Michael Bernhard: „Im Klimaschutz haben wir einen schwachen Staat“
Fünf Jahre türkis-grüner Politik neigen sich dem Ende zu. Im Spätherbst der Bundesregierung geht es für die Grünen vor allem darum, bei ihrem Kernthema zu liefern: dem Klimaschutz. Mit ihrer bisherigen Bilanz ist der NEOS-Sprecher für Umwelt und Klima nicht ansatzweise zufrieden. Im Interview erklärt er, was in der heimischen Umweltpolitik fehlt.
MATERIE: Am Anfang dieser Legislaturperiode gab es von einigen die Hoffnung, dass im Klimaschutz etwas weitergehen könnte. ÖVP und Grüne, das könnte etwa beim Bodenverbrauch eine große Chance sein. War diese Hoffnung berechtigt?
Michael Bernhard: Nein, die ÖVP hat ja auch schon in der Vergangenheit im Klimaschutz blockiert. Ich hab den Umweltminister Andrä Rupprechter erlebt, das war ein Typ, der niedrige Temperaturen im Winter als seinen Erfolg verkauft hat. Die ÖVP hatte nie ein echtes Anliegen im Klimaschutz – aber ja, ich hatte große Hoffnung, dass die Grünen da mehr weiterbringen. Dass eine Ökopartei, die über Jahrzehnte regieren wollte und theoretisch auch ganz viele Konzepte hat, auch wirklich in die Umsetzung geht. Ich bin kein Grünen-Fan, aber mit dieser Erwartung habe ich auf diese Regierung geschaut. Und jetzt bin ich maßlos enttäuscht.
Warum enttäuscht?
Weil die Bundesregierung zu wenig weitergebracht hat. Es gibt ein paar Gesetze, die sie vorangebracht haben. Aber wenn die Idee war, es ist „das Beste aus beiden Welten“, oder wie wir NEOS sagen: „Wirtschaft und Umwelt verbinden“, dann ist das gescheitert. Entweder die Wirtschaft hat blockiert und wir haben ein abgestecktes Ökogesetz bekommen, oder Öko hat sich durchgesetzt und die Wirtschaft hat neue Bürokratie bekommen. Diese Harmonie hat die Bundesregierung nie hergestellt.
Du hast angesprochen, dass die ÖVP nie eine klimapolitische Vision hatte. Aber von ihr kommt doch eigentlich die Idee der ökosozialen Marktwirtschaft. Ist sie mittlerweile davon abgerückt?
Die ökosoziale Marktwirtschaft war ein Anliegen eines kleinen Teils der ÖVP, der sich gut angehört hat. Aber es war in keiner einzigen ÖVP-Ministerium maßgeblich. Es gab keinen einzigen Minister, keine einzige Ministerin, der oder die eine ökosoziale Marktwirtschaft etablieren wollte. Und wenn du 37 Jahre in der Regierung bist und nicht machst, was in deinem Parteiprogramm steht, kann man glaube ich guten Gewissens sagen: Es ist dir kein Anliegen. Aber die ökosoziale Marktwirtschaft ist ein Konzept der Zukunft – wenn wir keine Balance zwischen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Interessen finden, werden wir weder Wohlstand noch eine intakte Umwelt weitergeben können.
Was bedeutet eigentlich „Umwelt und Wirtschaft verbinden“ für dich?
Das bedeutet zu verstehen, dass die größten wirtschaftlichen Interessen, die wir als Österreich, als Europa und als Weltgemeinschaft haben, hauptsächlich im ökologischen Bereich liegen. Wenn man im Bereich Venture Capital nachfragt „In welchen Bereich investierst du?“, dann sind von den fünf größten Bereichen vier ökologisch, der fünfte ist künstliche Intelligenz. Alles Geld der Welt geht dahin, dass wir nachhaltige Energie brauchen, die bei den Grenzkosten nahe am Null-Cent-Bereich ist, und dass wir ein Umfeld haben, in dem noch viele Generationen leben können. Das bedeutet „Umwelt und Wirtschaft verbinden“: Du brauchst Innovation, du brauchst Technologie, du brauchst Wissenschaft und du brauchst superviel Zuversicht.
Viele Menschen, denen Klimaschutz wichtig ist, vermuten dahinter eine Ausrede, gerade auf linker Seite. Dass ein Gesamtkonzept davon ablenken soll, echte Maßnahmen zu setzen. Zum Beispiel bei der „Technologieoffenheit“, die ja oft als Entschuldigung angeführt wird, wenn es darum geht, weiter mit Verbrennern zu fahren. Wie siehst du das?
