Wie liberal sind … Idols?

Hunderttausende Fans, ein Leben in Luxus und umgeben von einer treuen Gemeinschaft. So oder so ähnlich könnte man das Leben der „Idols“ beschreiben, die im asiatischen Raum immer mehr an Bedeutung gewinnen. Doch dieses Leben in Glanz und Ruhm hat auch seine Schattenseiten. Wie viel Selbstverwirklichung steckt im Idol-Leben?
Das Idol
Als „Idol“ bezeichnet man Personen, die entweder alleine oder als Teil einer Gruppe oder Band international bekannt sind. Die Entstehung eines Idols, insbesondere in Asien, ist ein komplexer und oft langwieriger Prozess. Agenturen suchen ständig nach neuen Talenten, oft schon im Kindes- und Jugendalter. Sie veranstalten Auditions, scouten potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten auf der Straße oder online und rekrutieren auch Trainees aus Tanz- und Gesangsschulen. In den letzten Jahren haben Casting-Shows wie „Produce 101“ (Südkorea) oder „Nizi Project“ (Japan) an Popularität gewonnen. Diese Shows bieten jungen Talenten die Möglichkeit, sich einem breiten Publikum zu präsentieren und einen Platz in einer Idol-Gruppe zu ergattern.
Ausgewählte Kandidat:innen werden zu „Trainees“ und durchlaufen ein intensives Trainingsprogramm, das mehrere Jahre dauern kann. Dieses Training umfasst Gesang, Tanz, Schauspiel, Sprachen (oft Koreanisch, Japanisch und Englisch), aber auch Etikette und Medienkompetenz. Das Training ist sehr anspruchsvoll und erfordert viel Disziplin, Ausdauer und Opferbereitschaft. Trainees leben oft in Wohnheimen und haben einen strengen Zeitplan. Viele von ihnen halten dem Druck nicht stand und brechen ab.
Das Debüt als Weichenstellung
Die Agentur entscheidet, welche Trainees in einer Gruppe debütieren und welche Rollen sie übernehmen. Dabei werden Faktoren wie Talent, Persönlichkeit, Aussehen und Markttauglichkeit berücksichtigt. Gerade das Aussehen ist in der asiatischen Welt für Idols sehr wichtig, wodurch viele schon in jungen Jahren auf Schönheitsoperationen zurückgreifen oder strenge, teils ungesunde, Diäten vollziehen. Die Agentur entwickelt eine Strategie für das Debüt, die Musikvideos, Promotionauftritte, Fan-Events und Social-Media-Aktivitäten umfasst. Das Debüt ist ein wichtiger Moment für ein Idol. Es markiert den Beginn der Karriere und entscheidet oft über den Erfolg.
Auch nach dem Debüt müssen sich Idols ständig weiterentwickeln und verbessern. Sie nehmen an neuen Trainings teil, lernen neue Songs und Choreografien und arbeiten an ihrem Image. Die Interaktion mit den Fans ist ein wichtiger Bestandteil der Idol-Karriere. Idols kommunizieren über soziale Medien, veranstalten Fan-Events und geben Konzerte. Neben der Musik sind Idols oft auch in anderen Bereichen aktiv, zum Beispiel als Schauspieler:innen, Models oder Moderator:innen.
Vieles davon trifft auch auf klassische Stars zu. Der Unterschied ist die „Maschinerie“ dahinter, dass Jugendliche zu Stars „herangezüchtet“ werden und nicht, wie es im Westen ist, mit ihrem Talent hoffen müssen, bei Castings, auf der Straße oder anderen Events von Talentscouts entdeckt zu werden. Die koreanische Idol-Industrie ist stark strukturiert und kontrolliert mit einem klaren Fokus auf Perfektion, Gruppendynamik und intensiver Fanbindung die einzelnen Idols. Westliche Stars haben in der Regel mehr künstlerische Freiheit und Autonomie, stehen aber ebenfalls unter dem Einfluss der Musikindustrie, wenn auch nicht in dem Ausmaß, wie es in der Idol-Industrie der Fall ist. Zusätzlich schreibt ein Großteil der westlichen Stars ihre Songs selbst oder zusammen mit ausgewählten anderen Stars, was bei den Idols überwiegend nicht der Fall ist.
Die Fans
Diejenigen, die am Ende des Tages den Agenturen und den Idols das Geld in die Kasse spülen, sind die Fans. Doch es sind gerade die richtig „vernarrten“ bzw. loyalen Fans, die das Idol am Leben erhalten. Am besten sieht man das anhand der südkoreanischen K-Pop-Band „BTS“, welche mit ihrer sogenannten BTS-Army eine eingeschworene und fast sektenhaft-wirkende Fangemeinschaft hat. Diese „Army“ organisiert zum Beispiel Fantreffen, bucht gemeinsam Konzertkarten oder schafft in ihren Heimatländern eigene Fanklubs.
Diese und andere Fanclubs zeichnen sich durch ihre intensive Hingabe und ihr umfassendes Wissen über ihre Lieblingsgruppen und die K-Pop-Szene im Allgemeinen aus. Sie besitzen nicht nur die Alben ihrer Lieblingsgruppe, sondern auch diverse Versionen, Photocards, Fanartikel und oft auch Alben von anderen Künstlern:innen derselben Agentur. Hardcore-Fans besuchen Konzerte, Fansigns und andere Veranstaltungen, oft auch im Ausland. Online sind sie in Fan-Communitys aktiv, schreiben Fanfiction, erstellen Fanart und diskutieren in Foren und sozialen Medien. Sie investieren viel Zeit und Energie in Streaming von Musikvideos und Voting für Awards, um ihre Idole zu unterstützen.
