So investiert Österreich
Wie investiert Österreich? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Austrian Investing Report 2022, der im Frühjahr veröffentlicht wurde. Im 33-seitigen Investing Report werden die Investmenttätigkeit, Verhalten und Motive beleuchtet, dazu wird 2022 mit einem Ausblick auf 2023 verglichen. Befragt wurden sogenannte Angels-Personen, die sich finanziell, aber oft auch mit Expertise und Know-how an Unternehmen beteiligen, und institutionelle Investor:innen.
Der Report ist eine umfangreiche Sammlung an Diagrammen und Statements, die Einblicke in die österreichische Investmentlandschaft liefert. Hinter der Publikation stehen zwei der relevantesten österreichischen Institutionen auf dem Gebiet: invest.austria und Austria Wirtschaftsservice. Umgesetzt wurde die Studie vom WU Entrepreneurship Center und dem Wirtschaftsforschungsinstitut EcoAustria. Laut Report ist der „zentrale Beweggrund aller Mitwirkenden […], Österreichs Wirtschaftsstandort durch den Zugewinn wissenschaftlicher Erkenntnisse nachhaltig zu fördern“. Aber was genau sind diese Erkenntnisse, und welcher Handlungsbedarf ist insbesondere aus der politischen Perspektive daraus abzulesen?
1. Die Investitionslage 2023 wird herausfordernd.
Für das Jahr 2023 planen sowohl institutionelle als auch Angel-Investor:innen, weniger Investments zu tätigen, aber ihre „Exits“ zu steigern. Daraus folgert der Report, dass es „frühphasige Unternehmen in 2023 schwerer haben werden, ein Investment zu erhalten, als reifere Unternehmen“.
Die Schlussfolgerung der Autor:innen scheint sich bereits in den Zahlen aus dem ersten Quartal 2023 zu bewahrheiten. Laut dem Magazin Sifted erlebte Europa in Q1 das schwächste Fundraising-Quartal seit sechseinhalb Jahren: Die Finanzierung in Europa ist im Vergleich zum letzten Jahr um 58 Prozent zurückgegangen.
Ob der Wunsch der österreichischen Investor:innen nach mehr Exits mit weniger Investments aufgeht, ist offen – besonders, wenn es um Unicorns (Einhorn) geht. Ein „Unicorn“ ist ein Startup, das eine Bewertung von mindestens einer Milliarde US-Dollar erhält. Zwischen Jänner und März 2023 wurde nur ein einziges Unicorn geboren: das deutsche KI-Übersetzungs-Startup DeepL. Damit ist Q1 2023 das schlechteste Quartal für die Gründung von Einhörnern seit Q2 2020, dem Höhepunkt der Pandemie.
2. Es gibt eine Gender-Kluft beim Investieren
Dass im Austrian Investing Report explizit der Begriff „Gender Funding Gap“ genutzt wird, zeigt, dass sich die Autor:innen bewusst sind, dass es sich hierbei um ein strukturelles Problem handelt, das auch politisch adressiert werden muss. Doch wenn es um Startups und Investments geht, ist es leider eine Untertreibung, von einer geschlechterspezifischen Finanzierungslücke bzw. Gender Funding Gap zu sprechen – was sich hier auftut, ist eine Kluft.
Im Report wurde nämlich auch die geschlechtsspezifische Teamzusammensetzung der Beteiligungsunternehmen abgefragt. Mit einem leider wenig überraschendem Ergebnis: Startups mit gemischtgeschlechtlichen Gründungsteams sind stark unterrepräsentiert. In Kapitel 2 des Reports liest man dazu:
„Auch wenn Österreich mit 28 % im EU-Vergleich einen überdurchschnittlichen Anteil von Startups mit weiblichen und männlichen Gründer:innen hat, erfolgt nur etwa ein Fünftel der Beteiligungen von institutionellen Investor:innen (17,0 %) und Angel Investor:innen (21,0 %) in solche gemischte Teams.“
Damit bestätigt der Report die Ergebnisse des Female Startups & Investing-Report, der zum Schluss kam, dass in Österreich nur etwa jeder neunte investierte Euro an Startups mit gemischtgeschlechtlichen Teams geht. Fazit: Insbesondere die Rekordinvestments des Vorjahrs gingen überwiegend an rein männliche Gründungsteams.
