Kein Tanz am Karfreitag
Am Karfreitag wird der Tod Jesu Christi betrauert, am Ostersonntag seine Auferstehung gefeiert. Die Feiertage sollen still verbracht werden. Kirchlichem Einfluss auf die Politik ist es zu verdanken, dass Zwangstrauer verordnet wird.
Selbst viele Christen fallen fast vom Glauben ab, wenn man ihnen eröffnet, dass es in Deutschland und Österreich tatsächlich Gesetze gibt, die während dem Osterwochenende und der sonntäglichen Hauptgottesdienst-Zeiten Versammlungen unter freiem Himmel untersagen und die an christlichen Feiertagen sogar die öffentliche Aufführung bestimmter Filme verbieten.
Neben den Sonntagen und normalen Feiertagen (staatlich oder christlich) kennt die Feiertagsgesetzgebung auch noch sogenannte „stille Feiertage“. Hier sind die bereits geltenden Feiertagsregelungen noch einmal verschärft: Wochenmärkte, gewerbliche Ausstellungen, Zirkusaufführungen oder Volksfeste oder – in manchen Bundesländern – Kinovorstellungen dürfen dann nicht stattfinden. Es herrscht Tanzverbot, Schank- und Speisebetrieb sind untersagt, auch auf allzu flotte Musik im Radio muss verzichtet werden. In den ORF-Radios gibt es eine Minute Funkstille, und auf Werbung wird verzichtet. Die Programmmacher sind angehalten, auf eine Auswahl stiller, ruhiger Titel zu achten, die zum „Charakter des stillen Tages passen“. Unisono gilt: Es herrscht Stille im Land.
In Deutschland ist das alles im Artikel 140 des Grundgesetzes geregelt. Dort heißt es: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ Übernommen wurde dieser Grundsatz unverändert aus der Weimarer Reichsverfassung von 1919 (Art. 139 WRV). Wie genau der Schutz der Sonn- und Feiertage aussieht, wird per Landesgesetzgebung konkretisiert, sodass in Deutschland für jedes Bundesland ein eigenes Feiertagsgesetz gilt.
Und auch in Österreich können Feiertage im Landesrecht bestimmt werden. Die Folge ist trotz grundsätzlicher Ähnlichkeiten ein föderales Kuddelmuddel an Regelungen im Detail. Gemeinsam ist den Feiertagsgesetzgebungen der Länder vor allem, dass sie christliche Feiertage in besonderer Weise schützen. Beispiel im Bundesland Hessen: Dort gilt ein sonntägliches Tanzverbot von 4 bis 11 Uhr, und selbst an Tagen, die aus christlicher Sicht Tage der Freude sind. Nordrhein-Westfalen kennt insgesamt 13 Feier- und Gedenktage, für die ein besonderer Feiertagsschutz gilt – neun davon sind christlicher Natur. Wie die Bürger sich an diesen Tagen zu verhalten haben, regelt das nordrhein-westfälische „Gesetz über die Sonn- und Feiertage“, das grundsätzlich alle „öffentlich bemerkbaren Arbeiten“ verbietet, „die geeignet sind, die äußere Ruhe des Tages zu stören“.
Besonderen Schutz genießen hierbei Gottesdienste. Können beispielsweise Märkte aufgrund einer Ausnahmegenehmigung doch an einem Sonn- oder Feiertag stattfinden, so dürfen auch diese erst nach der „ortsüblichen Zeit des Hauptgottesdienstes“ beginnen. Die ortsübliche Zeit des Hauptgottesdienstes wird hierbei „von der örtlichen Ordnungsbehörde im Einvernehmen mit der Kirche festgelegt“. Eine Allianz von klerikalen Glaubens-Advokaten und staatlicher Verwaltung geht hier gewissenhaft ans Werk und achtet auf deren Einhaltung.
Katholiken sind nicht mehr die Mehrheit
Der besondere Schutz christlicher Gottesdienste nicht nur an Feiertagen, sondern an jedem einzelnen Sonntag des Jahres, entstand zu einer Zeit, als die deutsche Bevölkerung mehrheitlich christlich war und der sonntägliche Gottesdienstbesuch ein weit verbreitetes Ritual. Nur, davon kann schon lange nicht mehr die Rede sein. Laut Hochrechnungen der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland befindet sich in Deutschland seit Frühjahr 2022 erstmals seit Jahrhunderten keine Mehrheit der Menschen mehr im Schoß der beiden großen Kirchen. In Österreich wird der Anteil der Katholiken 2024, aber spätestens 2025 unter 50 Prozent fallen. Dass ein besonderer Schutz der Gottesdienstzeiten in Feiertagsgesetzen nicht mehr zeitgemäß ist, dürfte damit eigentlich selbsterklärend sein.
