Stephanie Krisper: „Wir müssen die Politik zwingen, sauber zu arbeiten“
Wer die zahlreichen Korruptions-Ermittlungen der letzten Jahre verfolgt hat, dem ist der Name Stephanie Krisper ein Begriff. Die NEOS-Abgeordnete war Fraktionsführerin in mittlerweile drei U-Ausschüssen und ist Vorwürfen in den Causen BVT, Ibiza und ÖVP-Korruption nachgegangen. Die U-Ausschüsse sind aber nicht medienöffentlich – was Krisper ändern will, um endlich zu einer sachlicheren Befragung zu kommen. Im Interview nimmt sie uns mit hinter die Kulissen der parlamentarischen Untersuchung.
Du warst Fraktionsführerin von NEOS im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss. Was hast du daraus gelernt?
Dass es schwierig ist, der Wahrheit näherzukommen, wenn Beweise geschreddert werden und Auskunftspersonen sich an nichts erinnern können. Dann werden die vier Stunden Fragezeit mit Worthülsen gefüllt, was besonders ein Ex-Bundeskanzler sehr gut kann.
Warum hat es diesen U-Ausschuss eigentlich gebraucht?
Den U-Ausschuss hat es nur gebraucht, um Missstände aufzuzeigen, die es seit Jahrzehnten in diesem Land gibt. Es bestätigt nur mal wieder, dass die Politik weiterhin korrupt ist und dass sich die Parteien bereichern. Kurz hat es nur perfektioniert und auf die Spitze getrieben. Darum gab es ja auch erfreulicherweise die Chats – eben weil sie so perfide und ruchlos waren, dass sie so miteinander kommuniziert haben. Es gab aber auch einen Korruptions-Untersuchungsausschuss im Jahr 2011, der zu ähnlichen Ergebnissen kam wie heute.
Die ÖVP verweist immer stolz darauf, wenn etwas eingestellt wird, um so zu tun, als wäre das alles sinnlos gewesen. Was wissen wir denn durch den U-Ausschuss heute, was wir vorher nicht gewusst haben?
Was der U-Ausschuss ohne Ermittlungen der WKStA gebracht hätte, ist sehr trocken, aber brisant: nämlich die Politisierung der Verwaltung. Das bedeutet, dass in den Ministerien nicht mehr nur ganz oben Leute sitzen, die aufgrund ihrer Jobbeschreibung Politiker sind, sondern dass die ganze Verwaltung politisiert wird. Minister setzen ihre Leute auf teilweise neu geschaffene Posten, etwa als Generalsekretäre, platzieren sie als Sektionschefs, als Führungspersonen in wichtigen Ressorts. Im Innenministerium ist das am allerschlimmsten. Jetzt ist es natürlich kein Ausschlussgrund, wenn eine Person einer gewissen Partei nahesteht – aber die bringen die nötige Kompetenz nicht mit. Und das hat System.
Was meinst du mit „System“?
Dadurch, dass sich kaum jemand beschwert und diese Postenbesetzungen nicht rückgängig gemacht werden, ist es ein nachhaltiger Schaden. Jeder neue Posten, der inkompetent besetzt wird, richtet noch mehr Schaden an. Postenkorruption wurde auch durch Thomas Schmid und die ÖBAG ein Thema – aber was wir in diesem U-Ausschuss aufzeigen wollten, ist vor allem auch der Schaden an der Verwaltung. Wenn du es schaffst, dass deine Leute nicht für das Land arbeiten wollen, sondern für dich und deine Themen, kannst du den Staat als Bedienungsladen benutzen. Dann gibt es öffentliche Gelder für die Partei, Projekte aus den Ministerien gehen an deine Freunde. Und das macht die Verwaltung kaputt.
Am Ende des U-Ausschusses hast du gesagt: „Die Reformen liegen am Tisch“. Welche meinst du denn damit?