Kleiner Reminder: Hier reden wir immer noch über gemischtgeschlechtliche Teams. Also Startups, bei denen zumindest eine weibliche Gründerin beteiligt ist. Die Zahlen und Statistiken zu rein weiblichen Gründerinnen-Teams sind noch weitaus drastischer: Im Jahr 2022 gab es in Österreich 130 Investitionsrunden – nur zwei davon gingen an rein weibliche Gründerteams. Das sind 1,5 Prozent. Dass es hier politischen Handlungsbedarf gibt, ist glasklar. Finanzierung, Kinderbetreuung, gerechte Aufteilung von Care-Arbeit und weibliche Vorbilder: Das sind nur ein paar der Schrauben, an denen auch seitens der Politik endlich gedreht werden muss.
Schlussendlich ist es auch interessant, in diesem Hinblick auf die Teilnehmer:innen des Fragebogens zu schauen. Denn ein Gender Gap klafft nicht nur bei den Gründer:innen, sondern auch bei den Investor:innen: Auch im Austrian Investing Report 2022 sind die Teilnehmenden sehr ungleich verteilt. Insgesamt beträgt der Frauenanteil etwa 10 Prozent – unter Angel-Investor:innen ist der Frauenanteil mit etwa 11,1 Prozent etwas höher, unter institutionellen Investor:innen beträgt er nur 6,5 Prozent.
3. Förderungen setzen positive Signale
Etwa die Hälfte der Beteiligungsunternehmen der Investor:innen hat seit der Gründung eine Förderung erhalten. Was bedeutet das? Insbesondere öffentliche nicht rückzahlbare Zuschüsse haben eine große Signalwirkung und sind ein zusätzlicher Anreiz für Investor:innen, Geld aus dem privaten Sektor zuzuschießen. Der Report hält fest: Förderungen können als positives Signal auf Investor:innen wirken.
In Österreich und insbesondere in Wien besteht eine gute öffentliche Förderinfrastruktur. Wenn Startups es 2023 schwerer haben, im privaten Sektor Finanzierung zu finden, wird es hier höchstwahrscheinlich zu einem Anstieg der Bewerbungen kommen. Das bedeutet zum einen, dass der Bereich Förderungen kompetitiver wird, zum anderen aber auch, dass der Hebel größer wird, politisch zu lenken.
Dabei könnte z.B. ein Augenmerk auf die geschlechterbezogene Zusammensetzung der Gründer:innen-Teams gelegt – und strategisch können Fokusthemen gesetzt werden, die auf die Bewältigung gesellschaftspolitischer Herausforderungen durch innovative Geschäftsmodelle und neue Technologien abzielen, z.B. im Bereich Klimaschutz.
4. Künstliche Intelligenz ist das Fokusthema
Spätestens seit ChatGPT ist das Thema KI (künstliche Intelligenz) in aller Munde. Gefühlt schießen jede Woche neue KI-Startups aus dem Boden. In Österreich gibt es laut enliteAI bereits jetzt mehr als 150 KI-Startups. Aber auch viele Scaleups, wie zum Beispiel GoStudent und Bitpanda, hoffen, durch KI ihr Geschäft zu vergrößern. Das passt thematisch gut in die Fokussierung der Investor:innen. 45,5 Prozent der institutionellen Investor:innen und fast 30 Prozent der Angels wollen 2023 in KI investieren.
Das bedeutet zwar für KI-Startups zumindest deutlich bessere Aussichten als für manch andere. Trotzdem braucht es in Österreich auch aus politischer Sicht noch mehr Engagement im Bereich KI. Momentan werden nämlich 73 Prozent der großen KI-Modelle in den USA und 15 Prozent in China entwickelt. Angesichts dieser Entwicklung muss man sich zu Recht um die europäische Digitalwirtschaft sorgen. KI wird im Wirtschaftsleben zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor werden, und diese Entwicklung sollte Österreich nicht verschlafen.
