Wie das Washington-Monument- Syndrom den politischen Diskurs in Österreich bestimmt
Österreich leidet an einem Syndrom – ohne es zu wissen. Doch die Diagnose ist eindeutig. Man kennt es unter dem Namen Washington-Monument-Syndrom oder auch als Mount-Rushmore-Syndrom. Alternativ wird es auch als Feuerwehrmänner-zuerst-Prinzip bezeichnet. Es beschreibt jene Handlungen von staatlichen Institutionen und politischen Parteien, die zuallererst gesetzt werden, wenn Budgetkürzungen drohen. Und wenn man sich die aktuelle Entwicklung der österreichischen Wirtschaft ansieht, drohen diese durchaus in der kommenden Regierungsperiode. Ein Sparpaket wird kommen, und es wird sich von allen Seiten entsprechend dagegen gewehrt werden.
Das Washington-Monument-Syndrom bezeichnet die politische Taktik, jene öffentlichen Dienstleistungen, die unter der Bevölkerung besonders beliebt oder wichtig sind, lauthals als bedroht zu propagieren, sobald man mit Kürzungen im Budget konfrontiert ist. Im Falle der beliebten Tourismusdestinationen des Washington Monument oder Mount Rushmore konnte sich der amerikanische National Park Service, als er mit Budgetkürzungen konfrontiert war, plötzlich den Zugang für Tourist:innen und Besucher:innen zu diesen Sehenswürdigkeiten nicht mehr leisten.
In Österreich erleben wir das Washington-Monument-Syndrom auf vielfältige Weise. In einem Land mit hoher Staatsquote und einem umfangreichen Sozial- und Wohlfahrtsstaat haben es sich über viele Jahre sehr viele Menschen und entsprechende Bürokratien gemütlich gemacht. Diese haben nun einen Anreiz, ihr jeweiliges Budget stets möglichst zu maximieren und nicht bei sich selbst sparen zu müssen. So warnen Politiker:innen und Interessenvertreter:innen schnell davor, dass Forderungen nach einer besseren Verwendung von Steuergeldern und Einsparungen direkt zu empfindlichen Leistungskürzungen führen werden. Populäre öffentliche Dienstleistungen rund um Sozialstaat, Infrastruktur, Bildung oder Gesundheit sind meist die ersten Opfer, die von Budgetkürzungen bedroht wären. Nicht aber das üppig ausgestattete System selbst. Eine gezielte politische Taktik, um Reformen unbeliebt zu machen.
Ein drohendes Sparpaket und viele Monumente
Österreich lebt aktuell über seine Verhältnisse. Trotz Rekordsteuereinnahmen wird das Budgetdefizit für das Jahr 2024 voraussichtlich 3,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen und damit die EU-Defizitobergrenze von 3 Prozent überschreiten. Ca. 20,9 Milliarden Euro wird der Staat im Jahr 2024 mehr ausgeben, als er in derselben Zeit einnimmt. Für 2025 erwartet der Fiskalrat erneut ein Defizit von 3,2 Prozent. Die Maastricht-Kriterien für solche Budgetdefizite und Staatsverschuldung werden verfehlt. Trotz ökosozialer Steuerreform, teilweiser Abschaffung der kalten Progression sowie Senkung der Körperschaftsteuer hat es Österreich geschafft, seine Steuer- und Abgabenquote im Jahr 2024 zu steigern.
Die Steuer- und Abgabenbelastung in Relation zu den Arbeitskosten beträgt in Österreich 47,47 Prozent. Innerhalb der Europäischen Union nehmen nur Belgien und Deutschland ihrer arbeitenden Bevölkerung noch mehr Steuern und Abgaben ab. Bei der generellen Steuer- und Abgabenquote liegt Österreich mit 43,2 Prozent ebenso auf Platz drei hinter Frankreich und Belgien. Die Luft nach oben, um mit neuen Steuern das Budget zu sanieren, ist damit sehr dünn. Ineffiziente Substanzsteuern wie die Vermögenssteuer oder Erbschafts- und Schenkungssteuern lösen das Problem ebenso nicht. Zudem droht uns mit der Pensionswelle der Babyboomer-Generation eine noch größere Budgetposition bei den Pensionen. Mit über 30 Milliarden Euro pro Jahr Zuschuss aus dem allgemeinen Budget ist Österreichs Pensionssystem vermutlich das größte Washington Monument des Landes. Eine Anhebung des Pensionsantrittsalters von 65 auf 67 Jahre und weitere notwendige „unglaubliche Anstrengungen“ werden von der Alterssicherungskommission empfohlen, um das Pensionssystem im finanzierbaren Rahmen zu halten. Jedoch werden diese notwendigen Maßnahmen politisch unbeliebt gemacht.
Österreichs Wirtschaft von Österreich stagniert bereits seit 2019. In den letzten fünf Jahren ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes um 1,5 Prozent gefallen und das reale BIP pro Kopf sogar um 1,7 Prozent geschrumpft. Durch das hohe Budgetdefizit werden die Auswirkungen von Österreichs maroder Wirtschaftslage im Wahljahr 2024 aktuell noch verschleiert. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die kommende Regierung des Landes diesen Kurs lang so fortführen kann. Der Präsident des Fiskalrats, Christoph Badelt, spricht zu Recht davon, dass nach den Wahlen etwas anderes passieren wird, als aktuell versprochen wird. Österreichs Politik erfindet inzwischen munter weiter immer neue Staatsausgaben und Wege zur Aufblähung des Staats – trotz Rekorden bei Steuereinnahmen, Steuer- und Abgabenquote und Staatsschulden.
