Wahl in Tschechien: Mehr Meloni als Orbán?

Tschechien hat am vergangenen Freitag und Samstag das Unterhaus des Parlaments und damit auch die zukünftige Regierung gewählt. Der Populist Andrej Babiš hat mit seiner Liste ANO gewonnen, doch wie eine zukünftige Regierung in deren Sitz in der Straka-Akademie am Moldauufer aussehen wird, ist alles andere als klar. Auch der Staatspräsident Petr Pavel in der Prager Burg wird mitentscheiden, ob Tschechien mehr in Richtung Orbáns Ungarn oder Melonis Italien gehen wird.
Das politische System Tschechiens seit der samtenen Revolution und der friedlichen Trennung von der Slowakei war immer schon geprägt von einem Kommen und Gehen politischer Parteien und Wahlbündnisse. Die Wahl zum Unterhaus am vergangenen Freitag und Samstag war keine Ausnahme. Das wichtigste Ergebnis ist aber, auch aus europäischer Perspektive, dass die populistische Bewegung ANO des Milliardärs Andrej Babiš das konservativ-liberale Wahlbündnis Spolu des bisherigen Premierministers Petr Fiala mit 34,5 % zu 23,4 % geschlagen hat. Babiš wird jetzt versuchen, eine Regierungsmehrheit zu zimmern. Leicht wird es nicht werden und das Ergebnis wird auch in den anderen Hauptstädten der EU beachtet werden.
Die Ausgangslage
Die Ausgangslage ist schwierig. ANO hat im 200 Sitze umfassenden Abgeordnetenhaus des tschechischen Parlaments 80 Sitze errungen, Spolu 52. Die liberal-konservative Bürgermeisterpartei STAN ist auf Platz 3 mit 22 Sitzen, dahinter die progressiv-liberalen Piraten. Zwei rechtspopulistische und euroskeptisch bis Russland-freundliche Parteien, die SPD und Motoristé, kamen jeweils auf 15 und 13 Sitze.
Da Spolu, STAN und die Piraten eine Zusammenarbeit mit ANO vor der Wahl ausgeschlossen haben, wird die Regierungsbildung durch ANO schwierig werden. Denn die tschechische Verfassung sieht nach der Ernennung des Premierministers durch den Staatspräsidenten eine Vertrauensabstimmung über die Regierung im Abgeordnetenhaus vor.
Die zwei verbleibenden möglichen Unterstützerinnen für ANO, SPD und Motoristé, haben bei der Wahl schwächer abgeschnitten als erwartet, sind in Teilen EU-feindlich und sprechen sich für den „Czechxit“ aus. Damit wird eine formale Regierungsbeteiligung fast unmöglich. Und hier spielt auch der Staatspräsident, ein alter Bekannter von Babiš, eine entscheidende Rolle.
Pavel vs. Babiš 2.0
Tschechien im Jänner 2023. Am 27. und 28.1. des Jahres fand die Stichwahl zum Präsidenten der tschechischen Republik statt. Andrej Babiš gegen Petr Pavel, ehemaliger General der Armee und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. Pavel, der klare Pro-Europäer, gewinnt mit 58,3 % der Stimmen. Damit zieht ein erheblich anderer Charakter in die Prager Burg nach dem linkspopulistischen, russlandfreundlichen Miloš Zeman.
Jetzt zeichnet sich unter geänderten Vorzeichen eine Wiederholung der damaligen politischen Auseinandersetzung an. Denn Pavel als Präsident hat bereits vor der Wahl klar gemacht, dass er keine Regierung ernennen wird, die Minister:innen umfasst, die sich für den Austritt Tschechiens aus der EU oder der NATO aussprechen. Darüber hinaus würde Pavel auch rechtliche Expertise über den möglichen Interessenkonflikt rund um Babiš’ Unternehmen einholen. Tschechiens Verfassung gibt dem Präsidenten nämlich das Recht, eine vorgeschlagene Regierung abzulehnen – Österreich (Stichwort Regierungsbildungsauftrag) lässt grüßen.
Eine direkte Regierungsbeteiligung der SPD oder Motoristé ist damit de facto ausgeschlossen. Babiš hat auch bereits angekündigt, dass er eine alleinige ANO-Minderheitsregierung mit Duldung durch die zwei kleinen rechtspopulistischen Parteien anstrebt.
Der Weg dorthin kann lang dauern, das Ergebnis ist noch nicht absehbar. Doch egal wie die neue Regierung am Ende aussieht, Tschechien steht am Scheideweg.
Meloni oder Orbán?
Die rechtspopulistischen Parteien von Frankreich über die Slowakei bis Ungarn gratulierten noch am Wahlabend ANO zum Wahlsieg. Schließlich war Babiš zusammen mit der FPÖ und Viktor Orbáns Fidesz einer der Gründer einer rechten, EU-kritischen Fraktion im europäischen Parlament. Doch die Verfassung und damit das politische System in Tschechien dürften verhindern, dass das Land nach Ungarn und der Slowakei das nächste Land in der EU mit autoritärer Schieflage wird.
Trotz der Notwendigkeit der Stimmen der zwei rechten, russlandfreundlichen Parteien im Abgeordnetenhaus, verfügt ANO im Oberhaus des Parlaments, dem Senát, auch mit den beiden Kleinparteien über keine Mehrheit . Der Senát hat aber ein absolutes Vetorecht bei Änderungen der Verfassung und des Wahlrechts. Verfassungsrichter:innen werden nur vom Oberhaus ernannt. Damit ist ein Umbau des Staates à la Orbán praktisch nicht möglich.
Und auch wenn Babiš im Wahlkampf EU-skeptisch aufgetreten ist und ankündigte, den Green Deal und den Migrationspakt aufkündigen zu wollen, so spricht er sich trotzdem klar für eine Mitgliedschaft Tschechiens in der EU und der NATO aus.
Die zweite Regierung von ANO (von 2017 bis 2021 war Babiš Premierminister in einer Koalition mit den Sozialdemokraten, die dann bei der letzten Wahl aus dem Parlament flogen) dürfte wohl eher in Richtung Giorgia Meloni in Italien gehen, als Viktor Orbáns Ungarn. Melonis rechte Regierung hat im Unterschied zu Orbán oder Fico in der Slowakei keine Anstalten gemacht, das demokratische System Italiens zu schwächen.
Kopfweh in der Ukraine und in der EU
Doch in einem Bereich unterscheiden sich die Positionen Melonis und Babiš’ deutlich: bei der Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland.
Die abgewählte Regierung von Petr Fiala hat in Koordination mit Präsident Pavel seit dem Überfall Russlands eine zentrale Rolle in der Unterstützung der Ukraine gespielt. Babiš kündigte im Wahlkampf an, die von Tschechien koordinierte Munitionsinitiative zu stoppen, über die die Ukraine bereits mehr als drei Millionen Artilleriegranaten erhalten hat. Die militärische Unterstützung solle nur mehr über die NATO und die EU erfolgen, nicht über einzelne Mitgliedstaaten. Darüber hinaus könnte sich die neue Prager Regierung auch bei neuen Russlandsanktionen der EU querlegen, nachdem Babiš auf die Stimmen von SPD oder Motoristé angewiesen ist.
Auch wenn Prag unter Babiš nicht den Weg Budapests gehen wird, fällt innerhalb der EU und für die Ukraine ein verlässlicher Partner weg.
GREGOR PLIESCHNIG war Redakteur im Materie-Team. Der Politikwissenschafter und Exil-Kärntner spezialisiert sich auf Internationales, Europa und Gesellschaftspolitik. Er arbeitet als Journalist in Wien.