Moritz Moser: „Beamten- und Politikermentalität bestimmt die Außenpolitik“
Der Chefredakteur der Neuen Vorarlberger Tageszeitung spricht im Interview über die Schwächen der österreichischen Außenpolitik und darüber, was man konkret an ihr verbessern könnte.
Viele, die die österreichische Außenpolitik beobachten, sagen, dass die Außenpolitik ein Werkzeug der Innenpolitik ist. Was ist damit gemeint?
Dass Österreich Außenpolitik großteils nur so betreibt, dass man im Inland einen Vorteil erwirtschaftet. Man setzt politisches Kapital im Ausland also nicht für Dinge ein, die im Inland nichts bringen. Ein Musterbeispiel dafür ist das österreichische Veto gegen den Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien, das kürzlich eingelegt wurde. Da sage nicht nur ich, dass das vermutlich mit Blick auf die niederösterreichische Landtagswahl passiert ist.
Was verspricht man sich denn davon?
Als Partei in einem Wahlkampf muss man Kanten schärfen und will dem Wähler zeigen, wofür man steht. Dieses Mal ist es wahrscheinlich die FPÖ, auf die man damit reagiert: Die ÖVP hat das Gefühl, zeigen zu müssen, dass sie in Bezug auf die europäische Integration Wert auf sichere Grenzen legt.
Und wie schlau ist dieses Kalkül? Geht das in der Regel auf?
Ich kann mir schon vorstellen, dass das aufgeht. Leute, die sich sehr intensiv mit Politik beschäftigen, unterschätzen oft, wie wenig sich die meisten anderen Menschen mit Politik beschäftigen. Wenn das bei jemandem ankommt, dann wahrscheinlich nur als Schlagzeile, dass Österreich ein Veto gegen Rumänien und Bulgarien einlegt. Wer sich nicht mit Politik beschäftigt, hat dann gewisse Bilder im Kopf – und das wollte man auch erreichen. Warum das eigentlich passiert, ist eine Elitendebatte, die nicht nach unten sickert.
Gibt es andere Beispiele dafür, Außenpolitik als Innenpolitik einzusetzen?
Ein Beispiel, über das ich einmal geschrieben habe, als Sebastian Kurz nach Malta geflogen ist, um sich auf einem Schiff abzulichten, das angeblich von Frontex sein sollte. Das kann sich natürlich kein Journalist leisten, da alleine hinzufliegen, also hat das Außenministerium den Trip als „Frontex-Reise“ verkauft. In Wirklichkeit waren alle Frontex-Schiffe auf See, und Kurz ließ sich auf irgendeinem Schiff der maltesischen Küstenwache ablichten. Das Außenministerium behauptete danach faktenwidrig, es wäre ein „Frontex-Schiff der maltesischen Küstenwache“ gewesen. Da weiß man nicht, ob das im Interesse Österreichs ist, oder ob da einfach jemand gerne ein gutes Bild hätte.
Wann hatte Österreich das letzte Mal eine „echte“ Außenpolitik, die nicht nur Symbolcharakter hatte?
Ich glaube, dass man Schüssel attestieren kann, dass er eine aktive Außenpolitik gemacht hat. Er und Kreisky sind da sehr stark zu nennen. Kreisky gilt als der Außenpolitiker der Zweiten Republik.
Kreisky ist ja auch sehr stark mit dem Begriff der „aktiven Neutralitätspolitik“ verbunden. Was heißt das eigentlich? Und was hat dieser Trend, Innen- und Außenpolitik zu vermischen, mit der Neutralität zu tun?
Es ist ein schwammiger Begriff, der natürlich verdeutlicht, dass ein neutraler Staat eine andere Rolle in der internationalen Politik hat als ein nicht neutraler Staat. Das kann man auch nutzen, wie die Schweiz das z.B. tut: Sie stellt anderen Staaten, die sich in Konfliktsituationen befinden, Ressourcen und Manpower zur Verfügung, um eine Lösung zu erreichen. Österreich macht das praktisch überhaupt nicht. Wir bieten das nicht an.
Aber generell geht es darum, Dinge zu nutzen, für die man gut dasteht. Die Neutralität ist eben eines davon, sie ist ein Verkaufsargument für „Man ist ein neutraler Vermittler“, das Österreich nicht nutzt. Die Schweiz hätte auch nicht viel davon, wenn es nicht funktionieren würde, am Ende als guter Makler dazustehen. Man poliert damit sein Image. Es ist auch die Frage, ob das den Aufwand wert ist. Österreichs Antwort ist da eher Nein, aber das ist wahrscheinlich auch personell bedingt – das Außenministerium ist auch eines der Ministerien mit der niedrigsten Personaldecke.
Was ist mit dem Atom-Deal mit dem Iran, der in Wien verhandelt wurde? Eine Fortsetzung wird ja auch in den Hotels von Wien verhandelt.
