Henrike Brandstötter: „Tech-Konzerne werden Medien bezahlen“
Die Mediensprecherin der NEOS spricht über die Zukunft der Medien, die Rolle des ORF und die Zukunft der digitalen Wiener Zeitung.
Der österreichischen Medienpolitik kann man viel vorwerfen – aber nicht, dass nichts passieren würde. Denn vieles passiert – eine ORF-Reform, mit der die GIS zur Haushaltsabgabe wird, die Abschaffung und digitale Wiedergeburt der Wiener Zeitung, und so manch fragwürdige Maßnahme in der Medienförderung. Es gibt also zumindest Diskussionsbedarf im Bereich Medien.
Henrike Brandstötter ist die zuständige Bereichssprecherin der NEOS im Nationalrat. Letzten Sommer fiel sie mit ihrer Forderung auf, die „blaue Seite“ des ORF abzudrehen, um den privaten Medien mehr Luft zu lassen. Mittlerweile wurde zumindest der Text-Angebot auf orf.at reduziert. Wir sprechen mit ihr über den ORF, die neue Wiener Zeitung und darüber, wer in Zukunft für Medien bezahlen wird.
Ein Interview über Medienpolitik, da könnte man ja über alles reden. Fangen wir mal ganz offen an: Was beschäftigt dich gerade am meisten?
Am meisten beschäftigt mich gerade der Ausblick in die Zukunft. Wie werden wir Medien in Zukunft konsumieren, gegen Fake News abgrenzen und finanzieren? Denn momentan finanzieren sich Medien aus mehreren Quellen. Es gibt einige Menschen, die für Abos oder Ausgaben bezahlen – aber die Zahlungsbereitschaft dafür ist nirgendwo in Europa so gering wie bei uns, die liegt bei elf Prozent. Das hat auch damit zu tun, dass bei uns so lange Gratis-Inhalte zur Verfügung gestanden sind. Es gibt einfach keinen Grund, warum man sich ein Abo kaufen muss.
Außerdem ist die Zielgruppe für Printprodukte alt.
Das auch, wenn auch nicht nur. Aber generell kann man sagen: Die Konsumentinnen und Konsumenten sind nicht bereit zu zahlen, und gleichzeitig wandern die Werbeausgaben zu den Internet-Giganten. Und dann haben wir noch die öffentliche Hand, die zu Recht extrem in der Kritik ist, weil sie Steuergeld oft sinnlos verpulvert und Abhängigkeiten schafft – Medien gegenüber Politik, Politik gegenüber Medien.
Hast du dafür ein Beispiel? Was ist denn Geldverschwendung?
Generell ist es ja gut, wenn Regierungen mit Menschen kommunizieren. Es ist sogar ihre Aufgabe, mit den Bürgerinnen und Bürgern zu sprechen. Man kann dabei an Themen erinnern, Verhaltensänderungen herbeiführen. „Wir trennen jetzt Müll. Wir lassen uns jetzt impfen. Diese Karte gibt es jetzt auch im Scheckkarten-Format.“ Aber wenn man sich mit Medien beschäftigt, kommt man auch drauf, dass es viele Inserate gibt, wo man sich einfach fragt: Warum? Warum muss ich wissen, dass es in Wien öffentliche Bäder gibt? Wenn man Zeitungen aufmerksam durchblättert, einfach mal überprüfen, welches große Sujet wirklich Sinn macht.
Die Stadt Wien ist ja berühmt-berüchtigt dafür, irre Werbespendings auszugeben. Die produziert teilweise Magazine, deren Existenz sich jeglicher Logik entzieht. Und da müssen Bäume dafür sterben. Aber man muss auch Marketing für sich selbst machen und den Bürgerinnen und Bürgern vermitteln, dass sie in einer lebenswerten Stadt leben. Das ist auch wichtig gegen den Populismus: Bestes Beispiel ist ja die ÖVP, die ja die ganze Zeit Droh- und Untergangsszenarien zeichnet und versucht, den Menschen Ängste einzupflanzen. Und da sollte man natürlich als Stadt dagegenhalten. Nur wie sie es machen, das ist patschert.
