steigen die darin liegenden Güter im Preis, wird das als Teuerungsrate ausgedrückt.
Natürlich lassen sich allerlei Warenkörbe erstellen, und theoretisch lassen sich so abertausende Inflationsraten auf individueller Basis ausrechnen. Daher bieten Statistikbehörden und Notenbanken weltweit digitale Tools wie einen „persönlichen Inflationsrechner“ an. Für Österreich ist dieser auf der Website der Statistik Austria zu finden.
Man merkt schnell, dass die Teuerung von Mensch zu Mensch höchst verschieden sein kann. So macht es einen Riesenunterschied, ob man mietet oder im Eigentum wohnt, ob man auf ein Auto angewiesen oder mit dem öffentlichen Nahverkehr unterwegs ist. Das sollte auch bei der aktuellen Teuerungswelle nicht ganz vergessen werden: Selbst wenn jetzt immer mehr Preise nach oben gehen, ist die Betroffenheit von Inflation dennoch stark verschieden und hängt davon ab, wie man wohnt oder sich fortbewegt.
Warum ist die Inflation so zentral?
An der statistisch ermittelten Inflation hängt extrem viel. Einerseits sind viele Verträge in Österreich wertgesichert. Das heißt, die darin vereinbarten Preise, Mieten oder Versicherungsprämien steigen einmal im Jahr oder in einem anderen Zeitraum mit der Teuerung. Zum anderen hängen auch die jährlichen Kollektivvertragsverhandlungen an der Teuerung. Ebenso werden Pensionen, die Ausgleichszulage und viele andere Sozialleistungen einmal im Jahr an die Inflation angepasst.
Woher kommt Inflation?
Ein oft zitierter Satz lautet: „Inflation is always and everywhere a monetary phenomenon.“ Er stammt vom US-Ökonomen und Nobelpreisträger Milton Friedman und sollte klarstellen: Es sind die Notenbanken, die sich um stabile Preise kümmern müssen, und wenn die Preisstabilität verloren geht, waren sie daran schuld. Tatsächlich sind gerade die Phänomene hoher Inflation geradezu undenkbar ohne eine extrem lockere Geldpolitik. Staaten, die mit der Druckerpresse auf wirtschaftspolitische Herausforderungen reagieren, ernten einen Verfall ihrer Währung und höhere Inflationsraten. Mit Bezug auf die Schwellenländer haben Ökonom:innen dieses Verhalten unter anderem als „makroökonomischen Populismus“ beschrieben. Denn Preisstabilität hängt immer auch an der Erwartungshaltung: Wenn die Menschen nicht mehr an stabile Preise glauben, dann versuchen sie, ihr Geld in Sicherheit zu bringen, und fliehen aus einer Währung. Das lässt die Währung zumeist noch stärker abstürzen – und die Inflation damit steigen.
Daher haben Notenbanken oft ein Konzept des inflation targeting, eines offiziellen Inflationsziels, gewählt. Das soll den Bürger:innen Sicherheit geben, dass die Preise langfristig stabil bleiben. Das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank beträgt etwa 2 Prozent Teuerungsrate, gemessen am harmonisierten Verbraucherpreisindex der Eurozone. Davon sind wir derzeit so weit entfernt wie noch nie.
Die Inflation des Jahres 2022 hängt nicht zuletzt auch mit dem Öl- und Gaspreisschock zusammen. Österreich etwa zahlt mittlerweile mehr als 5 Milliarden Euro für seine jährlichen Gaslieferungen aus Russland, vor einem Jahr war es noch ein Fünftel davon. So ein Kaufkraftverlust macht die gesamte Volkswirtschaft ärmer, weil zwar die Preise für Importe steigen, aber die Preise für Exporte nicht im selben Ausmaß.
Was kann die Wirtschaftspolitik gegen Inflation unternehmen?
Prinzipiell gibt es drei Maßnahmen, um den Preisdruck zu dämpfen: Sie kann an Angebot und Nachfrage schrauben, oder aber über die Geldpolitik eingreifen. Gehen wir es der Reihe nach durch:
1. Nachfrage reduzieren.
Die Wirtschaftspolitik in Österreich kann die Nachfrage mit unterschiedlichen Maßnahmen dämpfen. Der Staat könnte die eigene Nachfrage zügeln, beispielsweise indem Bauprojekte vorübergehend gestoppt werden. Nimmt der Staat so Nachfrage aus dem Markt, wird das zunächst bei den direkt betroffenen Märkten den Preisdruck etwas dämpfen. Im Falle von Bauinvestitionen wären das die Baupreise und -kosten, also alles vom Rohstoff Holz bis zur Dienstleistung der Architekturbüros. Da es auch schon von privaten Investor:innen so viele Bauprojekte wie noch nie gibt, wäre das wohl wirklich eine Option. Der Staat könnte die Nachfrage aber auch dämpfen, indem Steuern erhöht oder Transfers gesenkt werden. Ersteres passiert laufend über die kalte Progression – das ist aber angesichts einer bereits sehr hohen Belastung des Faktors Arbeit wohl nicht sehr effizient.
2. Angebot steigern.
Wie könnte der Staat das Angebot steigern? Das ist etwas diffiziler. Angesichts der Energiemarktkrise müsste es wohl gerade um den Ausbau von Energieangebot gehen. Dafür könnte sich Österreich die deutsche Ampelregierung zum Vorbild nehmen: Diese hat zu Ostern ein Paket beschlossen, um den Ausbau erneuerbarer Energien massiv zu beschleunigen. Denn dieser scheitert derzeit ja selten an der Finanzierung oder weil er sich nicht rechnen würde. Es sind lange Genehmigungsverfahren, zu wenig verfügbares Bauland für Energieprojekte oder Bürgermeister:innen, die sich auch in Zeiten der massiv gestiegenen Öl- und Gaspreise gegen Windparks oder Solaranlagen wehren.
3. Geldpolitik straffen.
Wenn es aber darum geht, die Inflation zu bekämpfen, dann sitzt ein Elefant im Raum. Besser gesagt, in Frankfurt. Die Europäische Zentralbank ist jene Institution in Europa, die Preisstabilität wirklich in ihrer Aufgabenbeschreibung stehen hat. Sie wäre eigentlich dafür verantwortlich, die Geldpolitik so anzupassen, dass die Inflation wieder spürbar sinkt. Wenn sie die Zinsen anhebt, soll das die Nachfrage nach Krediten und so die Nachfrage allgemein senken. Doch man muss sagen, dass die EZB „eigentlich“ für Preisstabilität verantwortlich ist, weil sie gerade in der Finanz- und Schuldenkrise ja viele Aufgaben übertragen bekommen hat: Seit der damalige EZB-Präsident Mario Draghi (heute italienischer Ministerpräsident) gesagt hat, die EZB werde alles tun – „whatever it takes“ –, um den gemeinsamen Euro zu verteidigen, wird sie auch wesentlich für die Stabilität der Anleihenmärkte in der Eurozone verantwortlich gemacht. Höhere Zinsen gefährden aber die finanzielle Nachhaltigkeit in Italien, Griechenland oder Portugal. Das erklärt sicher auch die Zurückhaltung in Frankfurt, die Leitzinsen anzuheben.
Droht die Stagflation?
Stagflation ist ein Kunstwort, das zwei Phänomene verbindet: Stagnation, also ein wirtschaftlicher Stillstand, beschreibt eine Phase von wenig Wirtschaftswachstum. Inflation beschreibt die Phase stark steigender Preise. Eine Stagflation ist das Schlechteste aus beiden Welten und war zuletzt in den 1970er und 1980er Jahren relevant, als der weltweite Ölpreisschock die internationalen Finanzmärkte erschütterte. Die Weltbank hat bereits als erste internationale große Finanzinstitution vor einer Stagflation 2022 gewarnt. Wenn die Preise noch stärker steigen und die Wachstumsraten nach unten revidiert werden, dann ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis sie eintritt.
Österreichs besondere Probleme
Die Teuerung ist in der gesamten Eurozone aktuell historisch hoch. In keinem Land ist sie dabei so galoppierend wie in Estland, wo die Verbraucherpreise im Vergleich zum Vorjahr um 22 Prozent gestiegen sind. Doch ob die Folgen hoher Inflationsraten gravierend sind, hängt von mehreren Fragen ab: Verlieren die Menschen in einem Land wirklich Kaufkraft, oder steigen z.B. die Löhne? Finden die Preissteigerungen wegen teurer Importe statt? Haben die meisten Bürger:innen ihr Vermögen in Sicherheit gebracht und in Sachwerte wie Aktien und Immobilien investiert? Österreich ist aktuell aus mehreren Gründen von den Folgen der Teuerung stark getroffen:
- Die Teuerung macht Österreich insgesamt ärmer, weil Gas und Öl – wichtige Importgüter – teurer werden und die gesamte Volkswirtschaft also mehr Wertschöpfung ans Ausland abgibt.
- Die Steuereinnahmen steigen dank der Inflation, der Finanzminister profitiert von automatischen Steuererhöhungen im Rahmen der Einkommensteuer (außer die kalte Progression wird tatsächlich, wie angekündigt, abgeschafft).
- Österreich ist ein Land der Mieter, nicht der Eigentümer. Viele Mieten sind wertgesichert, das wird die Belastung vieler Mieter automatisch mit der Teuerung steigen lassen, wenn auch erst später im Jahr oder 2023.
- Wir sparen so, dass das Ersparte von der Inflation weggefressen wird. Die Österreicher lieben das Sparbuch, doch das bringt keine Zinsen. Daher verliert das Ersparte der Konsument:innen in Österreich viel mehr an Wert als in vielen anderen Ländern.