Eine Wende retour in der Frauenpolitik bitte!
Fünf Frauenmorde an einem Tag in Wien, darunter ein 13-jähriges Mädchen. Das war sogar der internationalen Presse eine Schlagzeile wert.
So viele tote Frauen an nur einem Tag. Ermordet von einem Mann, in einem Fall mutmaßlich vom Ehemann und Vater der beiden ersten Opfer. Er richtete sich danach selbst. Im zweiten Fall wurden drei Sexarbeiterinnen von einem Asylwerber mutmaßlich gezielt getötet. Bereits drei Tage später geschah der sechste Femizid: eine 84-Jährige wurde von ihrem 93-jährigen Partner getötet. Auch dieser setzte danach seinem Leben ein Ende. Nach zwei Tagen auf der Intensivstation starb auch er. Insgesamt sieben Morde an Frauen wurden heuer schon gezählt.
Damit nicht genug der Gewalt. Letzte Woche wurde bekannt, dass ein zwölfjähriges Mädchen in Wien offenbar über einen langen Zeitraum hinaus Opfer von sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung durch mehrere Jugendliche im Alter von 13 bis 17 Jahren wurde.
Österreich krankt an Gewalt
Die Geschichten hinter diesen Schlagzeilen schnüren mir das Herz zu. Gewalt an Frauen ist in Österreich weit verbreitet. Weiter wohl, als vielen bewusst ist. Rund ein Viertel aller Frauen hat Erfahrungen mit Gewalt innerhalb oder außerhalb der Beziehung, ebenfalls knapp ein Viertel mit sexueller Gewalt. Bei Belästigung am Arbeitsplatz geben sogar etwas mehr als ein Viertel der Frauen an, dies schon erlebt zu haben.
Natürlich haben alle der oben genannten Fälle eines gemein: Der Täter ist ein Mann. Um einen besseren Gewaltschutz zu schaffen, müssen wir auf jeden dieser Fälle individuell schauen. Das bedeutet auch, ohne Scheuklappen darüber zu reden, dass der Anteil von Männern mit Migrationshintergrund in der Statistik klar überdurchschnittlich ist. Kulturelle und religiöse Prägung aus patriarchalen Gesellschaften müssen gezielter bekämpft und ebenso thematisiert werden wie ein gewisser sozioökonomischer oder Bildungshintergrund.
Dabei kann man es aber nicht belassen. In vielen Fällen von Gewalt an Frauen innerhalb der Familie gibt es eine Vorgeschichte mit Gewalterfahrung. Die Gewaltspirale muss also früher durchbrochen werden, und Frauen müssen effektiver geschützt werden. Sogenannte Fallkonferenzen, geführt von der Polizei, sollen in Hochrisikosituationen mit multiinstitutionellen Teams spezifische Maßnahmen in Einzelfällen ableiten. Und dennoch sind betroffene Frauen oftmals verloren – zwischen zuständigen Stellen und Behörden.
Fehlende Prioritätensetzung
In diesen Tagen erreichte mich der persönliche Betroffenheitsbericht einer jungen Frau mit türkischen Wurzeln. Sie war vor Jahren mit einem Mann zusammen gewesen, der im Laufe der Beziehung immer eigenartigeres Verhalten an den Tag legte. Er führte Selbstgespräche, sprach davon, seinen Vater und Cousin umbringen zu müssen, da ihm Stimmen dies befohlen hätten. Die Frau organisierte psychosoziale Hilfe. Trotz der Ankündigung, dass er auch sie im Schlaf töten wolle, bekam er keinen stationären Platz in einer psychiatrischen Einrichtung in Wien: aufgrund der viel zu geringen Platzanzahl und zu langen Wartezeiten. Die Frau trennte sich, zog um und hatte jahrelang keinen Kontakt.
Vor kurzem meldete er sich wieder bei ihr, sprach davon, „geheilt“ zu sein, und bat darum, die Beziehung wieder aufzunehmen. Sie lehnte ab. Daraufhin bekam sie 180 Nachrichten in 20 Minuten, in denen er sie bedrohte, sie als „Drecksnutte“ bezeichnete, die man nach islamischem Recht umbringen müsse. Er tauchte an ihrem früheren Wohnsitz, dem ihrer Eltern, auf. Sie erstattete Anzeige, und auf den Rat der Polizei hin wendete sie sich tags darauf an das Gericht, um eine einstweilige Verfügung zu erwirken.
Das Gericht schickte sie in ein Gewaltschutzzentrum. Dort war man über diese Vorgangsweise verwundert, stellte ihr einen Opferanwalt zur Seite und schickte sie wieder zu Gericht. Auch am darauffolgenden Tag war bei Gericht kein Zuständiger verfügbar, und sie wurde erneut weggeschickt. Erst am dritten Tag gelang es ihr nach Bitten und Beschwerden, einen Termin bei Gericht zu bekommen, wo sie den Antrag auf einstweilige Verfügung stellte. Ihr wurde geraten, eine Sperre bezüglich der Auskunft ihres Melderegisters vornehmen zu lassen. Aber auch auf dem Meldeamt wurde sie weitergeschickt: zum Zentralen Meldeamt in der Burggasse.
