Identitätspolitik und Antidiskriminierung – ein Widerspruch in sich
In Deutschland vertritt die neue Antidiskriminierungsbeauftragte identitätspolitische Positionen, die für viele Kontroversen gesorgt haben.
Die Ernennung von Ferda Ataman zur Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundes sorgt in Deutschland für große Kontroversen. Ferda Ataman ist Journalistin und Aktivistin, wurde als Tochter türkischer Eltern in Deutschland geboren und ist eine Vertreterin der antirassistischen Strömung, die wir als identitätspolitisch bezeichnen könnten. Sie gründete vor einigen Jahren den Verein „Neue Deutsche“, der unter anderem die Einführung von Quoten für „Schwarze und People of Color“ vorschlägt, und stand im Mittelpunkt einer lebhaften Kontroverse, als sie vor einigen Jahren einen Artikel schrieb, in dem sie das Recht verteidigte, „Deutsch-Deutsche“ als „Kartoffeln“ zu bezeichnen, ein Beiname, der normalerweise in einem abwertenden Sinn verwendet wird.
In diesem Artikel verteidigt Ferda Ataman die Verwendung des Begriffs, natürlich nicht in seinem abwertenden Sinn, sondern mit folgender Begründung: Wenn „wir“ (und damit sind die Menschen gemeint, die aufgrund ihrer Herkunft oder Abstammung diskriminiert werden bzw. sich diskriminiert fühlen) problemlos als „Menschen mit Migrationshintergrund“, „Migranten“, „Muslime“ usw. „etikettiert“ werden können, warum könnt ihr, die Deutsch-Deutschen, dann nicht auch in irgendeiner Weise etikettiert werden? „Wir sind einfach nur Deutsche“, argumentiert Ataman, sei keine akzeptable Antwort, denn sie offenbare jenen „strukturellen“ Rassismus, für den die Mehrheit der Gesellschaft (in diesem Fall die deutsch-deutsche Mehrheit) die Norm darstellt, die keiner weiteren Definition bedarf und die sich stattdessen das Recht anmaßt, „andere“ zu bezeichnen. Kurz gesagt: jedem sein Etikett.
Biologische und soziale Hautfarben
In mehreren Reden erklärt Ataman, dass die Begriffe „schwarz“, „farbig“ und „weiß“ nichts mit der Hautfarbe zu tun haben, sondern mit dem Zustand des Privilegs oder der Diskriminierung, in dem sich Menschen befinden, und der Wahrnehmung, die andere von dir haben: Selbst wenn du hellhäutig bist, reicht es aus, „orientalische“ oder „mediterrane“ Gesichtszüge und vielleicht einen „arabischen“ Namen zu haben, um als „Ausländer“, „Migrant“ usw. wahrgenommen und entsprechend behandelt zu werden, auch wenn du vielleicht (wie Ataman) in Deutschland geboren bist, perfekt Deutsch sprichst und die deutsche Staatsbürgerschaft hast. Bleibt die entscheidende Frage: Anhand welcher Merkmale sollen die Menschen identifiziert werden, die Anspruch auf diese Quoten für „Schwarze und People of Color“ haben, wie es im Manifest der Neuen Deutschen heißt?
Ich lebe seit mehreren Jahren in Deutschland, bin also technisch gesehen eine Einwanderin, habe eindeutig mediterrane Züge und einen Namen, den die Deutschen ständig falsch aussprechen. Als Italienerin falle ich jedoch höchstwahrscheinlich nicht in Atamans Kategorie, weil Italiener in Deutschland nach diesem Ansatz nicht die gleiche Art von Diskriminierung erleiden wie zum Beispiel Türken, Araber oder Afrikaner. Die Tatsache, dass ich oft sagen muss, dass ich keine Mafiosa bin, obwohl ich Sizilianerin bin, scheint in Atamans Argumentation und der dieses ganzen Strangs des Identitäts-Antirassismus nicht zu zählen.
Andererseits, so haben es uns die Lehrer der Intersektionalität gelehrt, findet Diskriminierung auf so vielen sich überschneidenden Achsen statt, dass jede einzelne Person ein Unikat darstellt, das sich nicht auf eine der Kategorien, zu denen sie gehört, abflachen lässt. Ich stelle mir zum Beispiel vor, dass die Diskriminierung, die Ferda Ataman aufgrund ihres Namens und ihrer Eigenschaften erleidet, nicht vergleichbar ist mit dem, was eine Person mit demselben Namen und denselben Eigenschaften erleidet, die aber keine Journalistin ist, keine Bücher schreibt und nicht an Konferenzen teilnimmt. Bei der Entscheidung, an wen sie ein Haus vermieten, achten Vermieter mehr auf die Steuererklärung als auf die Hautfarbe. Zweifellos gibt es in uns kognitive Verzerrungen, die uns dazu bringen, falsche Assoziationen zwischen der Steuererklärung und der Hautfarbe herzustellen, und daran muss auf jeden Fall gearbeitet werden. Dass dies mit Identitätsquoten möglich ist, ist jedoch höchst fraglich.
