Wer braucht den Quantencomputer?
Wir werden ziemlich sicher auch in Zukunft keinen Quantencomputer unter dem Schreibtisch stehen haben. Das macht aber nichts – die Forschung daran wird sich trotzdem lohnen.
Wenn der Quantencomputer kommt, dann wird alles anders! Zumindest wird uns das seit Jahren in futuristisch bebilderten Zeitungsartikeln versprochen: Eine Revolution der digitalen Welt stehe bevor, mit der geheimnisvollen Kraft der Quantenphysik könne man in Zukunft Aufgaben lösen, die bisher unlösbar waren, unvorstellbare Rechenkapazitäten erschaffen und die großen Probleme der Menschheit lösen. Von „Quantum Supremacy“ ist die Rede – vom Punkt, ab dem Quantentechnologien alle herkömmlichen Computer unweigerlich in den Schatten stellen.
Das ist alles nicht ganz falsch. Aber wirklich richtig ist es auch nicht. Der Quantencomputer wird kommen – das ist sehr wahrscheinlich. Aber man soll ihn nicht zu einer unrealistischen Weltrettungsmaschine aufplustern, die er nicht ist. Es ist gut möglich, dass der Quantencomputer ein aufwendiges Spezialgerät für ganz bestimmte, eher akademische Anwendungen sein wird, im Alltag der breiten Bevölkerung aber niemals so richtig ankommt.
Das ist aber nicht schlimm. Und keinesfalls ist es ein Argument, die Forschung am Quantencomputer zu bremsen. Genau diese Forschung könnte uns nämlich viel rascheren, konkreteren Nutzen bringen – und zwar in Bereichen, über die man leider nur sehr selten futuristisch bebilderte Zeitungsartikel liest. Die Quantentechnologie hat weitaus mehr zu bieten als bloß Quantencomputer.
Die Regeln der Quantenwelt
Um den Quantencomputer zu verstehen, muss man zuerst einen Blick in die merkwürdigen Regeln der Quantenwelt werfen. In unserer klassischen Alltagswelt haben wir es mit Objekten zu tun, die sich in unterschiedlichen Zuständen befinden können: Ein Auto kann nach links fahren oder nach rechts, ein Ventilator kann sich rechtsherum drehen oder linksherum, eine Flasche kann zerbrechen oder ganz bleiben. Bei Quantenteilchen ist das aber anders. In der Welt der Quantenphysik gilt die Regel: Wenn verschiedene Zustände erlaubt sind, dann ist auch eine Kombination dieser Zustände erlaubt.
Ein Elektron kann sich somit gleichzeitig nach rechts und nach links bewegen. Ein Atom kann sich gleichzeitig rechtsherum und linksherum drehen. Ein Molekül kann gleichzeitig auseinanderbrechen und ganz bleiben. Man spricht dann von „Überlagerungszuständen“.
Wenn sich ein Teilchen in einem solchen Überlagerungszustand befindet, bedeutet das nicht bloß, dass wir seinen wahren Zustand nicht kennen – die Überlagerung ist sein wahrer Zustand. Man könnte sagen: Das Atom weiß selbst nicht, ob es sich rechtsherum oder linksherum dreht. Erst wenn wir das Teilchen messen, wird sein Zustand festgelegt. Die Messung zwingt die Natur dazu, sich für eine Variante zu entscheiden. Welche Variante das sein wird, kann vorher niemand sagen.
Man kann auch mehrere Teilchen dazu bringen, sich gemeinsam in einem Überlagerungszustand zu befinden. Unter bestimmten Bedingungen kann das dazu führen, dass der Zustand mehrerer Teilchen festgelegt wird, wenn man eines davon misst – auch wenn die anderen durch die Messung gar nicht direkt berührt werden und sich an einem ganz anderen Ort befinden. Man spricht in diesem Fall von „Quantenverschränkung“.
Ein bisschen 0, ein bisschen 1
Genau auf diesen Grundprinzipien beruht die Idee des Quantencomputers: Unsere gewöhnlichen Mikrochips arbeiten mit Bits, den kleinsten Informationseinheiten, die nur die Werte 0 oder 1 annehmen können. Das ist praktisch, denn damit kann man technisch recht sauber arbeiten: Strom oder kein Strom. Magnetismus oder kein Magnetismus.
Wenn man die Gesetze der Quantenphysik nutzt, kann man aber auch einen Computer konstruieren, der mit sogenannten Quantenbits (Qubits) arbeitet – sie können sich in einem beliebigen Überlagerungszustand aus 0 und 1 befinden – also zum Beispiel halb 0 und halb 1. Oder 90 Prozent 0 und 10 Prozent 1.
