Philippinen: Wenn Facebook die Wahl entscheidet
Der Präsident der Philippinen kam durch Desinformation in sozialen Medien an die Macht. Oppositionelle wurden verleumdet, Lügen in die Welt gesetzt, klassische Medien unter Druck gesetzt. Daniel Marjanović mit einem Rückblick auf die letzten Jahre – und einer Warnung, was Österreich blühen könnte.
Spätestens seit der „Trump-Wahl“ 2016 ist klar, dass soziale Medien auch in der Politik eine entscheidende Rolle spielen können. Die Politik nutzt sie, um sich direkt an die Wähler zu wenden und sie zur Stimmabgabe zu motivieren – und das nicht immer mit sachlicher Information.
Auf Social Media lassen sich auch Menschen erreichen, die politisch wenig interessiert sind und klassische Medien nur sporadisch konsumieren – gerade für sie sind Facebook und Co. eine wichtige Informationsquelle. Allerdings unterliegen sie im Vergleich zu traditionellen Medien weniger Richtlinien und gesetzlichen Vorschriften, was bekanntlich dafür sorgt, dass sich falsche Informationen viel schneller verbreiten können.
Welche Folgen das für Politik und Gesellschaft eines Landes haben kann, zeigt sich nicht nur in der Pandemie und im Laufe des Ukraine-Kriegs bei uns – sondern auch auf den Philippinen. Die Präsidentschaftswahl des asiatischen Inselstaats im vergangenen Jahr wurde maßgeblich durch Desinformation beeinflusst, möglicherweise sogar entschieden. Die Konsequenz ist ein autoritärer Herrscher, der die Geschichte neu schreiben lässt. Das sollte auch Österreich zu denken geben.
Das politische System der Philippinen seit der Wiederherstellung der Demokratie
Seit der friedlichen Revolution 1986 gegen den früheren Diktator Ferdinand Marcos Sr. und dessen Frau Imelda, die sich beide einen unrühmlichen Platz auf der Liste der korruptesten Tyrannen der Welt gesichert haben, sind die Philippinen eine (unvollendete) Präsidialdemokratie. Wahlen finden regelmäßig statt und sind (generell) frei, fair und geheim, allerdings gab es bis ins erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts immer wieder schwerwiegende Vorwürfe von Wahlfälschungen sowohl auf regionaler wie auch auf nationaler Ebene.
Die mit Abstand wichtigste politische Persönlichkeit auf den Philippinen ist der Präsident bzw. die Präsidentin – das Land hatte bereits zweimal ein weibliches Staatsoberhaupt. Er (oder sie) repräsentiert nicht nur die Nation, sondern regiert auch, denn einen Bundeskanzler bzw. Premierminister gibt es nicht. Dadurch verfügt der jeweilige Amtsinhaber über mindestens ebenso viel Macht wie sein Amtskollege in den Vereinigten Staaten – faktisch aber eher über mehr, da die „Checks and Balances“ auf den Philippinen schwächer ausgeprägt sind als in den USA. Die Amtsperiode des Präsidenten beträgt wie in Österreich sechs Jahre, eine Wiederwahl ist allerdings nicht zulässig. Um als Präsident gewählt zu werden, ist keine absolute Mehrheit notwendig, man muss lediglich mehr Stimmen haben als jeder andere Kandidat. Ebenso und separat von der Präsidentenwahl erfolgt auch die Wahl des Vizepräsidenten, wodurch Präsident und Vizepräsident nicht zwingend derselben Partei angehören müssen.
Die Regierungszeit Duterte
Der letzte Präsident, Rodrigo Duterte, versprach im Wahlkampf, Kriminalität – insbesondere die Drogenkriminalität – und Korruption nicht nur zu bekämpfen, sondern innerhalb von drei Monaten nach seiner Wahl komplett auszurotten. 2016 mit 39 Prozent der abgegebenen Stimmen zum Präsidenten gewählt, versuchte er dieses völlig illusorische Ziel zu erreichen, indem er die philippinische Polizei in eine „Todesschwadron“ umwandelte, die Nacht für Nacht Verdächtige einfach ermordete – darunter auch Minderjährige.
Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass dieser mörderischen Politik des Ex-Präsidenten ca. 30.000 Menschen zum Opfer gefallen sind, fast ausschließlich Arme und „bestenfalls“ Kleinkriminelle. Die staatlichen Stellen ihrerseits räumen mehrere tausend Opfer ein, der Internationale Strafgerichtshof ermittelt seit 2021 gegen Duterte. Der lautesten Kritikerin dieses „Drogenkriegs“, Ex-Senatorin Leila de Lima, warf der Präsident Vergehen gegen die Drogengesetzgebung vor, sie ist seit 2017 in Haft. Sowohl Amnesty International als auch das EU-Parlament betrachten sie als politische Gefangene.
Auch unangenehme Berichterstattung bekämpfte Duterte mit allen Mitteln. Das Nachrichtenportal Rappler wurde mit Klagen überzogen, und seine Gründerin, Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa, kurzzeitig verhaftet. 2020 ließ Duterte auch den größten Fernsehsender des Landes ABS-CBN wegen angeblicher Steuervergehen schließen. Während seiner Amtszeit wurden außerdem mehrere Dutzend Journalisten ermordet, was die Philippinen (erneut) zu einem der gefährlichsten Länder für Reporter überhaupt machte.
Wirtschaftlich und außenpolitisch lehnte sich Präsident Duterte an die Volksrepublik China an. So nahm er mehrere Kredite zu vergleichsweise hohen Zinsen bei chinesischen Banken auf, um sein Bauprogramm finanzieren zu können, was zu einem Anstieg der Staatsschulden führte. Außerdem reagierte er recht zurückhaltend auf aggressive chinesische Schritte im Territorialstreit um Inseln, Riffe und Atolle im Südchinesischen Meer, die auf den Philippinen als „West Philippine Sea“ bezeichnet werden.
Westliche Staatsoberhäupter hingegen beleidigte er dagegen teilweise sehr vulgär – so bezeichnete er sowohl Papst Franziskus als auch US-Präsident Obama als „Hurensohn“. Erwähnenswert ist auch, dass er die Bestattung des von ihm bewunderten ehemaligen Diktators Ferdinand Marcos auf dem Heldenfriedhof in Manila anordnete, sowie seiner Vizepräsidentin Maria „Leni“ Robredo von der Liberalen Partei vorwarf, sie würde mit Hilfe der CIA einen Staatsstreich gegen ihn planen. Beweise für diese hochverräterische Anschuldigung legte er nie vor.
Duterte und Marcos Jr. als „Einheitsfront“
Duterte konnte aufgrund der geltenden Verfassung nicht erneut zur Wahl antreten. Versuche seinerseits, die Verfassung zu ändern, waren nicht erfolgreich. Und nach einigen politisch etwas turbulenteren Wochen entschloss er sich, die Kandidatur von Ferdinand Marcos Jr., dem Sohn des ehemaligen Diktators und rechtskräftig verurteilten Steuerhinterzieher, zu unterstützen, den er zu Beginn des Wahlkampfs noch als Drogensüchtigen bezeichnet hatte. Im Gegenzug nominierte Marcos Jr. Dutertes Tochter Sara als Vizepräsidentin, zur Wahl traten sie als „Einheitsfront“ an. Sehr schnell entwickelte sich der Wahlkampf zu einem Duell zwischen Marcos Jr. und der von der Liberalen Partei unterstützten Kandidatin Maria Robredo.
Noch viel mehr als in vorherigen Wahlkämpfen erwies sich das Internet im Allgemeinen und Facebook im Besonderen als entscheidend – und niemand verstand bzw. nutzte das besser als Marcos Jr. und dessen Team. Die „Einheitsfront“ versprach wenig bis gar nichts Konkretes, abgesehen von der Halbierung des Reispreises kurz vor der Wahl. (Dieser blieb allerdings unverändert bzw. ist aufgrund der Inflation im Steigen begriffen.)