Dazu hat Österreich genau gar nichts beigetragen. Die sind hergekommen, weil Wien Sitz der Internationalen Atomenergiebehörde ist und immer noch einen Ruf als Weltstadt hat. Aber in diesen Prozess war Österreich überhaupt nicht eingebunden. Natürlich hat Kurz versucht, das eine oder andere Foto abzustauben, er hat auch einige vom Flughafen abgeholt. Aber im Iran-Deal war Österreich keine Spur beteiligt.
Sie haben die personelle Situation im Außenministerium angesprochen. Was ist da los?
Es ist wie überall: Geld und Personal. Aber es ist auch politischer Wille und politische Aufmerksamkeit. Wir hatten wenige Außenminister, die das Pouvoir in der eigenen Partei und in der Politik hatten, um etwas zu machen. Für eine anständige Außenpolitik wäre es auch wichtig, Minister zu haben, die mehr als zwei Jahre im Amt sind.
Und dann haben wir noch das Problem, dass Österreich die Außenpolitik sehr stark auf die EU konzentriert. Das Außenministerium ist da ziemlich außen vor. Wenn man böse sein will, könnte man es „Postkasten der Republik“ nennen. Sie sind zuständig dafür, Verträge abzuschließen, es gibt das Völkerrechtsbüro, aber sie haben keine starke, inhaltliche Entscheidungsmacht und werden in viele Dinge nicht eingebunden.
Was hat sich da unter den letzten Außenministern verändert?
Dass Kurz ihnen die Koordination beim Ausschuss der Ständigen Vertreter entzogen hat, war auch ein Zeichen dafür, dass er selbst das Außenministerium als Trittbrett verwendet hat und sogar Macht herausgenommen hat, nachdem er weg war.
Diese Beliebigkeit zeigt sich auch in der Tatsache, dass Kurz Integration aus dem Innen- ins Außenministerium mitgenommen hat, obwohl es überhaupt nichts damit zu tun hatte und im Ministerium auch als Fremdkörper wahrgenommen wurde. Da ist es darum gegangen, dass ein Minister gerne weiterhin für Integration zuständig wäre. Da wird das Ressort als Beiwagerl durch die Gegend geschoben und nicht als die wertvolle politische Ressource behandelt, die es sein könnte – wir haben immerhin gute Diplomaten in Österreich.
Ist das Problem auch, dass man nicht wirklich weiß, wer für Außenpolitik zuständig ist?
Es ist sicher ein Problem, dass die tatsächliche Machtverteilung in der Außenpolitik nicht der Verfassung entspricht. Die Republik wird vom Bundespräsidenten nach außen vertreten, also geht theoretisch alles über ihn – tut es aber nicht. Dann haben wir den Bundeskanzler, der gerne außenpolitisch auftreten würde, dort aber verfassungsrechtlich gar kein Standing hat, nur auf der europäischen Ebene ist das strittig.
Die, die gerne zuständig wären, sind es nicht, und die, die zuständig sind, wollen es vielleicht gar nicht sein oder haben das realpolitische Standing nicht, um es auszuleben. Man muss sich aber auch einfach für zuständig erklären. Ein Bundeskanzler, der eine aktive Außenpolitik betreiben möchte, kann das auch tun. Österreich hatte über weite Strecken der Zweiten Republik kein Außenministerium, und da hatte Österreich eine aktivere Außenpolitik als das, was wir jetzt tun.
Wie könnte man Österreichs Außenpolitik denn verbessern?
Ich glaube, Österreich braucht mehr Personal im Außenministerium. Wir haben gute Leute dort, aber es sind zu wenige. Wenn man sich ansieht, wie viele Leute für Afrika zuständig sind: Das ist lachhaft. Wie will man da irgendeine Form von Außenpolitik machen?
Wir brauchen mehr Botschaften, wir brauchen mehr Vertretungen im Ausland, wir müssen präsenter sein. Es gibt Staaten, in denen Österreich vielleicht nicht viel konsularische Arbeit zu tätigen hätte – sprich, es leben nicht sehr viele Österreicher dort –, wo wir uns aber trotzdem einbringen könnten. Wenn man sich anschaut, welche weniger großen Länder in Krisenstaaten wie dem Iran oder Nordkorea vertreten sind, findet man eher Schweden und die Schweiz, aber nicht Österreich.
Es hat sicher auch mit der österreichischen Beamten- und Politikermentalität zu tun: Man will einfach keine Probleme haben. Und wenn man nichts tut, kann einem auch nichts vorgeworfen werden. Ich fürchte, das ist bestimmend für die österreichische Außenpolitik.
MORITZ MOSER ist Journalist und Chefredakteur der NEUE Vorarlberger Tageszeitung. Nach seinem Studium der Politikwissenschaft arbeitete er in der Verwaltung, 2014 wechselte er in den Journalismus, wo er u.a. für NZZ.at und Addendum tätig war. Im „Handbuch der österreichischen Außenpolitik“ schreibt er u.a. über die Außenpolitik als Werkzeug der österreichischen Innenpolitik.