Eine schlüssige und zeitgemäße KI-Strategie und Investitionen in Grundlangenforschungen wären ein guter Anfang: Die KI-Strategie der österreichischen Bundesregierung, die Artificial Intelligence Mission Austria 2030, hat im Jahr 2021 7 Millionen Euro angekündigt. Damit investiert Österreich in etwa so viel wie Uganda und Mexiko in KI-Grundlagenforschung. Zum Vergleich: Deutschland hat in den letzten fünf Jahren mit fünf Milliarden Euro 100 KI-Professuren aufgebaut und will gerade erneut 5 Milliarden Euro investieren.
5. Es gibt Aufholbedarf bei den Rahmenbedingungen
Im Zuge der Präsentation der Studienergebnisse bekräftigten die Invest Austria und die Wirtschaftskammer einmal mehr ihre Forderung nach der Einführung eines Beteiligungsfreibetrags. Ein derartiger könnte auf Investor:innen-Seite laut Christiane Holzinger, Invest Austria Boardmember und Business Angel, insbesondere bei Erstinvestments, das gestiegene Investitionsrisiko teilweise abfedern. Gefordert wurden außerdem weniger Bürokratie beim Gründen sowie eine Mitarbeiter:innenbeteiligung.
„Am vorbörslichen Kapitalmarkt ist es nicht fünf vor zwölf, sondern bereits fünf nach zwölf – Österreich muss hier die Weichen für ein entsprechendes Finanzierungsumfeld schaffen.“
Christiane Holzinger
Seit Veröffentlichung des Reports hat sich auf politischer Seite auch etwas bewegt: Im Mai wurde das Startup-Paket der Bundesregierung präsentiert, bis 7. Juli lief die Begutachtungsfrist. Geplant ist eine neue Gesellschaftsrechtsform FlexKap, auch FlexCo genannt: Bei der neuen Kapitalgesellschaftsform soll das Stammkapital bei GmbHs und FlexKapG auf 10.000 Euro gesenkt werden. Außerdem ist eine neue Regelung für die Beteiligung von Mitarbeiter:innen geplant, die jungen Firmen, die noch nicht mit großen Gehältern punkten können, dabei unterstützen soll, Talente langfristig ans Unternehmen zu binden.
Für diesen Vorstoß erhielten Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) und Justizministerin Alma Zadic (Grüne) bei der Präsentation im Innovationshub weXelerate in Wien viel Zustimmung von Branchen-Vertreter:innen. Doch mittlerweile gibt es doch einiges an Kritik: Hans Harrer, der Vorstandsvorsitzende des Senat der Wirtschaft, bezeichnet die Initiative der Bundesregierung als „absolutes Minimum“ und kritisiert Deckel und Fristen für die geplante Mitarbeiter:innenbeteiligung. Auch seitens AustrianStartups heißt es bezugnehmend darauf, dass man „bei einigen Punkten im Zuge der Begutachtung nachbessern sollte“.
Fazit: Eine Herausforderung für Startups, Investor:innen und den Wirtschaftsstandort
2023 stehen Gründer:innen und Investor:innen vor erheblichen Herausforderungen, die jedenfalls eine Wirkung auf den Wirtschaftsstandort Österreich haben werden. Das ist bereits jetzt sichtbar. Es ist, wie Christiane Holzinger sagt, „nicht fünf vor zwölf, sondern bereits fünf nach zwölf“, wenn es darum geht, dringliche Forderungen der Branchenvertreter:innen in Angriff zu nehmen.
Der Report, die Kritik am Startup-Paket und auch die aktuellsten Zahlen aus dem ersten Quartal 2023 zeigen, dass es seitens der Politik Handlungsbedarf gibt: Initiativen zur Schließung des Gender-Pay-Gap, eine Einführung eines Beteiligungsfreibetrags, weniger Bürokratie beim Gründen und eine passende Regelung zur Beteiligung der Mitarbeiter:innen wären ein guter Anfang.
SOFIA SURMA ist Feministin, Gründerin und Vulva-Enthusiastin. Seit sie 2018 Viva La Vulva gegründet hat, beschäftigt sie sich intensiv mit der Enttabuisierung weiblicher* Sexualität und der Vulva. Auch als Gründerin des Vulva Shops setzt sie sich für die Gleichberechtigung und die Enttabuisierung der weiblichen* Sexualität ein.