Gut, aber zurück zum Thema. Wie wird denn Journalismus in Zukunft finanziert werden?
Ich glaube, in Zukunft werden Tech-Unternehmen Medien bezahlen. Die bringen gerade alle nach der Reihe künstliche Intelligenzen heraus. Und für diese Tech-Konzerne ist es total wichtig, dass die Inhalte ihrer KI stimmen und hochqualitativ sind. Das können sie nur tun, indem sie Desinformation schlecht bewerten und nicht übernehmen – und Medien eben bezahlen.
Warum glaubst du, dass es in diese Richtung geht?
Die Marken treten in den Hintergrund – wichtig ist, dass man sich auf den Inhalt von Medien verlassen kann. Wichtig ist nicht, von wem ich das habe, sondern dass es stimmt. Das sieht man jetzt schon an jungen Leuten, wenn sie etwas auf TikTok sehen. Wie überprüfen sie, ob das stimmt? Indem sie die Kommentare checken. Und das gleiche Problem hat man mit künstlichen Intelligenzen: Wenn ich mehr über, sagen wir, die Waldbrände in Rhodos wissen will, dann werde ich in Zukunft nicht mehr einzelne News-Seiten ansurfen, sondern meine KI fragen. Und die sucht mir das dann von verschiedenen Quellen zusammen.
Ist das nicht dieselbe Debatte wie bei den Social-Media-Plattformen? Auch da war ja die Idee, dass die Medien von Meta und Google bezahlt werden sollen, weil „die ein Geschäft damit machen“.
Es gibt Parallelen, aber mit KI haben wir eine andere Situation. Meta interessiert sich nicht für Journalismus, weil das, was funktioniert, das sind die Katzenvideos. Aber ein Tech-Unternehmen muss ein Interesse daran haben, dass die KI funktioniert. Wir dachten zum Beispiel früher, dass die Menschen bald Alexa nach Nachrichten fragen werden, und jetzt stellt sich raus: Das tun sie nicht. Sie fragen nach dem Wetter und nach Musik. Aber für die, die Alexa nach News fragen, braucht es eben eine Lösung. Da muss man sich noch mehr darauf verlassen, dass die Inhalte kuratiert sind, anders als bei einer Google-Suche oder in einem Social-Media-Feed.
Glaubst du, dass die Medienbranche auf diesen Trend vorbereitet ist? Und will sie das überhaupt hören?
Nein, viele werden das nicht gerne hören. Das kommt aber auch darauf an, mit wem im Journalismus man redet – die Herausgeberinnen und Herausgeber sind da offener. Die Journalistinnen und Journalisten fürchten sich vielleicht mehr davor, dass die KI in Zukunft Artikel schreiben wird. Ja, sie wird machen, was Bullshit ist, eben kleine Infoboxen und Daten zusammenstellen. Aber Longreads, Einordnung, das kann sie noch lange nicht. Durch diese Innovation können sich Medien wieder auf Qualität konzentrieren.
Könnte man zynisch sagen: Ohne Bullshit also weniger Bullshit-Jobs?
Ja, schon. Aber man sieht ja auch, warum es in diese Richtung geht, wenn man Menschen fragt, wofür sie bereit sind zu zahlen. Sie zahlen nicht für kleine Berichte, die es überall gibt, und für Infoboxen. Sondern sie zahlen für Einordnung und für das, was sie nirgendwo sonst bekommen. Darauf sind noch nicht alle Medien ganz vorbereitet, aber in diese Richtung wird es gehen.
Und als wäre das alles nicht herausfordernd genug, haben die privaten Medien ja auch noch das Problem des gigantischen ORF in der Mitte des Medienmarkts. Was ist dein Plan, um einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit der Medienvielfalt zu verbinden? Du hast ja auch mal gefordert, die blaue Seite abzuschaffen.