Der höchste Schutz in allen Bundesländern Österreichs und Deutschlands gilt insgesamt aber dem Karfreitag. Christinnen und Christen denken am Karfreitag an einen Mann aus Nazareth, der vor rund 2.000 Jahren am Kreuz hingerichtet wurde. Der Tag dient dem Gedenken an sein Leiden und Sterben. Am Karfreitag ist es üblich, den Altar nicht zu schmücken. Auch die Kirchenglocken verstummen. Kirchlichem Einfluss auf die Politik ist es zu verdanken, dass an diesem Tag per Gesetz jedem Einwohner Deutschlands Zwangstrauer verordnet wird – egal ob er dem christlichen Glauben angehört oder nicht. Zur Todesstunde von Jesus, um 15 Uhr, versammeln sich gläubige Christen zum Karfreitags-Gottesdienst.
Für die evangelische Kirche ist der Karfreitag sogar einer der höchsten Feiertage des Kirchenjahrs. In Österreich brachte ein Streit um den Feiertag für evangelische Gläubige sogar ein gesetzliches Novum: Zwar ist der Karfreitag kein Feiertag für Evangelische mehr, doch die damalige Bundesregierung aus ÖVP und FPÖ erfand den „persönlichen Feiertag“: Ein Urlaubstag, der vom Arbeitgeber nur schwer nicht bewilligt werden kann. In Deutschland zählt der Karfreitag zu den sogenannten stillen Tagen des Kirchenjahres. Davon gibt es viele: Volkstrauertag, Buß- und Bettag, Totensonntag, Heiligabend, Aschermittwoch, Gründonnerstag, sowie Karfreitag und Karsamstag.
Peep-Shows ausgenommen
In Österreich haben die Landesgesetze aller Bundesländer einen fast gleich lautenden Paragraphen, der die verordnete Stille am Karfreitag regelt: Sämtliche Veranstaltungen sind verboten, wenn sie „geeignet sind, den Charakter dieses Tages zu stören oder religiöse Gefühle der Bevölkerung zu verletzen.“ Und Kärnten geht in seiner Landesgesetzgebung sogar noch weiter – dort sind sämtliche Veranstaltungen am Karfreitag verboten – und am Karsamstag erst ab 14 Uhr erlaubt.
Die Kirche selbst ist im Veranstaltungsverbot freilich ausgenommen. Es gilt auch nicht für „die Durchführung von Peep-Shows, Stripteasevorführungen, Table-Dance und ähnliche erotische Tanzvorführungen oder Darbietungen soweit darauf das Kärntner Prostitutionsgesetz […] anzuwenden ist“. So steht es im Kärntner Veranstaltungsgesetz (2010).
Sonst muss auf Tanz an diesen Tagen verzichtet werden, jede Form lauter und lustiger Geselligkeit ist untersagt. Auch vergnügliche Filmvorführungen trifft der religiöse Bannstrahl. Rund 700 Filme sind mit einem Feiertagverbot belegt. Die FSK-Liste (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft) umfasst eine höchst kuriose Mischung aus Werken der Filmkunst. Neben allerlei Action- und Science-Fiction-Filmen und Filmklassikern wie Harold and Maude und Manche mögen’s heiß darf an stillen Feiertagen nach dem Willen der FSK-Prüfer im Kino weder über Komödien wie Police Academy oder Charleys Tante, noch über Louis de Funès und Bud Spencer, die es beide gleich mit mehreren Filmen auf die Verbots-Liste geschafft haben, gelacht werden. Auf der Homepage der FSK findet sich ein Hinweis, nach welchem Kriterium über die Feiertagstauglichkeit eines Films entschieden wird: „Nicht freigegeben für die stillen Feiertage werden Filme, die dem Charakter dieser Feiertage so sehr widersprechen, dass eine Verletzung des religiösen und sittlichen Empfindens zu befürchten ist.“ Willkommen im Gottesstaat Deutschland.
