50 Jahre FC Nationalrat
Jedes Jahr treffen einander Parlamentarier:innen aus (fast) ganz Europa zu einem Fußballturnier. Ein Spielbericht von einem Veteranen.
Das locker eingestreute Geprahle, dass man – also in dem Fall der Autor dieser Zeilen oder einfach kurz „ich“ – beim FC Nationalrat spiele, löst in der Regel immer die gleichen Fragen aus, die hier in einem kleinen FAQ zusammengefasst sind:
- „Spielen da Abgeordnete?“ – Ja.
- „Von allen Parteien? Also auch von der FPÖ?“ – Ja und ja.
- „Hm. Und könnt ihr da einfach so zusammenspielen?“ – Ja, ist gar kein Problem.
- „Spielen Frauen auch mit?“ – Ja, seit kurzem ist auch bei uns eine aktiv: Agnes Sirkka Prammer von den Grünen. Fun Fact: Als 2014 NEOS angefragt hatte, weil eine Referentin mitspielen wollte, war das für SP und Grüne noch ein Problem: „Wegen den Duschen.“
- „Gegen wen spielt ihr da so? Andere Parlamente?“ – Ja.
Man sieht schon bei den ersten Fragen, dass alles so ist, wie man sich das vorstellt. Aber weiter.
- „Wie oft spielt ihr da?“ – Eigentlich nur einmal im Jahr bei der Europameisterschaft und ein paar Vorbereitungsspiele davor.
- „(Oha!) Es gibt eine EM?“ – Ja, und es nehmen immer die gleichen vier Länder daran teil: Deutschland, Österreich, Schweiz und Finnland.
- „Finnland?“ – Ja, Finnland.
Und wir steigen damit aus dem FAQ-Modus wieder aus. Finnland hat beim fünften Turnier im Jahr 1977 den Kreis der Gründungsnationen im D-A-CH-Raum erweitert und bis auf weiteres komplettiert. Trotz wiederholter Anfragen anderer Parlamente soll die Europameisterschaft nicht auf mehr Länder ausgedehnt werden, vor allem weil die Kapazitäten zur Ausrichtung größerer Turniere einfach fehlen.
Jubiläum in Wiener Neustadt
Dieses Jahr fand das Internationale Parlamentarier:innen-Fußballturnier, wie es offiziell heißt, zum 50. Mal statt. In der rotierenden Reihenfolge war Österreich dran, die Wahl fiel auf Wiener Neustadt als Austragungsort. Disclaimer: Den Verlauf des Turniergeschehens kann ich als Spieler – unvereinbar mit journalistisch-objektiver Distanz – nur auch aus sehr österreichischem Blickwinkel wiedergeben.
Nach der Begrüßung von NR-Präsident Wolfgang Sobotka – nein, er hat die Militärmusik, die die Hymnen abspielte, nicht dirigiert – liefen wir gegen Finnland ein. Nach einer Traumflanke – so viel kann ich auch ganz objektiv wiedergeben – vom Autor dieser Zeilen (also mir) auf Maximilian Köllner stand es schnell einmal 1:0 für Österreich. Die finnischen Spieler – sichtlich unter Druck – riefen immer wieder nach einer gewissen „Vittu“, aber auch sie konnte das nächste Tor nicht verhindern. Mit einem komfortablen 2:0 ging es in die Pause.
Traumflanke auf Maximilian Köllner (Video: © Parlamentsdirektion)
Bis zum Ende der Partie schafften wir es trotzdem, das Spiel zu verludern: Endstand 2:3. Zeit für das erste Bier. Pfeif auf die Leistungsfähigkeit, wir hatten eine andere Taktik: Mit einem perfiden Schnitzelbuffet in der Pause wurden die nächsten Gegner vor dem zweiten Spiel mürbe gemacht. Durch unseren großen Kader von 24 Personen gelang es uns, die schon müden Schweizer in Summe locker abzufertigen. Nach einer Traumflanke – so viel kann ich auch ganz objektiv wiedergeben – vom Autor dieser Zeilen (also mir) auf Maximilian Köllner wurde das 2:0 für Österreich fixiert. (Liebes Publikum, Sie erkennen das Muster.)
Mehr Schnitzel
Vor dem zweiten und letzten Spieltag waren die theoretischen Chancen auf den Turniersieg für Österreich gerade noch intakt: Ein Sieg gegen Deutschland und der Schweiz gegen die Finnen würden ihn möglich machen.