Monumente gegen Reformen
Ein Sparpaket wird kommen müssen. Und mit ihm ein großer Aufwand, Gegenwind zu erzeugen und Reformen möglichst schlechtzureden. Politiker:innen und Interessenvertreter:innen werden sich hinter dem Washington-Monument-Syndrom verstecken. Die Drohungen von empfindlichen Leistungskürzungen werden als Schutzschilde gegen notwendige Reformen verwendet werden. Von jeder Form von möglichen und wünschenswerten Einsparungen am System wird abgelenkt werden. Der Wunsch nach besserer Verwendung von öffentlichen Geldern wird schon bald den Sozialstaat bedrohen und den Bau von Schulen und Krankenhäusern verhindern.
Ein notwendiger erster Schritt zur Rettung der Wirtschaft ist die Senkung der exorbitant hohen Lohnnebenkosten in Österreich. Nicht nur sind diese im internationalen Vergleich um zwei Drittel höher als der OECD-Durchschnitt, sie enthalten auch eine ganze Reihe an Zahlungen, die eigentlich nicht der Definition von Lohnnebenkosten gerecht werden. Zwischen 8,72 und 8,8 Prozent weniger Lohnnebenkosten wären möglich, ohne Leistungen für Arbeitnehmer:innen kürzen zu müssen, wenn Positionen wie der Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) oder die nicht zweckgebundene Wohnbauförderung, die oft ins allgemeine Budget statt in den Wohnbau fließt, herausgenommen werden. Den meisten arbeitenden Menschen sind diese „Lohnnebenkosten“ jedoch nicht mal bewusst, da sie nicht auf ihrem Lohnzettel aufgelistet werden.
Von Interessenvertretungen wie der Arbeiterkammer (AK) oder dem Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) tönt es hierzu sofort, dass jede Form von Senkung der Lohnnebenkosten sofort eine Kürzung der Leistungen für die Menschen, etwa im Falle von Krankheit, Unfall oder Alter, bedeuten würde. Eine Kürzung der Lohnnebenkosten würde nicht zu notwendigen Einsparungen führen, sondern direkt massive Budgetlücken in den Sozialstaat reißen. Jede Möglichkeit der Einsparung am System selbst bleibt unerwähnt. Die Arbeiterkammer selbst lebt von den gegenüber den Arbeitnehmer:innen versteckten Lohnnebenkosten, schwimmt in Geld und sah dabei keinerlei Veranlassung, während einer globalen Pandemie oder der höchsten Inflationsphase seit fünf Jahrzehnten eine Senkung der Zwangsgebühren zur Entlastung des Faktors Arbeit anzudenken. Stattdessen will man – wer hätte es geahnt – mit dem Geld noch mehr Leistungen von oft fragwürdiger Nützlichkeit bieten.
Eine politische Taktik, die Österreich sich nicht mehr leisten kann
Die Politik in Österreich überbietet sich gegenseitig stets mit noch mehr Staatsausgaben und öffentlichen Leistungen, während die Wirtschaft des Landes nicht mehr stark genug dafür ist. Jede:r im staatlichen System versucht sein Budget möglichst zu maximieren und dann bei der Gefahr von Budgetkürzungen möglichst auffällig mit schmerzhaften Leistungskürzungen zu winken. So soll der Status quo beibehalten werden, in dem viel Geld in ineffizienten Systemen versickert und echte Reformen verhindert werden. Dabei gibt es in jedem Budget viele Möglichkeiten für Einsparungen, ganz besonders in einem so umfassend finanzierten Staat wie Österreich mit einer Staatsquote jenseits der 53 Prozent. Zersplitterung der Kompetenzen in Bund, Länder, Krankenkassen, Förderungen, teure Verwaltung, Klientelpolitik, unproduktive Investitionen etc. kommen erschwerend hinzu.
Die ÖVP versteckt die missliche Lage der Wirtschaft des Landes aktuell noch unter 21 Milliarden Euro Budgetdefizit und hofft, den Handlungsbedarf der nächsten Regierung zu übertragen. Bis dahin ist sie bemüht, jede noch so kleine positive Nachricht über Österreichs Wirtschaftslage auf allen Kanälen zu kommunizieren. Das SPÖ-Wahlprogramm sieht höhere Steuern und eine Reihe neuer staatlicher Leistungen als aktuell angebracht an. In Anbetracht der wirtschaftlichen Lage Österreichs kommen solche Ideen zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt und sind nichts anderes als unfinanzierbar. Weder kann sich Österreichs Wirtschaft noch mehr Steuern und Abgaben leisten, noch ist Geld da für höhere Staatsausgaben oder Experimente wie eine 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich.
Steuersenkungen und weniger Staat sind nun angebracht, um die schwächelnde Wirtschaft wieder in Schwung bringen sowie unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit zu retten. Diese Diskussion muss jetzt und in den kommenden Jahren geführt werden, da wir einerseits bei der Steuer- und Abgabenquote bereits am Anschlag sind und die schrumpfende Wirtschaftsleistung, die schlechte Demografie und explodierende Kosten – allem voran bei den Pensionen – zwangsweise zu Sparmaßnahmen führen werden müssen. Und das bedeutet, dass wir über die Notwendigkeit von vielen der österreichischen Monumente, die unsere hohe Staatsquote ausmachen, sprechen werden müssen.
LUKAS LEYS ist Unternehmer, Gründer des Legal-Tech-Startups kontractory und Betreiber der Plattformen immobily.io, mietrecht.ai und gmbh.legal. Ihn treibt ein starkes Interesse am technologischen Fortschritt und an den gesellschaftlichen Auswirkungen, die diese mit sich bringen wird. Sein Schwerpunkt liegt auf Blockchain-Technologie, Smart Contracts und dem Metaverse.