Was ist eigentlich „gute“ Arbeit?
Mitte Februar ließ Arbeitsminister Kocher mit dem Vorschlag aufhorchen, die Sozialleistungen für jene zu kürzen, die „freiwillig“ einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen. Auf Nachfrage fügte der Minister hinzu, dass es nicht um Bestrafung gehen solle, sondern darum, bei zukünftigen Maßnahmen und Reformen stärkere Anreize für Vollzeiterwerbsarbeit zu setzen.
Gegen Letzteres gibt es wenig einzuwenden: Teilzeitarbeit hat lebenslange finanzielle Nachteile für die Betroffenen – die meisten von ihnen Frauen. Trotzdem bleibt von der Debatte ein schaler Nachgeschmack: Hängen bleibt das Bild der faulen Menschen, die es sich auf der sozialen Hängematte gemütlich machen, wenn man sie nur lässt. Freiwillig arbeitet niemand, so fürchten viele – selbst unter den Kritiker:innen des Ministervorschlags.
Empirisch haltbar ist diese Annahme nicht. Was die Teilzeitarbeit betrifft, ist die Freiwilligkeit ohnehin ein problematischer Begriff: Wenn Kinderbetreuungsplätze oder Transportmöglichkeiten fehlen, dann kann man bei einer „Entscheidung“ für Teilzeitarbeit wohl kaum von Freiwilligkeit sprechen. Dasselbe gilt für unterschiedliche Formen der Arbeitslosigkeit, die nur die wenigsten „freiwillig“ wählen. Trotzdem hält sich in Teilen der Öffentlichkeit hartnäckig die Vorstellung, man müsse die Leute zur Arbeit zwingen.
Auf die Menschen, die solche Bilder reproduzieren, trifft dies jedoch natürlich nicht zu: Sie arbeiten selbstverständlich freiwillig und intrinsisch motiviert. Nur die anderen wären faul. Die Sozialpsychologie hat dafür ein Wort: Der Begriff der „illusorischen Superiorität“ beschreibt das Phänomen, die eigenen Motive und Qualitäten als besser einzuschätzen als die der anderen Menschen.
Es ist an der Zeit, solche als „Fakten“ getarnte Ideologie hinter uns zu lassen und fernab ideologischer Scheuklappen darüber nachzudenken, wie wir Erwerbsarbeit schaffen können, die gut und gerne getan wird und damit sowohl Arbeitnehmer*innen als auch Arbeitgeber*innen nutzt. Stereotype wie das des faulen Arbeitnehmers führen dazu, dass wir die Instrumente für die Lösung unserer Probleme in derselben Werkzeugkiste suchen, die die Probleme mit geschaffen bzw. verschärft hat.
Ein weiteres Bild, das es zu ändern gilt, ist die Gleichsetzung von Arbeit mit Erwerbsarbeit. Auch wenn von den meisten Menschen mittlerweile anerkannt wird, dass die Entscheidung vieler (meist Frauen) für die Teilzeit nicht ganz freiwillig stattfindet, so wird doch immer wieder wiederholt, dass Frauen im Schnitt „weniger arbeiten“. Das ist schlichtweg falsch: Bereits vor der Pandemie verrichteten Frauen weltweit im Durchschnitt zweieinhalbmal so viel unbezahlte Arbeit wie Männer. Die Pandemie hat dieses Ungleichgewicht noch weiter verstärkt. Die unbezahlte Arbeit der einen macht die bezahlte Arbeit der anderen erst möglich – ohne sie würde unsere Gesellschaft nicht funktionieren. Wie Nancy Fraser argumentiert, befinden wir uns derzeit in der paradoxen Situation, jene unbezahlte Arbeit, die unsere Gesellschaft am Laufen hält, immer weiter zurückzudrängen – weil Menschen immer weniger Zeit dafür haben und oft dafür beschämt werden. Diese Situation ist einer der Gründe dafür, dass immer mehr Menschen die „Work-Life-Balance“ hochhalten: Im „Life”-Teil muss nämlich auch all die Arbeit Platz haben, die im „Work”-Teil nicht mitgemeint ist.
Drittens muss sich Leistung für alle Menschen lohnen. Heute tut es dies für viele Menschen keineswegs. Das Einkommen aus ihrer Arbeit reicht nicht aus, um die Rechnungen zu bezahlen. Viele sind trotz eines arbeitsreichen Lebens im Alter von Armut betroffen. Und auch bezüglich der Arbeitsbedingungen gibt es häufig Luft nach oben: Rund eine Million Arbeitnehmer:innen in diesem Land kann sich nicht vorstellen, unter den gegebenen Bedingungen bis zur Pensionierung zu arbeiten – einer der Gründe für das weite Auseinanderklaffen des tatsächlichen und des gesetzlichen Pensionsantrittsalters in Österreich.
Auch wenn es vielen Dingen, die wir gelernt haben und die wir für wahr halten, entgegensteht: Wenn wir gute Arbeit schaffen wollen – und Erwerbsarbeit, die Menschen gerne und gut tun –, dann müssen wir die Bedingungen dafür schaffen, dass Menschen gerne und gut arbeiten können. So etwas erreicht man nicht durch Überwachen und Strafen. Sondern durch Ermächtigung.
