Julia Seidl: „Nicht Aufgaben der Gemeinden an die Betriebe abschieben“
Julia Seidl ist Tourismus- und Kultursprecherin von NEOS. Anlässlich der aktuellen Sommersaison haben wir mit ihr über Herausforderungen und die Situation im Fremdenverkehr gesprochen.
Der Tourismus hat unter der Corona-Pandemie stark gelitten. Hat sich die Branche in Österreich wieder erholt? Ist der österreichische Tourismus fit für die Sommersaison?
Es hat sich gezeigt, wie resilient der Tourismus ist. Es schaut auch aktuell wieder sehr gut aus für den Tourismus, die Buchungslage ist stark. Wir sind noch nicht auf dem Stand von 2019 – das war ja das beste Jahr überhaupt, seit wir Zahlen ermitteln – aber schon ziemlich nah dran. Das bedeutet, dass wir da gut aufgestellt sind und dass die Unternehmen bewiesen haben, dass sie sich anpassen können.
Auf der Liste der bundesweiten Mangelberufe für 2023 finden sich gleich mehrere Berufsgruppen aus dem Bereich Tourismus: Köch:innen, Kellner:innen, Hotelfachleute. Woran liegt das? Ist der Tourismus als Branche unattraktiv für Arbeitnehmer:innen?
Wir haben im Tourismus wahnsinnig viele Teilzeitkräfte. Aber wir wissen nicht: Sind das 20-Stunden-Kräfte, sind das 30-Stunden-Kräfte, oder wie viel Arbeitszeit haben die tatsächlich? Der Teilzeit-Anteil ist auch deshalb sehr hoch, weil im Tourismus sehr viele Frauen arbeiten, lange Pendelwege für Frauen mit Kind sind da nicht möglich. Gleichzeitig ist die Kinderbetreuung in diesen Regionen aber schlecht ausgebaut. Das ist ein Problem, weil man im Tourismus oft Teildienste oder geblockte Dienste hat, und am Wochenende gibt es oft überhaupt kein Betreuungsangebot. Diese Frauen haben also keine Chance, mehr zu arbeiten.
Spielt die Pandemie da auch eine Rolle?
In und nach der Corona-Zeit sind viele ausländische Arbeitskräfte nicht mehr nach Österreich zurückgekommen. Die haben in ihrer Heimat umgesattelt und neue Jobs angenommen. Einige kommen jetzt wieder zurück, aber das läuft sehr langsam an. Wir haben im Tourismus viele Menschen aus dem europäischen Ausland, aber wir sind kein attraktives Zuwanderungsland, und ganz Europa fischt im selben Teich. Wenn wir das mit der Rot-Weiß-Rot-Karte nicht besser hinkriegen, dass auch Leute aus Drittstaaten kommen können, dann wird sich die Situation auch nicht verbessern. In der Gastro- und Hotellerie-Branche wird gesagt, es ist beinahe unmöglich – man will ja, dass diese Leute bald kommen, und bis das alles abgewickelt ist dauert’s lang, das ist viel zu kompliziert. Insofern war es gut, dass die Mangelliste um diese Berufe erweitert worden ist, denn sonst hätte man keine Chance, diese Leute ins Land zu holen.
Und was man natürlich auch sagen muss: Wir haben im Tourismus auch viele Betriebe, die diese Work-Life-Balance-Sache, die für viele eine große Rolle spielt, nicht ganz verstanden haben. Und da geht es schon auch um die Bezahlung. Wenn ich 50, 60 Stunden in der Woche arbeite in der Saison, das ist ja nicht ungewöhnlich, dann sollte man schon auch gut entlohnt werden. Da gibt es leider noch viel zu viele schwarze Schafe, die glauben, dass das nicht notwendig ist.
Das würde ich gern noch ein bisschen vertiefen. Die unregelmäßigen Arbeitszeiten sind schwer mit Kinderbetreuung zu vereinbaren. Braucht es da mehr Angebot, längere Öffnungszeiten oder ganz neue Modelle?
Wir haben schon einen Vorschlag eingebracht, der jetzt auch umgesetzt wird. Für uns ist wichtig: Wenn wir schon Geld in Form von Förderungen in den Tourismus stecken, muss es in Projekte fließen, die wirklich nachhaltig arbeiten und dem Arbeitskräftemangel auch entgegenwirken. Wenn sich Hotels zusammenschließen und gemeinsam die Kinderbetreuung für ihre Angestellten aufstellen, kann man ihnen dafür auch finanziell unter die Arme greifen. So eine Einrichtung mache ich ja nicht von heute auf morgen, und das ist auch sehr kostenintensiv. Es gibt mittlerweile einige Betriebe, die das wirklich großartig machen, die kombinieren das dann mit der Kinderbetreuung für die Gäste. Ich glaube, das ist eine gute Lösung, weil sie bei den Öffnungszeiten natürlich ein bisschen flexibler sind.
Aber gleichzeitig müssen wir aufpassen, dass wir da nicht Aufgaben der Gemeinden an die Betriebe abschieben. Es muss schon ein Angebot von der Gemeinde geben, für alle anderen Menschen der Gemeinde. Und das gilt auch für die Nachmittagsbetreuung in der Schule. Kinderkrippen sind mittlerweile nicht mehr das große Problem, sondern wenn die Kinder dann in die Volksschule kommen und man plötzlich keine Nachmittagsbetreuung mehr hat. Und das können die Betriebe nicht abfedern – das muss die Gemeinde machen.
Der zweite Punkt waren Arbeitskräfte aus dem Ausland. Die Mangelberufsliste ist erweitert worden, die ist ja so etwas wie die Grundlage für die Rot-Weiß-Rot-Karte. Was muss noch getan werden, um wieder mehr Menschen in die Branche zu bringen?