Ich verstehe den Kritikpunkt. Rechte Parteien haben den Begriff Technologieoffenheit gekapert, meinen aber eigentlich Technologieverbohrtheit. Sie wollen alles haben wie bisher, aber neue Überschriften, damit sie eine Ruhe haben. Die Kritik ist also nachvollziehbar, aber keine Lösung. Denn die Politik hat ja immer noch die Aufgabe, einen Rahmen zu setzen.
Wie meinst du das?
Die EU sagt zum Beispiel, in bestimmten Sektoren müssen bestimmte Ziele erreicht werden, und wir müssen anerkennen, dass wir das nicht überall nur durch Emissionssenkung schaffen, sondern zum Beispiel Direct Air Capture mitfinanzieren, also CO2 aus der Atmosphäre ziehen und speichern. Und ja, die Politik kann schon Technologien bevorzugen oder wenn sie schädlich sind aus dem Verkehr ziehen – aber grundsätzlich muss sie überhaupt erst den Raum schaffen, damit Geld, Innovation und Technologie aktivierbar sind. Wenn man dann weiß, die EU oder gewisse Staaten haben Ziele, und wenn sie die verpassen, dann kostet das, dann hat das plötzlich einen Wert.
Das klingt nicht unbedingt nach österreichischer Klimapolitik.
Jetzt gerade ist es so, dass wir in der Früh in den Nachrichten hören, dass der Amazonas einen Kipppunkt erreicht. Danach lesen wir, dass der Golfstrom bis Ende des 21. Jahrhunderts zum Erliegen kommt. Und dann kommt die Klimaministerin und sagt, wir dürfen nur noch 100 auf der Autobahn fahren. Und an diesem Diskurs schadet der Diskurs – wenn du immer der anderen Seite vorwirfst, es nicht ernst zu meinen, kommst du nicht zu Lösungen.
Genau diesen Diskurs finde ich so spannend. Auf der einen Seite hören wir von immer neuen Hitze-Rekorden, stärkeren Naturkatastrophen, Kipppunkten – und auf der anderen sprichst du von Zuversicht. Wie kommst du zu deinem Optimismus?
Das Narrativ, das momentan immer besteht, lautet: „Wir leben in einer heilen Welt, die bedroht ist. Und wir können sie nur bewahren, indem wir unser Leben verändern.“ Das trifft aber nicht zu – nicht nur das 1,5-Grad-Ziel ist tot, sondern auch das 2-Grad-Ziel ist zumindest politisch nicht erreichbar. Die Realität, mit der wir heute konfrontiert sind, ist, dass der Klimawandel relativ ungebremst auf uns zukommen wird und es keinen Sinn hat, in der Politik nur auf Reduktionen abzuzielen. Wir müssen auch darüber reden, wie wir uns anpassen und welche künftigen technologischen Werkzeuge es geben wird, um die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Als Menschheit haben wir bewiesen, dass wir extrem anpassungsfähig sind. Der Klimawandel wird immer schneller stattfinden, aber wir haben noch viele Schritte vor uns.
Hast du da ein Beispiel?
Ein einfaches Beispiel ist, dass wir heute davon ausgehen, dass Direct Air Capture überhaupt nicht sinnvoll ist, weil das extrem viel Energie braucht, um extrem wenig CO2 zu speichern. Aus heutiger Sicht stimmt das auch, momentan müsstest du die ganze Welt damit zupflastern. Aber wenn man weiß, dass es Hunderte von Projekten gibt, die sich damit beschäftigen, de facto kostenlose Energie zu produzieren, die auch für Direct Air Capture verwendet werden kann, heißt das, dass wir mit dieser neuen Energie auch Fehler aus der Vergangenheit korrigieren können. Das heißt nicht, dass wir bis dahin nichts machen müssen – wir haben wissenschaftlich einen sehr klaren Pfad, was passieren wird. Aber es gibt Anlass für Optimismus.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist ja ein Beispiel für beides: Er reduziert oder verlangsamt das Ausmaß des Klimawandels, hilft beim Erreichen unserer Klimaziele, und gleichzeitig reduziert er die Kosten für Energie für diese alternativen Energien.
Das ist sicher ein Schlüssel, aber es ist immer die Frage, in welcher Region du dir das anschaust. In Österreich machen wir energiepolitisch ja das Gleiche wie in der Sicherheitspolitik: Wir schauen, dass rundherum alle Atomkraft haben, holen uns den billigen Atomstrom und tun dann so, als käme bei uns alles aus PV und Wasserkraft. Das kannst du als kleines Land auch machen, das ist auch okay. Aber weltweit gibt es da unterschiedliche Situationen: Die EU setzt in einer Doppelstrategie auf Erneuerbare und Atomkraft, in Australien hast du dafür genug Platz, mit Photovoltaik zu arbeiten. Also ja, Erneuerbare sind eine Lösung – aber sie sind nur ein Puzzlestück, das du dafür brauchst, zum Beispiel die Industrie umzustellen.
Welche anderen Puzzlestücke sind das? Gibt es „Quick Fixes“ in der Klimapolitik?
Eine Maßnahme, die ich mir von der Bundesregierung erwartet hätte, wäre das Klimaschutzgesetz gewesen. Wenn wir einen klar definierten Emissionspfad hätten, könnten auch Unternehmen leichter Entscheidungen treffen. Wir schaffen es nicht, die Stromnetze auszubauen, die wir für den Ausbau der Erneuerbaren brauchen – obwohl es da spannende Unternehmen in Österreich gibt, gerade im Bereich Speicherung. Und es gibt nun mal viele Unternehmen, bei denen wir alle wissen, da entstehen Emissionen – und die kriegt man auch nicht so einfach weg.
Was machen wir damit?
In einer Industrieanlage kannst du das CO2 direkt, wenn es entsteht, mit einer Anlage abscheiden, verflüssigen und entsprechend lagern. Du kannst es als Rohstoff verwenden und weiterverarbeiten, oder du kannst es im Boden speichern. In Österreich ist das noch nicht erlaubt, wir dürfen es auch nicht außer Landes bringen. Aber genau das sollten wir eigentlich machen – da verhageln wir uns die Klimabilanz über die Jahre hinweg. Das wäre ein Riesenhebel.
Und ein anderes großes Thema noch: Wir haben riesige Altbestände bei den Gebäuden, und gleichzeitig schaffen wir es nicht mal, dass es in allen Bundesländern die gleichen Standards bei der Sanierung gibt. Da könnten wir enorm viel Energie sparen, gerade beim Gas – aber auch die Belastung für die einzelnen Haushalte würde sinken. Da ist nichts passiert in den letzten Jahren. Da würden wir als NEOS ganz anders arbeiten: Das beweisen wir auch in Wien, wo wir im Regierungsprogramm einen ganz konkreten Plan dafür geliefert haben.
Du sprichst viel über Rahmenbedingungen, über Anreize und über den Markt. Gibt es auch Bereiche, in denen der vielzitierte „starke Staat“ ran muss, oder schaffen wir das ohne ihn?
Den starken Staat brauchst du da, wo der Staat von vornherein eine Rolle spielt. Einen Emissionspfad für Österreich kann kein Unternehmen definieren, das ist Aufgabe der Politik. In Sachen Treibhausgasbudget sind wir aber kaum vorangekommen. Wir haben in den letzten Jahren fast nichts eingespart, und trotzdem erkennen wir momentan nicht an, dass uns keine Emissionen mehr übrig bleiben. Wie erreichen wir, dass wir am Ende CO2-Zertifikate haben, statt Strafen zu zahlen? Das ist die Aufgabe des Staats, und die erfüllt er noch nicht. In Wien arbeiten wir NEOS in der Stadtregierung an genau so einem Pfad.
Okay, das ist jetzt aber noch nicht unbedingt „starker Staat“, oder?
Starker Staat im Sinne von Einschränkung und Regulierung? Den gibt es aus meiner Sicht, wenn wir über die Energiepolitik reden. Die Infrastruktur ist ja in öffentlicher Hand, und da passiert nichts, wenn es zum Beispiel um russisches Gas geht – da ist es genau der schwache Staat, der Klimaschutz verhindert. Weder in der Bundesregierung noch in diversen Landesregierungen hat da jemand die Kraft, die Dinge auf den Boden zu bringen.
Wie siehst du also die Rolle des Staates im Klimaschutz?
Ich will keinen starken Staat, sondern starke Politik. Und die müsste auch kluge Entscheidungen treffen, wie du Infrastrukturprojekte finanzierst, die auch für die Zukunft gelten. Einfach neue Autobahnen bauen, weil die Autos jetzt im Stau stehen, einfach neue Gebäude, die wieder Flächenverbrauch bedeuten, wodurch wieder weniger CO2 gespeichert werden kann, das brauchen wir nicht.
Den starken Staat brauchst du nur dort, wo er Eigentümer ist. Und was wir nicht brauchen ist das, was wir jetzt haben: einen idiotischen Staat. Nämlich einen Staat, der auf der einen Seite internationale Klimaziele unterzeichnet und auf der anderen eine Politik macht, die diesen Zielen komplett widerspricht.