Wie liberal ist … der Klubzwang?
Dass ein Begriff, der mit -zwang endet, ein liberales Element der Selbstbestimmung in sich trägt, scheint prima vista paradox. Als Abgeordneter z. NR außer Dienst fühle ich mich aber manchmal berufen oder auch einfach provoziert, dem Klubzwang Positives abzugewinnen.
Das ergibt sich zunächst aus einer mäßig reflektierten Anwendung, die im politischen Gespräch – der österreichische Qualitätsjournalismus ist mitgemeint – üblich ist. Es ist ja gerade die Üblichkeit, die als denkerischer Reflex die Phrase an die hörbare Oberfläche bringt. Daniel Kahnemann würde bei dieser Form des bequemen Denkens auf System 1 und System 2 verweisen; ich verweise an dieser Stelle auf sein Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“, das ich nach dieser schnell hingeworfenen, also subjektiv bequemen Assoziation als Hinweis schuldig bin, will ich den vorher formulierten Satz nicht löschen und weiter fortfahren.
Zurück zum Klubzwang, der auch als Pflicht – auch bei der GIS wird ja gern gestritten, ob es sich um Zwangs- oder verpflichtende Gebühren handelt – gelesen werden kann. Etwa in dem Sinn, dass sich eine Regierungspartei, also deren Parlamentsklubs und Abgeordnete dazu bereit erklärt haben, eine Koalitionspartnerin gegebenenfalls nicht zu überstimmen oder bei unbequemen Materien auch gegen das eigene Gewissen mitzuziehen. Solche Kompromisse sind im Leben durchaus üblich. Sie sind nachvollziehbar, erlauben sie doch die friedvolle Aufrechterhaltung eines Vertrags, auch wenn das Verhalten Unverständnis zurücklässt – mitunter bei sich selbst.
In diesem Fall leichtfertig von Zwang zu sprechen, wird der Sache nicht ganz gerecht. Außerdem ermöglicht das freie Mandat – und da landen wir bei der Überwindung des Zwanghaften – trotzdem, der eigenen Expertise und dem Gewissen zu folgen und gegen die Linie des Klubs zu stimmen. Die Konsequenzen werden der handelnden Person bekannt sein.
Nun gibt es nicht nur Regierungsparteien und Koalitionsabkommen, sondern auch Opposition. Im Kreise dieser Abgeordneten ist das zwanghafte Befolgen einer Vorgabe schon weniger verständlich, wenn persönliche Gründe gegen ein Abstimmungsverhalten auf Linie sprechen. Hier nimmt die Bequemlichkeit in zwei Formen Gestalt an:
Der oder die Abgeordnete z. NR streckt gedankenexperimentell den feuchten Daumen hoch und misst den erwartbaren Gegenwind der beiden Optionen. Da kann es schon vorkommen, dass der Zwang mit weniger m/s und Rückgrat ausgestattet ist.
Dann gibt es aber noch die zweite Form der Bequemlichkeit, die ich eher als Servicecharakter bezeichnen würde: Der parlamentarische Betrieb kennt zig Ausschüsse, von denen der einzelnen Abgeordneten nur wenige durch die eigene Mitarbeit bekannt sind. Ein guter Teil der parlamentarischen Materie – ich würde meinen drei Viertel – entzieht sich der detaillierten inhaltlichen Kenntnis des jeweils abstimmenden Mandatars. Wer kann ohne aufwendige Recherche schon beurteilen, ob die Budgetierung von Hochwasserschutzmaßnahmen im nördlichen Oberösterreich würdig und recht ist?
An dieser Stelle wird der Klubzwang zur Empfehlung: Die gute Vorbereitung des Parlamentsklubs erlaubt es den Abgeordneten in den allermeisten Abstimmungen, der Vorgabe zu folgen. Schlussendlich handelt es sich auch um eine Gesinnungsgemeinschaft, die einer verbindenden Weltanschauung folgt. Daraus ergibt sich trotzdem keine Verbindlichkeit – und der liberale Kern des Klubzwangs erfordert auch, ihm hie und da nicht zu erliegen.
NIKO ALM war Herausgeber von Vice, Gründer der Agenturgruppe Super-Fi und zuletzt Geschäftsführer der investigativen Rechercheplattform Addendum. Aktuell ist Alm mit Average unternehmerisch tätig. Von 2013 bis 2017 war er für NEOS Abgeordneter zum Nationalrat mit den Schwerpunkten Medien, Wirtschaft, Weltraum und Kultur. Darüber hinaus engagiert sich Niko Alm in mehreren Initiativen für Laizität. 2019 veröffentlichte er sein erstes Buch „Ohne Bekenntnis – Wie mit Religion Politik gemacht wird“.