Wenn Arbeitskräfte aus dem Ausland kommen, ist das größte Problem meistens die deutsche Sprache. Das ist in der Küche nicht so tragisch, aber im Service schon ein Problem – die Gäste müssen sich ja mit dem Personal verständigen können. Da ist es wichtig, den Betrieben auch unter die Arme zu greifen und Deutschkurse anzubieten. Das machen die Hotels jetzt eben selbst, wenn es kein passendes Angebot in der Region gibt.
Es gibt schon einige private Initiativen, die versuchen, Betriebe und Personal von Anfang an zu verknüpfen und eine Basisausbildung zu vermitteln. Mit denen müssen wir viel mehr zusammenarbeiten, weil die genau wissen, was sie brauchen und wie das am besten geht. Da werden direkt in Südamerika oder in Indien Leute rekrutiert, kommen über einen sicheren Weg nach Österreich und haben sofort einen Job, wenn sie da sind. Und ganz viele davon wollen das nicht nur sechs Monate machen, die wollen bleiben. Da sind wir wieder beim Thema Aufenthaltsgenehmigung und Staatsbürgerschaft – das dauert in Österreich alles viel zu lang.
Julia Seidl ist Tourismus- und Kultursprecherin von NEOS
Bezahlung, Arbeitszeiten, Saisonarbeit, wenig Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten: Die Tourismusbranche hat ein Imageproblem, oder?
Es gibt genug Betriebe, die einen super Job machen, die gute Arbeitsbedingungen bieten und gut bezahlen. Die sagen mir dann: Ich habe kein Problem mit dem Personal, ich hab sogar zu viel! Aber viele, die aktuell suchen, sind in einer Größe, die keine Managementebene zulässt, weil sie eben klein strukturiert sind. Jetzt kommt die Bundesregierung und macht eine Imagekampagne und bewirbt damit aber genau diese Betriebe, die eben mit ihrem Personal keinen guten Job machen. Wieso nimmt man da nicht die positiven Beispiele heraus und zeigt auf, wo es gut gemacht wird?
Wie kann man da gegensteuern?
Vor allem schauen, dass die Spielregeln passen. Aber wir müssen auch schauen, dass wir unsere Betriebe konsequent zu Ganzjahresbetrieben ausbauen. Saisonarbeit ist für viele Menschen schwierig, vor allem für die aus dem Ausland. Das wäre also wichtig, um Arbeitskräfte langfristig im Land zu halten. Die Zwischensaison ist ja auch für viele attraktiv, die nicht in den Hauptsaisonen verreisen müssen.
Und was auch schon passiert: Die Tourismusverbände in den Regionen setzen auch darauf, die Region als Ganzes attraktiv zu machen für die Leute, die in diesen Branchen arbeiten wollen. Ich verstehe nicht, warum die Tourismusverbände oder die Wirtschaftskammer da nicht mehr machen. Die haben Geld wie Heu für genau solche Sachen.
Ist der Arbeitskräftemangel im Tourismus auch ein Lehrlingsmangel? Die Dropout-Quote bei Lehrlingen in der Gastronomie ist sehr viel höher als der Durchschnitt über alle Branchen.
Es muss viel mehr auf die Qualität der Lehre geachtet werden. Aktuell ist es so, dass Betriebe sich einmal mit einem Kurs zertifizieren müssen, um Lehrlinge ausbilden zu dürfen. Danach wird nie wieder darauf geschaut, ob die Voraussetzungen immer noch erfüllt werden, und das kann es halt nicht sein. Wenn ich in einem kleinen Gasthaus eine Kochlehre mache, wo ich die meiste Zeit allein in der Küche bin, lerne ich nichts, das ist für Jugendliche auch uninteressant.
Wir haben in Tirol schon lange Wettbewerbe für Lehrbetriebe. Die müssen sich regelmäßig der Challenge stellen, bei der Lehrlinge den Betrieb bewerten. Sie heißen dann ausgezeichnete Lehrbetriebe – und das ist schon ein Qualitätssiegel, auf das man sich verlassen kann. Das sollte in ganz Österreich ausgerollt werden.
Apropos Qualitätssiegel, du hast einen Antrag im Parlament betreffend Guide Michelin gestellt – was erhoffst du dir davon? Was kann dieser Restaurantführer für den heimischen Tourismus beitragen?
Das wäre ganz wichtig, weil es viele junge Menschen gibt, die in dieser High-Class-Küche eine Rolle spielen wollen und dann ins Ausland gehen. Das ist schlecht für unseren Nachwuchs und die Lehre, aber uns entgeht auch die Kundenschicht – sehr zahlungskräftige Menschen, die zu solchen Lokalen reisen und für Kulinarik viel Geld ausgeben. In Österreich wird für Kulinarik viel geworben, aber nur innerhalb des Landes. Wir dürfen uns aber schon trauen, uns mit den international besten Küchen zu messen.
Mein Antrag fordert den zuständigen Minister auf, dass einmal das Gespräch gesucht wird. Den Guide Michelin hat es in Österreich schon gegeben, dann war er plötzlich wieder weg. Damit ist Österreich eines der wenigen Länder in Europa, in dem man keine Sterne erkochen kann. Die Guide Michelin-Sterne sind aber der Oscar in der Kulinariklandschaft, die Hauben von Gault & Millau sind die Romy.
Dass der Guide Michelin nicht zurückkommt, liegt aber auch daran, dass die Bundesregierung die vorhandenen Platzhirsche schützen will. Die bekommen viel Inseratenwerbung von AMA und Co. Aber der Guide wird anders finanziert, da kann man nicht inserieren. Für die internationale Sichtbarkeit und mehr Qualitätstourismus wäre er trotzdem wichtig.