Gute Arbeit ermöglichen: Was es braucht
Der erste Schritt einer Ermächtigungsstrategie ist es, über eine „echte” Arbeitszeitverkürzung nachzudenken, also über eine Verringerung der Wochenarbeitszeit ohne Lohnverlust. Ich sage bewusst „nachdenken“: Eine Arbeitszeitverkürzung quer über alle Branchen und Regionen einheitlich zu erzwingen, wäre meiner Ansicht nach wenig sinnvoll. Allerdings scheint die Viertagewoche für eine weit größere Bandbreite an Unternehmen zu funktionieren, als häufig angenommen wird: Brauereien, Hotels oder Handwerksbetriebe gehören mittlerweile zu den Unternehmen, die auf eigene Initiative die Viertagewoche eingeführt haben – mehrheitlich ohne Produktivitätsverluste und ohne die Notwendigkeit, mehr Personal einstellen zu müssen. Einigen Unternehmen gelang es durch die Reduktion von „Produktivitätskillern” (lange Meetings, zu viele E-Mails oder Großraumbüros, die die Konzentration ständig unterbrechen) sogar, trotz der Arbeitszeitverkürzung höhere Produktivität zu erzielen oder ihren Kunden längere Öffnungszeiten zu bieten.
Auch wenn der organisatorische Aufwand beachtlich sein kann, rechnet sich dieser am Ende für viele Unternehmen: Sie haben keine Probleme mehr, Mitarbeiter:innen zu finden, weniger Krankenstände und andere Abwesenheiten und weniger Kündigungen. In solchen Unternehmen wird in Summe häufig mehr gearbeitet als in anderen, die keine Arbeitskräfte finden oder aus denen Mitarbeiter:innen abwandern.
Letzteres ist ein Punkt, der häufig – und manchmal mit Absicht – vergessen wird: Eine kürzere Arbeitswoche mit vollem Lohnausgleich würde sehr wahrscheinlich dazu führen, dass vielerorts mehr und nicht weniger gearbeitet wird. Erstens weil eine Person, die nicht 40 Stunden in der Woche einer Erwerbsarbeit nachgehen will oder kann, dies auch dann nicht tun wird, wenn sie finanziell bestraft wird. Wenn die reguläre Wochenarbeitszeit aber auf 32 oder auch „nur“ auf 34 oder 36 Stunden reduziert wird, würde so manche Teilzeitarbeiter:in in die Vollzeit gehen: weil sie häufig ihren Sorge- und anderen Verpflichtungen dann immer noch nachkommen kann und gleichzeitig mehr verdient. Und auch das Argument, dass eine solche Arbeitszeitreduktion den sozialen Sicherungssystemen schadet, ist nicht stichhaltig: Mit vollem Lohnausgleich würde ja niemand, der vier Tage erwerbsarbeitet, weniger in soziale Sicherungssysteme einzahlen. Aus all diesen Gründen experimentieren mehrere Staaten nun mit unterschiedlichen Modellen für eine kürzere Arbeitswoche.
Zudem ist es an der Zeit, ein neues Fundament sozialer Sicherungssysteme zu schaffen, um sicherzustellen, dass alle gut abgesichert sind. In meinem Buch Vom Wert des Menschen (2020) habe ich dafür plädiert, allen Menschen im Land die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse bedingungslos zu garantieren. Dies sollte über gut ausgebaute öffentliche Infrastrukturen und Dienstleistungen geschehen, und teils auch über Geldleistungen, die garantieren, dass niemand unter der Armutsgrenze leben muss. Ob man dies als bedingungsloses Grundeinkommen bezeichnet oder nicht, ist zweitrangig: Es geht darum, allen ein würdevolles Leben zu ermöglichen und damit auch das Fundament für gute Arbeit zu schaffen. Wer nicht dazu gezwungen ist, einen bestimmten Job nur deshalb zu tun, weil er ihn zum Überleben braucht, kann stattdessen einer Arbeit nachgehen, die er gerne und gut tut. Das nutzt auch den Arbeitgeber:innen.
BARBARA PRAINSACK ist Professorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und Leiterin des Centre for the Study of Contemporary Solidarity (CeSCoS) sowie der interdisziplinären Forschungsplattform Governance of Digital Practices. Ihre Arbeit erforscht politische, soziale und ethische Aspekte der personalisierten Medizin, Regulierung von DNA-Technologien (Medizin und Forensik) sowie Praktiken, Institutionen und Politik der Solidarität. Sie ist Mitglied der Österreichischen Bioethikkommission und Vorsitzende der European Group on Ethics in Science and New Technologies, einem Beratungsgremium der Europäischen Kommission. Prainsack ist Autorin mehrerer Bücher, zuletzt erschienen Wofür wir arbeiten (Brandstätter, 2023), The Pandemic Within: Policy Making for a Better World (Policy Press, 2021) und Vom Wert des Menschen. Warum wir ein bedingungsloses Grundeinkommen brauchen (Brandstätter, 2020).