Aber sie verstand es ausgezeichnet, an die Emotionen der Wähler zu appellieren. In einer beispiellosen, sehr gezielten und äußerst gut gesteuerten Kampagne wurde die liberale Kandidatin in den sozialen Medien nicht nur aufs Heftigste diffamiert und verleumdet, sondern es wurde auch eine geschichtsrevisionistische Darstellung der Marcos-Diktatur propagiert. Keine Lüge war seinen Propagandisten zu abstrus, um nicht unters Volk gebracht zu werden.
Fake News dominieren den Wahlkampf
So soll Robredo ihren eigenen Ehemann ermordet haben – in Wirklichkeit starb dieser 2012 bei einem Flugzeugabsturz. Diktator Marcos soll 1972 das Kriegsrecht, und darauf aufbauend seine Diktatur, lediglich aufgrund seiner tiefen Liebe zur Nation eingeführt haben, da es sonst einfach nicht möglich gewesen sei, eine Machtübernahme der von der CIA gesteuerten philippinischen Kommunisten zu verhindern. Die USA hätten fest vorgehabt, den zu unabhängig-patriotisch agierenden Marcos durch ihre kommunistischen Marionetten zu ersetzen, um so ihre neokoloniale Herrschaft über die Philippinen erneut etablieren zu können – all das zu einer Zeit, in der der Vietnamkrieg auf einen neuen Höhepunkt zusteuerte und laufend US-Soldaten im Kampf gegen den Kommunismus fielen.
Ähnlich absurd war nur noch der Vorwurf an die Familie Aquino, sie selbst hätte einen von Marcos’ schärfsten Kritikern, den früheren Senator Benigno „Ninoy“ Aquino Jr. – also ihr eigenes Familienmitglied – 1983 ermordet. Und das nur, um diese Schuld perfiderweise dem völlig unschuldigen Präsidenten anzulasten, um ihn so knapp drei Jahre später stürzen zu können und selbst die Macht zu übernehmen.
Aquino Jr. war Senator und Generalsekretär der Liberalen Partei und erkannte schon recht früh die diktatorischen Ambitionen von Ferdinand Marcos Sr. Er wurde auch aufgrund seines Redetalents zu einem der führenden Oppositionellen. Bei Ausrufung des Kriegsrechts 1972 wurde er sofort verhaftet und 1977 von einem Militärgericht zum Tode verurteilt – es rettete ihn allein der Umstand, dass Diktator Marcos es 1980 für opportuner hielt, ihn zur medizinischen Behandlung in die USA ausreisen zu lassen. 1983 reiste er, ähnlich wie der russische Oppositionelle Alexei Nawalny knapp 40 Jahre später, auf eigenen Wunsch und trotz Todesdrohungen wieder in die Philippinen ein. Gleich nach der Landung der Linienmaschine wurde er von drei Soldaten hinausgeführt. Kaum hatte er das Freie betreten, wurde ihm aus nächster Nähe gezielt in den Kopf geschossen – ein brutaler Mord, der bis heute nicht vollständig aufgeklärt ist.
Den „klassischen“ Wahlkampf vermied Marcos hingegen so gut wie möglich. Er lehnte es ab, sich von ihm nicht nahestehenden Journalisten interviewen zu lassen, da diese „voreingenommen“ seien, und blieb auch der „Elefantenrunde“ im Fernsehen fern. Wie aber die Wahl zeigen sollte, war das für ihn kein Nachteil – denn Marcos Jr. erhielt fast 59 Prozent der Stimmen, mehr als jeder andere Präsidentschaftskandidat seit 1986. Und Sara Duterte als Vizepräsidentin fast 62 Prozent, ebenfalls ein Rekord.
Die Regierung Marcos Jr.
Präsident Marcos ist noch kein volles Jahr im Amt, außen- und wirtschaftspolitisch folgt er im Großen und Ganzen dem Kurs seines Vorgängers. So verurteilten die Philippinen zwar verbal den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, beteiligen sich aber nicht an den Sanktionen gegen Russland, sondern kaufen im Gegenteil billiges Gas von dort.