Das lässt sich auf unterschiedliche Arten realisieren. Man kann dafür zum Beispiel Ionen verwenden – elektrisch geladene Atome, die in elektromagnetischen Fallen festgehalten werden. Mit dieser Technik erzielte man an der Universität Innsbruck weltweit beachtete Erfolge. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten, Qubits herzustellen. Die technische Umsetzung ist nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass man diese Qubits quantenphysikalisch miteinander verschränken kann. Und weil das Zusammenspiel quantenverschränkter Atome eben etwas grundlegend anderes ist als das Zusammenspiel von klassischen Objekten (etwa Zahnrädern in einer mechanischen Rechenmaschine oder elektrischen Signalen in einem Draht), kann man einem solchen Quantencomputer auch Rechenbefehle erteilen, die völlig anders sind als die Rechenbefehle, mit denen ein gewöhnlicher, klassischer Computer arbeitet.
Manchmal sind die Quanten schneller
Das heißt aber nicht, dass ein Quantencomputer ein geheimnisvolles Orakel ist. Er ist eine nach strengen Regeln arbeitende Logik-Maschine wie jede andere auch. Jedes Rechenergebnis, das ein Quantencomputer liefert, kann prinzipiell auch mit einem klassischen Computer ermittelt werden. Der entscheidende Punkt ist nur: Es gibt ganz bestimmte Sorten von Rechenaufgaben, die ein Quantencomputer schneller lösen kann als jeder klassische Computer – zumindest wenn er ausreichend viele Qubits hat.
Die Frage ist also: Sind das nützliche Rechenaufgaben, die wir tatsächlich brauchen? Oder sind das eher exotische Anwendungen, die uns normalerweise egal sind? Und das ist schwer zu sagen – denn bisher gibt es erst eine relativ überschaubare Zahl von Rechenaufgaben, von denen man weiß, dass sie am Quantencomputer besser zu lösen wären als mit einem klassischen Computer.
Ein oft zitiertes Beispiel ist das Zerlegen großer Zahlen in ihre Primfaktoren. Das kann ein Quantencomputer tatsächlich besser als ein klassischer Rechner – zumindest theoretisch. Denn in der Praxis bräuchte man dafür eine große Zahl von Qubits, die man alle korrekt und fehlerfrei miteinander verschränken müsste, und das ist derzeit technisch noch außer Reichweite.
Gelänge das, hätte das eine wichtige Auswirkung auf die Verschlüsselung von Botschafen, denn unsere heutige Kryptographie beruht genau auf der Tatsache, dass es sehr lange dauert, eine große Zahl in ihre Primfaktoren zu zerlegen. Wer einen Quantencomputer hat, kann daher Nachrichten entschlüsseln, die heute noch als unknackbar gelten. Doch auch das heißt nicht, dass sich die Welt völlig verändert, wenn ein leistungsfähiger Quantencomputer zur Verfügung steht – denn längst hat man sich natürlich auch Verschlüsselungs-Varianten ausgedacht, die auch mit Quantencomputern nicht in überschaubarer Zeit geknackt werden können. (Man nennt das auch „Quantum-Safe Cryptography“.)
Die Zerbrechlichkeit der Quantenzustände
Das große Problem des Quantencomputers ist, dass quantenphysikalische Überlagerungszustände extrem fragil sind. Sobald ein Teilchen in Kontakt mit seiner Umgebung gelangt, gehen die Quanten-Überlagerungen rasch kaputt. Deshalb muss man ziemlich großen technischen Aufwand treiben, um mehrere Qubits auf zuverlässige Weise miteinander zu verschränken. Man kühlt Quantencomputer meist auf extrem tiefe Temperaturen ab, nahe am absoluten Nullpunkt. Elektromagnetische Strahlung von außen muss sorgfältig abgeschirmt werden. Je mehr Qubits man bereits hat, umso schwieriger wird es, weitere Qubits fehlerfrei hinzuzufügen.
Doch selbst wenn das gelingt, hat man noch immer nicht gewonnen. Denn ein Quantencomputer braucht noch mehr als bloß verschränkte Qubits: Man braucht auch noch Einheiten, die Quanteninformation in den Computer einspeisen und wieder auslesen, man braucht klassische Komponenten, die mit der entstehenden Datenflut sinnvoll umgehen können. Auch hier lauern noch große technische Herausforderungen.
„Aber das macht doch alles nichts!“ könnte man jetzt sagen. „Es ist doch nur entscheidend, dass es im Prinzip funktioniert, dann sorgt der freie Markt schon dafür, dass es einfacher, kompakter und billiger wird! Massenproduktion bringt Innovation!“ Und das ist tatsächlich oft richtig. Es wäre aber etwas naiv, davon auszugehen, dass der Fortschritt beim Quantencomputer so ähnlich verlaufen könnte wie der Fortschritt bei klassischen Computern.