Es ist eine schwierige Debatte. Wir NEOS bekennen uns ja zum ORF, aber wir wollen auch benennen, was schiefläuft. Aber sobald du das ansprichst, kriegst du beleidigte Nachrichten von ORF-Mitarbeitenden oder sonstige Unhöflichkeiten ausgerichtet. Aber es geht nicht anders, man muss auch Fehler des ORF ansprechen. Und da war die ORF-Reform eine verpasste Chance.
Warum?
Der ORF hat ja eigentlich alles bekommen. Er musste sich halt ein Jahr schlecht behandeln lassen. Ein Beispiel: Es kann natürlich nicht sein, dass der ORF sich mit alten Verträgen die besten Boni leistet – aber das war halt früher einmal ausgemacht. Ministerin Raab hat den ORF als Privilegienstadl hingestellt, in dem sich alle die Taschen vollstopfen, und hat kurz klargemacht, wer der Chef ist.
Aber in Wahrheit war das alles Geplänkel: Der von der ÖVP eingesetzte ORF-Direktor Weißmann hat wirklich alles bekommen! Er bekommt wirklich viel Geld, es gibt kein großes Sparpaket, die Politik kann nach wie vor reinregieren – es gibt nur eine kleine Werbereduktion in einem Bereich, in dem es um nichts geht. Und es gibt auch immer noch die Länderabgabe, die den ORF zum Inkasso für die Bundesländer macht. Auch das hätte der Bund den Ländern verbieten können.
(Jetzt holt Brandstötter ihr Handy heraus.)
Der ORF tut oft so, als wäre er edel im Sinne der Allgemeinheit unterwegs, ohne mit irgendjemandem in Konkurrenz zu stehen. Aber da: Im Medienmagazin Horizont schaltet der ORF Werbung mit „Buchen Sie Reichweite – große Reichweite macht Ihre Kampagne erfolgreich“. Da soll mir noch irgendwer erklären, dass man nicht mit Privaten konkurriert!
Und wie rettet man die Privaten jetzt davor? Mit noch mehr öffentlichem Geld?
Ich bin froh, dass es die Privaten gibt, aber ohne Förderungen wäre das momentan aussichtslos. Und da bin ich schon dafür, denn wir brauchen diese Vielfalt. Darum müssen wir weiterdebattieren, wie wir den ORF sinnvoll einschränken können, ohne ihn in seiner Qualität zu beschränken.
Ein Sinnbild dafür: Der ORF betreibt über 120 Podcasts. Jeder davon ist mit Sicherheit hervorragend gemacht, bei vielen davon kann man den öffentlich-rechtlichen Mehrwert argumentieren, und oft ist es ein Output sonstiger ORF-Produktionen. Aber das macht etwas – es nimmt Raum weg für den einzelnen, kleinen Podcaster, der versucht, ein kleines Taschengeld mit seinem Podcast zu bekommen. Da dehnt sich der ORF einfach aus. Er hat True Crime, er hat mehrere Podcasts für Pflanzentipps. Ganz ohne Kritik nimmt er anderen Medien die Luft zum Atmen. Und wenn du das ansprichst, fühlen sich viele Leute persönlich angegriffen. Da würde ich mir wünschen, dass man Kritik an der Struktur und Kritik an der Person trennen kann.
Warum ist das so? Glaubst du, dass das damit zu tun hat, dass ORF-Kritik lange mit der Forderung der Abschaffung oder Kontrolle nach ungarischem Vorbild zusammenhing? Bevor es NEOS gab, war ORF-Kritik ja hauptsächlich eine Sache der FPÖ.