In Österreich weiten auch Wien und Niederösterreich die Ruhe am Karfreitag auf Kinos aus. Niederösterreich schafft diese Regelung sogar so altmodisch zu formulieren, dass klar wird, dass solch ein Gesetz eigentlich aus der Zeit gefallen ist. Das Bundesland verbietet „die Wiedergabe von Laufbildern, die auf einem Speichermedium aufgezeichnet sind“.
Keine Stille am stillen Feiertag
Doch Ungläubige, Gottlose und Nichtchristliche wollen solcherlei Bevormundung durch ein christlich geprägte Feiertagsgesetz nicht mehr akzeptieren und sich nicht an die gesetzlich verordnete Stille halten. Bekannt wurde in diesem Zusammenhang vor allem der „Bochumer Brian“: Jedes Jahr am Karfreitag verstößt die säkulare Initiative Religionsfrei im Revier gezielt gegen die Feiertagsgesetzgebung von NRW, indem sie in Bochum öffentlich den Monty-Python-Film Das Leben des Brian aufführt, der seit 1980 auf dem Feiertags-Index der FSK steht. Die karfreitägliche Brian-Filmvorführung ist inzwischen auch in anderen Bundesländern zur Tradition in säkularen Kreisen geworden. In München, Stuttgart und an zahlreichen anderen Orten laden tanzfreudige Atheisten zur säkularen Karfreitags-Party ein. Motto: „Heiden-Spaß statt Höllen-Qual“.
Die Veranstaltung soll in ihrer Gesamtheit auch Ausdruck des Protests gegen das nicht mehr zeitgemäße und unverhältnismäßig einschränkende Feiertagsgesetz sein. Die Veranstalter verweisen dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das bereits 2016 das Verbot einer Münchener „Heidenspaß-Party“ für verfassungswidrig erklärt hat und Ausnahmen ermöglicht, „wenn Heidenspaß-Partys und Freigeister-Tanzveranstaltungen Ausdruck einer klaren weltanschaulichen Abgrenzung gegenüber dem Christentum sind“.
Ohnehin gehen Rechtsexperten davon aus, dass die mehr oder weniger strikten Tanzverbote am Karfreitag im Zuge der schwindenden – vor allem konfessionell gebundenen – Religiosität in Deutschland durch Ausnahmeregelungen zunehmend zurückgenommen werden. Menschen, die sich an diesen Tagen laut vergnügen wollen, würden in ihrer Freiheit eingeschränkt. Auch wenn die Christengemeinde am Karfreitag zur stillen Einkehr aufruft, könne es keinen gesetzlichen Zwang zur Trauer für Ungläubige und gottlose Bürgerinnen und Bürger geben.
Wie aber könnte zukünftig eine zeitgemäße Feiertagsgesetzgebung aussehen? Vorschlag: Alle Menschen bekommen – Gerechtigkeit muss sein! – nicht wie in Österreich nur einen, sondern neben den staatlichen Feiertagen ein Kontingent von, sagen wir, jährlich drei Tagen zur freien sinnstiftenden Verfügung. Tiefgläubige Christen könnten sich dann u.a. am Karfreitag frei nehmen, um intensiv um ihren Religionsgründer zu trauern, Muslime, um das Zuckerfest zu feiern, und Atheisten können ihn für eine kleine Wanderung nutzen.
Hinweis:
Dieser Text basiert auf einem längeren Artikel zur Feiertagsgesetzgebung von Daniela Wakonigg in Helmut Ortners Buch „Das klerikale Kartell. Warum die Trennung von Staat und Kirche überfällig ist“.
Eine Lesung aus diesem Buch mit anschließender Diskussion findet am 4.4. in Wien statt.
4. April 2024
Depot Wien, Breite Gasse 3
18.30 Uhr Einlass, 19 Uhr Beginn
Eintritt frei
HELMUT ORTNER hat bislang mehr als zwanzig Bücher, überwiegend politische Sachbücher und Biografien, veröffentlicht. Zuletzt erschienen: „Widerstreit: Über Macht, Wahn und Widerstand“ (2021) und „Volk im Wahn – Hitlers Deutsche oder Die Gegenwart der Vergangenheit“ (2022). Seine Bücher wurden bislang in 14 Sprachen übersetzt. Helmut Ortner ist Mitglied bei Amnesty International und im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung.