„Das wird man ja noch geheim halten dürfen“
„Findest du es ok, wenn alle deine SMS öffentlich nachlesbar wären im Internet?“
Mit einer Frage, die wohl wenige mit Ja beantworten werden, wendet sich Bundesministerin Karoline Edtstadler pünktlich zu Prozessbeginn gegen Ex-Familienministerin Sophie Karmasin an ihre Follower.
Edtstadler, die Beschuldigtenrechte für sich entdeckt hat, kritisiert, dass „praktisch alles, was sich im Strafakt befindet, auch an die Öffentlichkeit gelangt“ und fordert ein Zitierverbot aus Strafakten, insbesondere von privaten Nachrichten. Man erinnert sich deutlich an die lautstark geäußerten datenschutzrechtlichen Bedenken, die die Volkspartei bei Veröffentlichung des Ibiza-Videos hegte.
Spaß beiseite: Nie hat die ÖVP Beschuldigtenrechte so entschieden gefordert wie jetzt, wo es für ihre eigenen Leute eng wird.
Aber dürfen Medien Chatprotokolle von Politikern veröffentlichen?
Genau dieser Frage ging der Presserat, die hauseigene Kontrolleinrichtung der österreichischen Printmedien, 2021 nach: In einer Entscheidung beschäftigte sich das Gremium mit veröffentlichten Chats zwischen dem nunmehr suspendierten Sektionschef Christian Pilnacek („Ich würde als BM ernsthaft Ermittlungen … einleiten.“) und dem ehemaligen Verfassungsrichter und ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter („Du kannst immer auf türkis und schwarz zählen“). Ein Leser hatte die Veröffentlichung dieser Nachrichten kritisiert, die wesentlich zum Sittenbild der ÖVP beitragen.
Der Presserat kam zum Schluss, dass Kontrolle der staatlichen Gewalten eine der „Kernaufgaben der Medien“ sei, und die Presse- und Meinungsfreiheit bei der Erfüllung dieser Kontrollfunktion „besonders weit reiche“. Nicht umsonst werden Medien auch gerne als die vierte Gewalt bezeichnet. Journalist:innen berichten nicht nur über staatliches Handeln, sondern kontrollieren es auch. Nach Auffassung des Pressebeirats genießen Politiker:innen und Spitzenbeamt:innen zudem auch weniger Schutz ihrer Persönlichkeit als Privatpersonen, da es Wesen ihres Berufs ist, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Das deckt sich mit der Judikatur, die die Berichterstattung über Ereignisse von öffentlichem Interesse immer geschützt hat.
Wenn der damals mächtigste Beamte innerhalb des BMJ auf seinem Diensthandy mit dem ehemaligen Justizminister und Verfassungsrichter berät, wann Ermittlungen dem parteipolitischen Kalkül der ÖVP dienen könnten, ist das im dringenden öffentlichen Interesse. Genauso wie Chats, die mutmaßlich korrupte Vorgänge um mit Steuergeld bezahlte und vom Finanzministerium in Auftrag gegebene gefälschte Umfragen belegen.
Ein Zitierverbot wäre ein Eingriff in die Pressefreiheit
Das bedeutet auf der anderen Seite nicht, dass Spitzenbeamt:innen keinen Anspruch auf Schutz des Privatlebens haben. Nachrichten, die den „höchstpersönlichen Lebensbereich“ betreffen, dürfen natürlich nicht abgedruckt werden. Deshalb wurde in den Medien auch keines der berüchtigten Handyfotos abgedruckt oder aus dem Intimleben von Politiker:innen berichtet, obwohl ihre politischen Forderungen in diametralem Widerspruch zu ihren geheimen Vorlieben standen.
Der EGMR hat in seiner Judikatur rund um den Artikel 10 EMRK, der die Pressefreiheit schützt, ähnlich argumentiert, und die Rolle der Medien als „public watchdog“ hervorgehoben. Dem zentralen Informationsinteresse der Zivilgesellschaft dienen etwa Berichte von Polizeibrutalität, die Entschädigung von Holocaustopfern oder Beziehungen zwischen dem Militär und der Politik.
Ein Zitierverbot aus Chatnachrichten, die Anlass zur Strafverfolgung von Politiker:innen geben, höhlt die in Art 10 EMRK verankerte Pressefreiheit vollkommen aus. Das von Karoline Edtstadler vehement geforderte Zitierverbot aus Strafakten ist also nicht nur politisch peinlich – sondern im offenen Widerspruch zu den Grundrechtsgarantien unserer Verfassung.
Es bleibt abzuwarten, ob sich die Regierung mit einem solchen Gesetzesvorschlag in den Nationalrat traut. Vielleicht zollt ihnen dann ja die freiheitliche Fraktion erleichtert Beifall?