Was bei der Kinderbetreuung fehlt
Kinderbetreuung schwankt zwischen einem Instrument für Rabeneltern, für Chancengleichheit und Mittel zur Selbstermächtigung. Verändert hat sich in den letzten Jahren aber nur wenig. Klar ist nur: Es wird gestritten. Aber was würde es wirklich brauchen, und woran hakt es?
„Kann ich ein Bundesland aufhetzen?“
Selbst ohne Kontext ist der Satz mittlerweile symptomatisch für die Machtpolitik der Kurz-ÖVP. Damit zu tun haben will aber keiner.
Zum Kontext aber noch einmal: 1,2 Milliarden Euro hätten (angeblich) für einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung und einen Ausbau der Nachmittagsbetreuung zur Verfügung stehen sollen. Sebastian Kurz fand das gar nicht gut und wollte dementsprechend eskalieren und das verhindern.
Wer sich ein bisschen auskennt im österreichischen Polit-Zirkus, sollte aber alleine bei der Nachricht über eine Einigung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden stutzig werden. De facto kommt so etwas nämlich nie vor und das Land versinkt deshalb in einigen Bereichen in einer Mischung aus Stillstand und halbgaren Überbrückungslösungen, die hoffentlich irgendwann einmal zu richtigen Lösungen werden. Wenn sie es werden, schaffen sie es oft nicht mit strukturierten oder transparenten Finanzierungsströmen – aber das ist in Österreich ohnehin nur selten.
Oft hängt das eben mit der heiligen Dreifaltigkeit aus Bund, Ländern und Gemeinden zusammen und spätestens auf der Gemeindeebene hapert es an der Nachvollziehbarkeit ganz gewaltig. Bei 2.093 Gemeinden und keiner Verpflichtung zur Offenlegung der Budgets und Rechnungsabschlüsse aber auch kein Wunder. Und Kinderbetreuung ist eben genau so ein Punkt: Jeder braucht sie, jeder sagt, wie wichtig sie ist und irgendwie … hinken wir trotzdem seit Jahren bei den Betreuungsquoten hinterher.
Seit 2002 ist der Zielwert bei Kinderbetreuungsplätzen für 33 % der Kinder bis drei Jahren und Plätzen für 90 % der Kinder zwischen drei Jahren und der Einschulung. Bei älteren Kindern geht das mittlerweile, aber bei Kleinkindern? Offenbar keine Chance. 2000 lag ihre Betreuungsquote bei 7,7 Prozent, 2015 bei 25,5 und 2020 bei 27,6. Das sieht nach Stagnation aus. In diese Zeit fallen wohlgemerkt auch die ominösen 1,2 Milliarden für Kinderbetreuung.
Lösungen in der Kinderbetreuung
Die Frage ist aber: Ist der weitere Ausbau überhaupt gewollt? Das Geld für die Kinderbetreuung muss nämlich auch richtig verwendet werden. Einige Lösungsansätze wären:
- Ausbau der Kinderbetreuung – und zwar einen Ausbau, der nicht aus Anschubfinanzierungen besteht, sondern in dem auch der Betrieb inklusive Personalkosten finanziert wird. Jetzt gibt es nämlich immer neue Ausbaumodelle und infolgedessen geht ein großer Teil des Geldes in die Gebäudekosten.
- Kostenfreie Kinderbetreuung und Pluralität bei Betreibern – weil wir sehen, dass es nicht immer klug ist, wenn die Gemeinde Arbeitgeberin ist. Mehr Betriebskindergärten in Kooperationen mit Gemeinden, damit Eltern besonders Kleinkinder eher in der Nähe der Arbeit haben und nicht 30 Minuten bis zur Heimatgemeinde fahren müssen, wenn einmal etwas passiert.
- Mehr Elementarpädagog:innen und dafür eine Anpassung der Ausbildung anstelle des Schulmodells. 15-Jährige treffen selten Entscheidungen mit der Überlegung, was sie in 20 Jahren machen wollen – geschweige denn in 40. Auch hier muss das System flexibler für verschiedene Arbeitsrealitäten werden, Ausbildungen sollten modal und aufbauend erfolgen.
- Bessere Arbeitsbedingungen, also kleinere Kindergruppen pro Pädagog:in, mehr begleitendes Personal, klare Richtlinien über die Aufgaben. Eltern dürfen Erziehung nicht an Kindergärten auslagern, sondern müssen ihren Anteil der Erziehungsarbeit auch selbst leisten und Kinderbetreuungseinrichtungen als Bildungseinrichtungen anerkennen.
- Ambitionierte Pläne für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ja, dafür muss man von der Idee abkehren, dass jeder an fünf Tagen die Woche acht Stunden arbeitet. Wenn alle an fünf Tagen die Woche acht Stunden arbeiten, muss der Kindergarten auch länger als diese acht Stunden geöffnet bleiben. Dazu braucht es mehr Personal, das in unterschiedlichen Schichten arbeitet, sodass beispielsweise Kinder in einer Gruppe immer an zwei oder drei Pädagog:innen als Bezugspersonen gewöhnt sind.
- Ein Ende des Heimdenkens. Wer Karenzen nicht aufteilen und Väter nicht in die Verantwortung nehmen will, kann in eine Gemeinde wie Seekirchen oder Landach ziehen, in der man einen Bonus bekommt, wenn man sein Kind NICHT in den Kindergarten gibt. Diese Gemeinden mögen zwar denken, dass sie so Kosten für Kindergartenpersonal einsparen – dafür erhöhen sie das Risiko von Frauen für Altersarmut, reduzieren die Vollzeiterwerbsquote ihrer eigenen Bevölkerung und reduzieren die Steuereinnahmen. Und von denen könnte man wiederum leichter mehr Pädagog:innen zahlen. Aber langfristiges, wirtschaftliches Denken fehlt dem österreichischen Staat und seinen Körperschaften leider oft.
Wenn die Familienministerin als Reaktion auf geleakte Chats also sagt, dass Unwahrheiten über Kinderbetreuung aufgeklärt werden sollen, dann muss sie das auch ernst nehmen. Klar wurde seit 2017 viel Geld für Kinderbetreuung in die Hand genommen – in diese Summe für Kinderbetreuung fließt aber auch ein, dass die Betreuung in Schulen ausgebaut wurde. Davon haben Eltern von Zweijährigen aber nichts, wenn sie beispielsweise mangels Babysitting bei den Großeltern nicht Vollzeit arbeiten können. Aber was wo wie nötig ist und welchen Umsetzungswillen es politisch wirklich braucht, ist wohl immer eine Ansichtssache. Zumindest, wenn Ziele tatsächlich erreicht werden sollen.