Identitätspolitische Integrationspolitik
Kritik an Atamans Ernennung kam von vielen Seiten. Die CDU/CSU, aber auch einige Exponenten der FDP, die zusammen mit der SPD und den Grünen regieren, halten Ataman für eine zu ideologisch ausgerichtete Aktivistin, um eine heikle Rolle wie die der Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung ausüben zu können, und natürlich gefällt vielen die Definition von „Kartoffeln“ nicht, eine „Kategorie“, die in den Reihen dieser Parteien weit verbreitet ist. Aber auch Seyran Ateş und Necla Kelek, Frauen „of Color“ (um Atamans Definition zu verwenden), die sich seit Jahren gegen Identitätspolitik und für einen universalistischen Ansatz in Integrationsfragen einsetzen, halten diese Ernennung für unangemessen. Seyran Ateş ist eine lebenslange Verfechterin von Frauenrechten und Gründerin der ersten liberalen Moschee Deutschlands, in der Männer und Frauen gemeinsam beten, Frauen ermutigt werden, den Schleier nicht zu tragen und LGBT-Menschen willkommen sind. Dafür und für ihr energisches Engagement gegen den politischen Islam steht sie seit mehreren Jahren unter Polizeischutz.
Atamans mangelnde Aufmerksamkeit für die Gefahren des politischen Islams und ihre identitätspolitische Herangehensweise an den Antirassismus im Allgemeinen gehören zu den Argumenten im Offenen Brief gegen ihre Ernennung, der von der Vereinigung Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung unterstützt wird und unter anderem von Seyran Ateş, Necla Kelek, Mina Ahadi und Güner Balcı unterzeichnet wurde. „Rassismus“, heißt es darin, „ist ein ernstzunehmendes gesellschaftliches Problem, das nicht für Partikularinteressen missbraucht werden sollte. Jede Form von Diskriminierung muss bekämpft werden. Frau Ataman blendet jedoch sowohl den Rassismus gegenüber nicht muslimisch geprägten MigrantInnen wie auch gegenüber Minderheiten aus der Türkei, Menschen aus Asien, aus Südamerika oder slawischen Ländern aus, wie auch den von MigrantInnen selbst ausgehenden Rassismus gegenüber anderen ethnisch-religiösen Minderheiten.“
Unerwünschte Islamkritik
In den letzten Jahren hat sich Frau Ataman häufig gegenüber MigrantInnen diskriminierend geäußert, die ihre politischen Meinungen nicht teilen. Anstatt den Mut dieser Stimmen zu loben, durch Kritik einen demokratischen Diskurs innerhalb ihrer sogenannten Gemeinschaften zu fördern und sich gegen Selbstjustiz in Form von Morddrohungen zu stellen, verhöhnt Frau Ataman bedrohte migrantisch gelesene Personen. Zudem fordert sie explizit, migrantische Stimmen wie Necla Kelek und Hamed Abdel-Samad aus dem Diskurs auszuschließen. Der Hinweis bezieht sich auf Äußerungen, in denen Ataman Ateş, Kelek und andere Persönlichkeiten, die dem politischen Islam schon immer kritisch gegenüberstanden, als „Kronzeugen“ bezeichnet hat, die sich über die Anwesenheit von Nichtmuslimen unter Muslimen freuen.
In einer Rede, die sie vor einigen Jahren auf einer Konferenz über Integrationspolitik in Nürnberg hielt, erklärte Ataman, dass Menschen wie Necla Kelek oder Hamed Abdel-Samad aufgrund ihrer Ideen nicht geeignet seien, „People of Color“ zu vertreten. Kurz gesagt: Einerseits werden Quoten auf der Grundlage von Herkunft und ethnischer Zugehörigkeit gefordert, andererseits sind Menschen, die diese Kriterien erfüllen, nicht mehr geeignet, wenn sie nicht mit der Ideologie des identitätspolitischen Antirassismus übereinstimmen. Wahrlich eine hervorragende Ermunterung für Antidiskriminierung.
CINZIA SCIUTO ist Journalistin, Autorin und leitende Redakteurin der italienischen Zeitschrift „MicroMega“. Ihre Artikel erscheinen auch in deutschsprachigen Zeitungen. Sie unterrichtet Politik am mediacampus in Frankfurt am Main, ist Mitglied des Kuratoriums der Frankfurter Debatten und Leiterin des Programms der Tage der Laizität in Reggio Emilia.