Was die „Fan-Armys“ von unseren westlichen Fans bzw. Fans von westlichen Stars unterscheidet, ist die starke Bindung zum Idol und der Wunsch, persönlich so nah wie möglich an den Lebensstandard bzw. an die Ideale des Idols heranzukommen. Sicherlich trifft dies auch auf Fans einiger westlicher Stars wie z.B. Taylor Swift zu, in der Idol-Kultur ist das aber nochmal ein ganzes Stück stärker ausgeprägt, besonders bei den negativen Aspekten. So sind sogenannte Fanwars, wo Fangruppen sich über Social Media gegenseitig attackieren, nicht gerade selten. Zusätzlich haben diese Fangruppen aufgrund ihrer Anzahl an Personen eine große Macht und schaffen es, Druck auf Firmen oder Medien auszuüben, um die Karriere eines Idols zu fördern oder der Karriere zu schaden.
Die Schattenseiten
So schön und glamourös die Welt der Idols oft dargestellt wird, so dunkel sind auch die Schattenseiten dieser Industrie.
Junge Talente, oft noch minderjährig, unterschreiben Knebelverträge, die sie auf Jahre hinaus an ihre Agenturen binden und ihnen kaum Mitspracherecht über ihr Leben und ihre Karriere lassen. Ihr Alltag ist geprägt von strikter Kontrolle, die von extremen Diäten und Trainingsplänen bis hin zur Überwachung ihrer Beziehungen reicht.
Die Agenturen verlangen den Idols viel ab, was zu einem immensen Leistungsdruck und chronischer Überarbeitung und Schlafmangel führt. Der Traum vom Ruhm verwandelt sich für viele in einen Albtraum aus psychischer Belastung, verstärkt durch ständige Beobachtung, Cybermobbing und den Zwang, einem unrealistischen Schönheitsideal zu entsprechen.
Die tragischen Suizide bekannter Idole haben die erschreckenden Ausmaße dieser Belastungen und den Mangel an Unterstützungssystemen in der Industrie schmerzlich offenbart. Die Sängerin und Schauspielerin Sulli starb im Oktober 2019 im Alter von 25 Jahren. Sie war Opfer von Cybermobbing und Hasskommentaren und sprach offen über ihre Kämpfe mit psychischen Problemen. Nur wenige Wochen nach Sullis Tod wurde die Sängerin Goo Hara, ehemaliges Mitglied der Girlgroup Kara, tot aufgefunden. Sie war 28 Jahre alt und litt ebenfalls unter Depressionen und Cybermobbing.
Die Frage nach der Selbstverwirklichung (der Fans)
Man fragt sich zu Recht, inwiefern das Leben als Idol erstrebenswert ist. Zwar erwarten einen Ruhm und Reichtum, doch der Preis dafür ist hoch. Das durchschnittliche Idol hat eine Relevanz von circa sieben Jahren. Diese „Sieben-Jahre-Marke“ ist bei vielen Gruppen und Idols der Punkt, wo sich ihre weitere Relevanz entscheidet. Viele gehen nach ihrer Karriere als Idol oder Gruppenmitglied in andere Sektoren der Unterhaltungsbranche oder starten eine Solokarriere. Einige arbeiten im Hintergrund für Agenturen weiter und komponieren Songs, kreieren Choreographien oder sind selbst als Manager:innen tätig.
Für die meisten beginnt aber nach der Phase des Idols das Leben als „Normalo“. Viele beginnen zu studieren oder fangen einen „normalen“ Job an. Denn auch wenn man als Idol gut verdient, reicht es meist nicht bis zur Pension.
Um nochmal auf die Fans einzugehen: Wie viel Selbstverwirklichung darf sich der Fan erlauben, um seinem Idol nachzueifern? Viele von ihnen rechtfertigen das damit, dass sie mit dem Nacheifern ihres Idols einerseits selbst das Gefühl erleben wollen, teil einer großen Gemeinschaft zu sein, andererseits aber auch die positiven Eigenschaften wie harte Arbeit, Disziplin, Talent und Freundlichkeit selbst zu verkörpern. Dass es nicht bei einem einfachen Imitieren bleibt, zeigen leider manche Einzelfälle, wie beim Mitglied Jungkook von „BTS“, der bei einem Flughafenaufenthalt von mehreren Fans umzingelt und bedrängt wurde, damit sie ihn berühren können, oder bei Mitgliedern der Gruppe „TVXQ“, wo Fans in die Wohnheime eingebrochen sind, um ihre Idols im Schlaf zu küssen.
Dass manche dabei, vielleicht auch unbewusst, die Grenzen des Idols überschreiten und mit Gedanken wie „Ich weiß, was das Beste für sie/ihn ist“ oder „Ich habe so viel für sie/ihn getan, ich habe ein Recht darauf“ das auch noch versuchen zu rechtfertigen, ist ein Problem, das insbesondere in der K-Pop-Industrie immer häufiger auftritt.
Weder künstlerische noch persönliche Freiheit
Abschließend kann man sagen, dass die K-Pop- bzw. Idol-Industrie alles sein mag, aber kein Weg, sein persönliches künstlerisches Interesse frei zu entfalten. Natürlich bekommt man Ruhm und Anerkennung, jedoch für eine Arbeit, die man zwar leistet, aber nicht selbst geschaffen hat. Und auch als Fan muss man sich die Frage stellen, inwieweit man seine persönlichen Interessen über das Wohl seines Stars stellt, wenn man versucht, von diesem Besitz zu ergreifen. Wenn die K-Pop-Industrie umdenkt, den Idols mehr persönliche Freiheiten einräumt und Probleme wie Mobbing, Stalking und Co. ernst nimmt, kann man auch als Idol eine selbstbestimmte und freie Karriere führen.