Auch gegenüber China ist Marcos zurückhaltend: Als im Februar 2023 ein chinesisches Kriegsschiff ein philippinisches innerhalb der von beiden Staaten beanspruchten Gebiete mit Laserblendwaffen angriff und mehrere philippinische Matrosen vorübergehend ihr Augenlicht verloren, reichte er zwar diplomatischen Protest ein, erklärte aber auch, dass dieser Angriff kein Grund sei, den Verteidigungspakt mit den USA zu aktivieren. Allerdings erlaubte er kurz darauf dem philippinischen Militär, die Zusammenarbeit mit den Streitkräften der Vereinigten Staaten zu vertiefen.
Innenpolitisch setzt Marcos Jr. einige neue Akzente. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Auflösung einer Antikorruptionsbehörde sowie die Anweisung an das Bildungsministerium (dem seine Vizepräsidentin vorsteht) die Geschichtsbücher zu überarbeiten, da die Regierungszeit seines Vaters in diesen „nicht korrekt“ dargestellt wird.
Was den „Drogenkrieg“ angeht, so erklärte seine Regierung, diesen mit legalen Mitteln führen zu wollen. Die damit im Zusammenhang stehenden Morde haben daraufhin fast über Nacht ein Ende gefunden. Eine Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof lehnt Marcos aber ab, schließlich würden die Vorwürfe der außergerichtlichen Tötungen ohnehin von der philippinischen Justiz untersucht werden. Stil und Umgangsformen mögen zwar ohne Zweifel besser als die seines Vorgängers sein, aber an einem Bruch mit der autoritären Politik seines Vorgängers scheint er zumindest bisher kein Interesse zu haben. Ex-Senatorin de Lima ist übrigens weiterhin in Haft.
Die Philippinen zeigen, warum Social Media Regeln braucht
Wahlen sollten eigentlich Wettbewerbe sein, wo jede Partei bzw. jeder Kandidat ihre bzw. seine Ideen für die Zukunft präsentiert und die Wähler sich für diejenige entscheiden, die ihnen am besten zusagt. Die Präsidentschaftswahl auf den Philippinen 2022 war dagegen dominiert von Fake News, Propaganda und übelsten Verleumdungen. Facebook sperrte zwar nach langem Zögern einige der schlimmsten „Infokrieger“, aber das war lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein – und das von ihnen versprühte Gift tat auch weiterhin seine Wirkung. Solche Verhältnisse sind in Österreich glücklicherweise (noch?) nicht anzutreffen, aber die Philippinen führen uns ebenso wie die Vereinigten Staaten und Brasilien klar vor Augen, welche Folgen weitgehend unkontrollierte soziale Medien für die Demokratie haben können.
Auf den „guten Willen“ der sozialen Medien selbst zu hoffen, ist illusorisch – nicht nur bei einer so erratisch reagierenden Persönlichkeit wie Twitter-Chef Elon Musk. Spätestens seit den Facebook Files ist klar ersichtlich, dass ihr Geschäftsmodell darauf beruht, Aufmerksamkeit zu generieren – und dass sie diese mit Fake News, Lügen, Verschwörungstheorien und allem, was negative Emotionen anstachelt, weitaus besser erreichen können als mit sachlicher Information. Die Vergiftung des politischen Klimas, ja, selbst die aus Fake News resultierenden Todesfälle nehmen soziale Medien für dieses Geschäftsmodell in Kauf – wodurch sie sich wissentlich zu Komplizen skrupelloser Demagogen und selbsternannter Koryphäen machen.
Man kann nicht von diesen Firmen erwarten, dass sie ihr eigenes Geschäftsmodell beschneiden. Daher braucht es klare Regeln, die auch durchgesetzt werden müssen, so wie bei den klassischen Medien auch. Ansonsten könnte Facebook in Zukunft bald regelmäßig Wahlen entscheiden. Nicht nur auf den Philippinen – sondern auch in Österreich.
DANIEL MARJANOVIC hat Internationale Entwicklung und Deutsch als Fremdsprache studiert. 2008 als Zivilersatzdiener zum ersten Mal auf die Philippinen gekommen, hat ihn dieses beeindruckende Land voller Gegensätze seither nicht mehr losgelassen. 2015 begann er dann als Deutschlehrer am Goethe-Institut in Manila zu unterrichten, 2016 wechselte er zu Mercedes-Benz Philippinen, wo er heute hauptverantwortlicher Lehrer des firmeninternen Deutschlernprogramms ist.