Warum die steirische ORF-Landesabgabe vor den VfGH muss
Ein starker und unabhängiger öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist gerade in Zeiten eskalierender Miss- und Desinformation zentral für unsere Demokratie. Auch wenn die ORF-Reform, die 2024 umgesetzt werden soll, durchaus kritisch zu sehen ist, insbesondere weil sie private Medienunternehmen einschränkt, so ist sie doch nachvollziehbar. Nicht zuletzt, weil der ORF durch den Umstieg von der GIS zu einer Haushaltsabgabe für alle billiger wird. Eigentlich. Denn vier Bundesländer nutzen die Reform, um ihre Bürger:innen zusätzlich zu belasten.
Burgenland, Kärnten, Tirol und die Steiermark führen eine verknüpfte ORF-Landesabgabe ein bzw. behalten diese bei. Mit dem ORF hat nur der Name zu tun – in Wirklichkeit ist sie eine Zusatzsteuer, die unter anderem Namen firmiert. Beschlossen im Jahr 1975, wurden den Steirer:innen auf diese Art schon mehr als 700 Millionen Euro aus der Tasche gezogen, mehr als in jedem anderen Bundesland. Die Haushaltsabgabe soll zukünftig auch für jeden Betrieb in der Steiermark fällig werden. Das heißt, geschätzt mehr als 31.000 zusätzliche Betriebe müssen zahlen. Der ORF sieht davon keinen Cent – das Geld geht ans Land.
Während die Landesabgabe früher überhaupt zur Finanzierung von Budgetlöchern und Leuchtturmprojekten herangezogen wurde, ist die ab 2024 geplante jährliche Mehrbelastung in Höhe von rund 30 Millionen Euro immerhin zweckgebunden: Mit ihr sollen Kultur und Sport in der Steiermark gefördert werden, ein Drittel der für den Kulturbereich reservierten Gelder kommt aus der Landesabgabe. Ein grundsätzlich hehres Ziel. Doch anstatt sich politisch zur Förderung von Künstler:innen und Sportler:innen zu bekennen und diese aus dem regulären Budget zu finanzieren, wie die meisten anderen Bundesländer es tun, wird den Menschen trotz Rekordteuerung zusätzliches Geld abverlangt, das Vertrauen in den ORF beschädigt; und es bleibt zu befürchten, dass die steirische Kultur- und Sportszene nicht einmal davon profitiert.
Zu meinen bisherigen „Errungenschaften“ in meiner Tätigkeit als Rechtsanwalt und Verfassungsjurist zählt es, das verfassungswidrige Verbot der Sterbehilfe zu Fall gebracht und auch den Kunst- und Kulturlockdown während der COVID19-Pandemie erfolgreich beim VfGH bekämpft zu haben. Für NEOS Steiermark habe ich das gerade verabschiedete „Steiermärkische Kultur- und Sportförderungsabgabegesetz (StKSAG)“, mit dem die ORF-Landesabgabe eingeführt wird, geprüft und komme zum Ergebnis, dass die dort festgelegte bundeslandspezifische Abgabe nicht nur eine unfaire Zusatzbelastung für die Steirer:innen gegenüber den Bewohner:innen anderer Bundesländer, sondern meines Erachtens auch verfassungswidrig ist.
Im Folgenden eine Erklärung zu den konkreten verfassungsrechtlichen Problemen damit. Kurz gesagt – für alle, die weiterspringen wollen –: Die Landesabgabe ist rechtlich so komplex konstruiert, dass sie für den Großteil der Bürgerinnen und Bürger nicht verständlich ist.
Das verfassungsrechtliche Problem mit der Landesabgabe
Die ORF-Landesabgabe in der Steiermark ist dies im Kern schon deshalb, weil sie in mehreren Aspekten dem sich aus Art 18 B-VG ergebenen Legalitätsprinzip widerspricht. Letzteres normiert eine klare Verteilung zwischen Bundes- und Landeskompetenzen. Außerdem müssen Gesetze lesbar und verständlich sein – den Rechtsunterworfenen muss klar sein, was der Gesetzgeber bezweckt. Bürger:innen haben das Recht, die Gesetze, die sie betreffen, ohne juristische Fachkenntnisse verstehen zu können.