Der erste Teil der Aufgabe wurde bravourös absolviert. Eine Traumflanke – so viel kann ich auch ganz objektiv wiedergeben – vom Autor dieser Zeilen (also mir) auf Mladen Propadalo (diesmal nicht Köllner, sonst aber sehr ähnlich) trug ebenso zum Sieg bei wie das Tor des Turniers von Douglas Hoyos, der aus unmöglichem Winkel den Tormann ins lange Eck bezwang. Mit 4:0 wurde das Team der Deutschen unter der geschliffenen Führung von Trainer Felix Magath abgefertigt.
Tor des Turniers von Douglas Hoyos (Video: © Parlamentsdirektion)
Jetzt mussten nur noch die Schweizer liefern. Alleine dürfte die neuerliche Labung am vorabendlichen Schnitzelbuffet beim Heurigen wiederum keine gute Unterlage für das Match gegen Finnland gewesen sein. Aber unser westlicher Nachbar unterliegt ja keiner Beistandspflicht.
Österreich beendete das Jubiläumsturnier als Vizeeuropameister (bzw. Drittletzter hinter Finnland). Wir werden die nächsten elf Monate bis zur nächsten EM in der Schweiz einfach öfter trainieren und mehr Probespiele absolvieren – oder diesen immerwährenden Vorsatz neuerlich der Vergessenheit überbinden.
Teamgeist ohne Grenzen
FAQ-PS: „Du bist ja gar kein Abgeordneter mehr. Warum spielst du noch?“ – Weil ich auch in meiner bezugsfreien Politpension jederzeit vom FC Nationalrat einberufen werden kann. Offensichtlich braucht man meine Flanken.
Dementsprechend geht die Zusammensetzung des Teams nicht nur quer über alle Fraktionen, sondern auch Legislaturperioden. Als Abg. z. NR a. D. muss ich außerdem gestehen, dass ich bei vielen Neuzugängen unter den Teamkollegen nach den letzten Wahlen weder wusste, bei welcher Partei sie überhaupt sind, als ich sie bei den ersten Vorbereitungsspielen kennengelernt hatte, noch hat es mich besonders interessiert.
Dass das Zusammenspiel im österreichischen Team über alle Fraktionen hinweg gut funktioniert, erstaunt in der Regel nur jene Menschen, die selbst eine sehr verhärtete ideologische Sicht auf das Politikmachen haben. Auch wenn im Parlament und in der öffentlichen und medialen Kommunikation oft die Hackeln tief und die Fetzen fliegen, bleibt die rein prozessuale Gesprächsbasis trotz persönlicher Untergriffe zwischen Abgeordneten in der Regel gut.
Aus eigener Erfahrung würde ich behaupten, dass die meisten Politikerinnen und Politiker sehr gut zwischen emotionalisierter politischer Kommunikation und zwischenmenschlichem Umgang trennen können. Für mich war es jedenfalls nie ein Problem, mit einer Person das sprichwörtliche oder auch tatsächliche Bier trinken gehen zu können, egal aus welcher Fraktion. Mit welchen Abgeordneten man gut oder weniger gut persönlich zurechtkommt, hat weniger mit Parteizugehörigkeit zu tun – die eigene Partei explizit miteingeschlossen – als mit dem ganz normalen respektvollen und freundlichen persönlichen Umgang.
Eröffnung des Turniers (Foto: © Parlamentsdirektion/Thomas Topf)
Es ist also auch keine Überraschung, dass das Turnier von sportlicher Fairness getragen ist, und das ausgesprochen freundschaftliche alljährliche Treffen im D-A-CH-S-Raum im Vordergrund steht. Eine etwaige Bedrohung durch Harmoniesucht kann dennoch ausgeschlossen werden: Der Ehrgeiz und die fußballimmanente Härte am Platz fehlen auch bei diesem Wettkampf nicht – auch wenn einige Spieler schon deutlich älter sind als der FC Nationalrat.
NIKO ALM war Herausgeber von Vice, Gründer der Agenturgruppe Super-Fi und zuletzt Geschäftsführer der investigativen Rechercheplattform Addendum. Aktuell ist Alm mit Average unternehmerisch tätig. Von 2013 bis 2017 war er für NEOS Abgeordneter zum Nationalrat mit den Schwerpunkten Medien, Wirtschaft, Weltraum und Kultur. Darüber hinaus engagiert sich Niko Alm in mehreren Initiativen für Laizität. 2019 veröffentlichte er sein erstes Buch „Ohne Bekenntnis – Wie mit Religion Politik gemacht wird“.