Das geht so nicht! Wenn wir schon Woche für Woche über grauenhafte Fälle lesen müssen, so müssen die Behörden niederschwellige und rasche Unterstützung zur Verfügung stellen. Es geht hier weniger um mehr Geld, als um größeres Bewusstsein und Prioritätensetzung. Ein Beispiel für fehlende Prioritätensetzung ist der Umstand, dass zwei (!) spezialisierte Gewaltambulanzen in Österreich, in Wien und Graz, „demnächst“ starten sollen. Ein wichtiger Schritt, aber weit entfernt von einem flächendeckenden Angebot.
Gesamtgesellschaftliche Bewusstseinsarbeit als Gebot der Stunde
Was aber neben besseren behördlichen Abläufen, besser geschulten Beamten und Richterinnen besonders fehlt, ist der Fokus auf die gesamtgesellschaftliche Bewusstseinsarbeit. Und hier mache ich mir große Sorgen, dass wir einen „Backlash“ erleben. Denn die Folgen von Migration werden politisch immer nur im Kontext von „Ausländer raus“ oder „Grenzen dicht“ angesprochen. Wer Integrationsarbeit ernst nimmt, scheut sich nicht, die Probleme zu benennen und Lösungen aufzuzeigen. Ein echtes Integrationsjahr wie in den Niederlanden als Ersatz für die österreichische finanziell ausgedörrte Variante samt Wertekursen ist dringend nötig. Mitsamt entsprechenden Sanktionen. Diese braucht es auch schon in einem schulischen Kontext, wenn Eltern – insbesondere Väter – die Mitwirkung am Bildungserfolg ihrer Kinder etwa einer Pädagogin gegenüber verweigern.
Ganz allgemein hat aber Gleichstellungspolitik insgesamt derzeit keine politische Priorität. Der hohe Anteil an teilzeitarbeitenden Frauen und die weiterhin auch noch in den nächsten Jahrzehnten fehlenden Kinderbetreuungsplätze zeugen von entweder geringem Bewusstsein dafür, dass Freiheit und somit auch Schutz von Frauen vor allem über die eigene Geldbörse geht. Oder aber von einem retro-konservativen Gesellschaftsbild, das gerne das Rad der Zeit zurückdrehen und den Feminismus nach dem 68er-Jahr ungeschehen machen möchte.
Themen wie eine geschlechtersensible Sprache sind längst zum Kulturkampf erhoben worden. Ein Verbot derselben wird aber weder eine gerechtere Gesellschaft und damit mehr Schutz für Frauen schaffen noch den im internationalen Vergleich immer noch großen Gender-Pay-Gap reduzieren, der in Österreich sehr stark ein Motherhood-Pay-Gap ist. Mütter in Österreich bleiben lang zu Hause beim Kind und arbeiten nach dem Wiedereinstieg auch lang Teilzeit: mit all den Folgen für geringeres Einkommen, geringere Karrierechancen und später geringere Pension.
Und schon gar nicht wird eine Politik Lösungen bringen, die sich auf derartigen Nebenschauplätzen wie Genderverboten (aber auch -geboten) aufhält, anstatt bestehende Probleme an der Wurzel zu packen. Ideen, wie die der Regierungen von ÖVP und FPÖ in einigen Bundesländern, Herdprämien einzuführen, anstatt Geld in den Ausbau von Kinderbetreuung zu investieren, sind eine weitere Volte retour.
Ein liberales Bekenntnis zum Feminismus
Wir brauchen also dringend eine Wende in der Frauenpolitik. Eine Wende zurück zu einem Verständnis, dass es weiterhin nötig ist, dass Feministinnen für die Gleichstellung von Frauen eintreten und sich nicht davor scheuen, das Wort zu benutzen – aus Sorge, als „links“ bezeichnet zu werden. Feminismus ist nicht links. Und links ist es auch nicht, dafür Sorge zu tragen, dass Frauen die gleichen Chancen auf Teilnahme am Arbeitsmarkt haben, ihr eigenes Geld verdienen und im Alter über eine ordentliche, vom Partner unabhängige Absicherung verfügen. Und eine Wende, die dafür Sorge trägt, dass egal ob bei Zugewanderten oder bei Autochthonen, in der Familie oder in der Schule, am Filmset oder am Arbeitsplatz, Frauen nicht als Objekt angesehen werden, sondern vollumfänglich Männern gleichgestellt sind. In Respekt und Achtung, aber auch Bezahlung.