Der steirische Landesgesetzgeber missachtet mit der normierten Landesabgabe insbesondere die klare Trennung zwischen Bundes- und Landeskompetenzen, indem das StKSAG – trotz seiner Kürze – eine komplexe Struktur und schwer nachvollziehbare Verweisungen zwischen Landes- und Bundesgesetzen beinhaltet. Das StKSAG erschwert damit das Verständnis der gesetzlichen Bestimmungen über ein den betroffenen Bürger:innen zumutbares Maß. Für „Normalsterbliche“ ist nicht berechen- und vorhersehbar, wie sich die Abgabe etwa bei Änderung der bundesgesetzlichen Vorgaben, auf die im Landesgesetz verwiesen wird, betraglich ändert.
Warum? Weil sich im Gesetz mehrere verfassungsrechtlich problematische Verweisungsanalogien, Kettenverweise und insbesondere sogenannte dynamische Verweisungen von Landes- auf Bundesrecht finden. Solche Verweisungen sind nicht nur schwer verständlich, sondern stellen im vorliegenden Fall meines Erachtens eine Überschreitung der Gesetzgebungskompetenz dar. Sie untergraben das Prinzip der Rechtssicherheit und Klarheit, das für ein funktionierendes Rechtssystem unerlässlich ist. Aufgrund ihrer potenziellen Verfassungswidrigkeit sind sie auch gemäß der legistischen Richtlinien des Landes Steiermark und des Bundes grundsätzlich nicht zu verwenden, dennoch finden sich im StKSAG, welches lediglich acht Paragraphen hat, sieben derartige Verweisungen.
Wie es jetzt weitergeht
Deshalb steht in der Steiermark nun ein Ereignis bevor, das es bislang erst einmal in der Geschichte des Landtags gegeben hat: die Anfechtung eines Gesetzes vor dem Verfassungsgerichtshof durch einen „Antrag auf abstrakte Normenkontrolle“ respektive einen sogenannten Drittelantrag. Um dem Verfassungsgerichtshof ein Landesgesetz zur Prüfung vorzulegen, bedarf es nämlich der Zustimmung eines Drittels der Abgeordneten; da NEOS wiederum die übrigen Oppositionsparteien im steirischen Landtag für eine Anfechtung gewinnen konnten, steht diesem Antrag nach dem Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Jänner 2024 nichts mehr im Weg.
Sollte der Verfassungsgerichtshof feststellen, dass die ORF-Landesabgabe verfassungswidrig ist, hätte dies weitreichende Folgen. Eine solche Entscheidung könnte nicht nur das Ende der spezifischen Abgabe in der Steiermark bedeuten, sondern auch ähnliche Gesetze in anderen Bundesländern beeinflussen. In Tirol ist ebenfalls bereits eine Anfechtung am Verfassungsgerichtshof in Vorbereitung, auch in den übrigen Bundesländern könnte sie dann fallen. Bereits eingehobene Abgaben müssten an Betroffene refundiert werden.
Als liberaler Rechtsanwalt und Verfassungsjurist sehe ich es als meine Pflicht, gegen Gesetze vorzugehen, die die Grundprinzipien unseres Rechtsstaats untergraben und legistisch plump umgesetzt sind. Die ORF-Landesabgabe in der Steiermark ist ein solcher Fall. Es geht hier nicht nur um die Abwehr einer finanziellen Mehrbelastung von 30 Millionen Euro pro Jahr für alle Steirer:innen, sondern auch um die Wahrung grundlegender verfassungsrechtlicher Standards.
Anstatt den Menschen Geld mit zweifelhaften Gesetzen abzuknöpfen, braucht es ein echtes Bekenntnis zu einem unabhängigen ORF, zu Medienvielfalt und insbesondere zu einer starken Kunst- und Kulturszene, die sich eine Finanzierung durch die „Hintertür“ nicht verdient hat.
WOLFRAM PROKSCH studierte Rechtswissenschaften am Juridicum der Universität Wien. Als Experte für Verfassungsrecht, Grundrechte und streitige Verfahren begleitet er Projekte nahe der Politik. Mit seiner Kanzlei ETHOS.legal hat er sich auf Impact Litigation spezialisiert, mit der von ihm mitgegründeten NGO AllRise setzt er sich für Klimaschutz ein. Proksch sieht sich als Familienmensch, Humanist und Hobby-Triathlet.