Das ist eine Art Wagenburgmentalität. Ich finde es ja eigentlich gut, dass die Menschen im ORF stolz auf ihr Unternehmen sind, aber da findet eine Überidentifikation statt. Sie geben sich Mühe, ihre Monopolstellung auszubauen, aber wenn die nicht kritikfähig sind, kommen die nicht aus der Nummer heraus. Weil die Menschen da draußen, die das zahlen, die wollen sich nicht abkanzeln lassen, wenn es um gefärbte Berichterstattung geht. Warum wird jemand wie Ziegler in Niederösterreich nicht rausgeschmissen? Es wird nicht mit der Zivilgesellschaft darüber gesprochen, was dieser Rundfunk leisten soll, den wir alle zahlen.
Ein anderes Thema, über das wir noch reden sollten, ist die Wiener Zeitung. Mir kommt vor, dass viele neue, digitalere Medien jetzt besser funktionieren als vorher. Ob es das Profil unter Anna Thalhammer ist, oder eben die neue WZ, die jetzt digital ist und die Print-Ausgabe der Wiener Zeitung ersetzt hat. Bei den Geschichten über das Mini-Dubai in Grafenwörth hat man so viel über das Medium geredet wie lange nicht mehr. Wie beurteilst du das?
Gratulation an das Team der WZ, das war wirklich eine gute Story. Aber man muss schon genauer hinschauen, zu welchem Preis. Erstmal ist das Auftreten, das Look & Feel der WZ sehr ähnlich zu Tageins, einem Medienprojekt, das auch ich mit Crowdfunding unterstützt habe. Und sie bekommt immerhin 6,5 Millionen Euro Förderung – das ist echt viel Kohle! Nicht einmal der Boulevard bekommt so viel! Damit machen sie kleinen Medien Konkurrenz, die versuchen, selbst ihr Publikum zu finden. Da frage ich mich, ob das Steuergeld gut eingesetzt ist.
Und der andere Punkt, der noch immer nicht gelöst ist: Die WZ ist nach wie vor nahe am Kanzleramt. Ich glaube ihnen, dass keiner aus dem Bundeskanzleramt anruft und Artikel bestellt, das war auch vorher nicht der Fall. Aber der Punkt ist: Warum gibt es diese WZ überhaupt? Es ist ja absurd, dass das BKA eine Online-Zeitung betreibt, die genau so gemacht ist, dass sie keine Konkurrenz zu anderen Privaten ist, weil der Verband Österreichischer Zeitungen sonst in Brüssel ein Verfahren eröffnet. Und warum sollen wir das finanzieren?
Was glaubst du? Warum finanzieren wir das denn wirklich?
Das sind ja auch 6,5 Millionen Euro für die anderen Unternehmen in der Wiener Zeitung GmbH. Da kann man auch diverse Dinge unterbringen, die sich jeder parlamentarischen Kontrolle unterziehen, allen voran PR-Agenturen. Da kann ich anfangen, eigene Leute dort auszulagern und die Zahl der Mitarbeitenden, die man im Parlament anfragen kann, zu reduzieren. Oder man kann zusätzlich zum bestehenden Geschäft etwas zukaufen. Das könnte der Grund sein, warum man an der WZ festhält. Anders kann ich es mir nicht erklären.
Zum Schluss noch eine sehr offene Frage. Nehmen wir mal an, du bist Medienministerin. Du hast eine feste parlamentarische Mehrheit und die Koalition hinter dir, um einen großen Brocken anzufassen und sofort zu ändern. Was würdest du als Erstes machen?
Das weiß ich sofort: Die Förderlandschaft ändern. Ich würde die Kriterien, welche Medien öffentliches Geld bekommen, viel mehr an Qualität knüpfen. Bei mir kriegen Medien dann Geld, wenn sie ein Redaktionsstatut haben, wenn sie ihre Quellen nachweisen können, ihre Mitarbeitenden angestellt haben, auch eine gewisse Diversität mitbringen. Es ist mir ein Rätsel, warum so eine Selbstverständlichkeit momentan noch optional ist.