Das liegt nicht nur daran, dass heute gar nicht absehbar ist, wofür Menschen, die einen wunderbar funktionierenden klassischen Computer auf dem Schreibtisch stehen haben, eigentlich einen Quantencomputer brauchen würden – es liegt vor allem an technischen Gründen: Die gewaltige Leistungssteigerung klassischer Computer gelang durch Miniaturisierung und eine exponentielle Steigerung der Anzahl verwendeter Bauteile. Beides dürfte beim Quantencomputer unmöglich sein: Atome kann man nicht mehr miniaturisieren. Die Bauteile, aus denen wir unsere Qubits machen, sind bereits so klein, wie sie überhaupt nur sein können. Und leider kann man die Leistungsfähigkeit eines Quantencomputers auch nicht einfach steigern, indem man immer mehr Bauteile hinzufügt – denn je größer das System wird, je mehr Qubits man miteinander verschränkt, umso größer wird auch die Wahrscheinlichkeit, dass durch unvermeidliche Störungen die fragilen Quantenzustände kaputtgehen.
Es ist daher anzunehmen, dass Quantencomputer keine Alltagsgeräte für alle werden, sondern eher von Expertenteams betriebene Großgeräte, deren Leistung man mieten kann. Es wird wohl Cloud-Lösungen für Quantum Computing geben: Wer eine Quantenrechenaufgabe lösen möchte, muss keinen Quantencomputer kaufen, sondern mietet sich per Mausklick eine bestimmte Rechenzeit am Quantencomputer. Ähnlich wird das mit Teilchenbeschleunigern gehandhabt, die etwa für die Materialforschung verwendet werden: Für Firmen lohnt es sich kaum, einen solchen Beschleuniger aufzubauen, und für Privatkunden schon gar nicht. Wer sie braucht, mietet sich Strahlzeit in einer bestehenden Anlage.
Jedenfalls weiterforschen!
Der Hype um den Quantencomputer mag also in mancherlei Hinsicht etwas überoptimistisch sein – das spricht aber in keiner Weise gegen die Forschung daran. Erstens kann der Quantencomputer auch dann eine großartige Sache sein, wenn er niemals ein Massenprodukt wird. Vielleicht wird er in Zukunft ein wichtiges Werkzeug für bestimmte Bereiche der Wissenschaft? Alleine das wäre die Investitionen schon wert.
Und zweitens ist die Forschung am Quantencomputer nicht nur für den Quantencomputer selbst nützlich, sondern für unzählige andere mögliche Anwendungen: Quantencomputer zu entwickeln bedeutet, bessere Methoden finden, um mit Quantenteilchen technisch umzugehen. Es bedeutet, klügere Techniken zu finden, um Quanten-Überlagerungszustände länger stabil zu halten. Genau das braucht man auch für alle anderen technischen Anwendungen, die mit Quantenphysik zu tun haben.
Ein medial unterschätztes Forschungsgebiet ist etwa die Quanten-Metrologie. Da geht es darum, mithilfe der Quantenphysik bessere, exaktere Sensoren und Messgeräte zu bauen. Vielleicht können wir in Zukunft viele physikalische Größen viel schneller und genauer erfassen als heute? Vielleicht tragen wir in Jahrzehnten simple, billige Quanten-Detektoren für allerlei Schadstoffe in der Tasche mit uns herum? Vielleicht entwickeln wir völlig neue Diagnoseverfahren für die Medizin? Welche Möglichkeiten durch Messungen mit Quanten-Präzision geschaffen werden, können wir uns heute noch kaum vorstellen.
Die Wissenschaftsgeschichte hat uns jedenfalls gelehrt: Meistens kommen die Dinge anders, als man denkt. Die Zukunft des Quantencomputers ist schwer vorherzusagen. Quantentechnologien insgesamt haben aber zweifellos ein gewaltiges Potenzial – sowohl wissenschaftlich als auch wirtschaftlich. In Österreich gibt es auf diesem Gebiet Expertise auf Weltniveau. Es wäre jammerschade, diese Chance nicht zu nutzen.
FLORIAN AIGNER ist Physiker, Wissenschaftspublizist und Autor. In seinen Büchern und Texten für Zeitungen und Radio befasst er sich hauptsächlich mit Naturwissenschaft und Technik, aber manchmal auch mit dem Gegenteil davon – nämlich wissenschaftsfeindlicher Esoterik und Verschwörungstheorien. Aigner lebt und arbeitet in Wien.