Eigentlich müsste man sich nur ans Gesetz halten, aber trotzdem braucht es Reformen. Wir müssen die Politik zwingen, sauber zu arbeiten. Wenn man sich nicht an Vergaberegeln hält, braucht es das, was wir NEOS schon immer einfordern: nämlich Transparenz. Nur wenn man die Hosen runterlassen muss, überlegt man sich, was man drunter anzieht. Es braucht transparente, objektive Verfahren, damit man den Verantwortlichen bei den Postenbesetzungen auf die Finger schauen kann, so wie in Frankreich. Und es muss auch unabhängig ermittelt werden – egal gegen wen. Das bedeutet auch eine unabhängige Generalanwaltschaft.
Aber reicht Transparenz da aus? Wenn man nur sehen kann, dass eine weniger qualifizierte Person den Job bekommen hat, braucht es ja auch eine kritische Öffentlichkeit, die Veränderung einfordert. Denkst du da auch über Sanktionen nach?
Dazu muss ich etwas erzählen. Ich war einmal vom jetzigen Kabinettschef des Innenministers Karner eingeladen, Christian Stella. Er ist zu spät gekommen und hat sich entschuldigt, es war gerade jemand da zum Projekt „Frauen in der Polizei“. Da sagte ich dann „Apropos: Eine Frau hat bei der Gleichbehandlungskommission gegen Sie gewonnen. Finden Sie nicht, dass man in so einem Fall gesetzlich vorsehen sollte, die Besetzung rückgängig zu machen?“ – worauf er gesagt hat „In meinem Fall betrifft’s mich ja nicht, und in Zukunft kann man sich alles überlegen.“
Das spricht für sich und spricht dafür, dass man Leitungsfunktionen unter der aufschiebenden Bedingung besetzen könnte, dass sich niemand bei der Gleichbehandlungskommission durchsetzt. Es wäre schwierig, das für jeden Job zu machen, weil man ja als Unterlegener einen Anspruch auf Schadenersatz hat. Aber für die Leitungspositionen wäre das wichtig. Da bin ich der Meinung des Herrn Stella: Das kann man sich schon für die Zukunft überlegen. Das wäre eine Abschreckung für Opportunisten.
Du zeichnest da Sittenbilder, die nicht unbedingt nach Spitzenpolitik klingen. Wird man nach solchen Geschichten im U-Ausschuss auch zynisch?
Es ist unterschiedlich. Begonnen habe ich ja mit dem BVT-U-Ausschuss, da waren alle vorbereitet und haben das Thema ernst genommen: Auskunftspersonen, Beschuldigte, Beamte, alle. Mit dem Ibiza-U-Ausschuss hat es begonnen, und im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss wurde es auf die Spitze getrieben, die Befragung völlig zu zerstören. Johanna Mikl-Leitner hat im BVT-U-Ausschuss meine Frage nach Postenkorruption im Innenministerium noch normal beantwortet. Im letzten U-Ausschuss hat sie dann aber gefragt: Was ist ein Posten? Was ist Korruption? Das Verhalten der ÖVP war absolut destruktiv.
Stichwort Sitzung, Stehung …
Genau, da wurde immer von den wichtigen Themen abgelenkt, sie waren provokant, es wurde gestritten. Und die Vorsitzführung von Wolfgang Sobotka war auch ein Worst-Case-Szenario. Er meinte ja, er könnte Vorsitzender sein, weil er keinen Einfluss auf die Verfahrensführung habe. Und als ich dann nach Postenkorruption im BMI gefragt habe, hat er die Frage nicht zugelassen. Der Verfahrensrichter aber schon. Und dann sage ich „Herr Vorsitzender, der Verfahrensrichter hat die Frage zugelassen“, und dann sagt er: „Ich nicht. Nächste Frage, Frau Abgeordnete!“
NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper
Wäre das anders, wenn der U-Ausschuss nicht hinter verschlossenen Türen ablaufen würde?
Ja, das wäre ein wichtiges Gegenmittel. Die ÖVP hat gelernt, die Arbeit von U-Ausschüssen sehr zu erschweren. Ein wichtiges Gegenmittel wäre Öffentlichkeit. Dann kann ein Finanzminister Blümel sich nicht erlauben, 80-mal zu sagen, dass er sich nicht erinnert. Dann kann sich ein Herr Pilnacek nicht hämisch und herablassend verhalten. Dann könnten die Fraktionsmitglieder der ÖVP nicht so peinlich provozieren. Es wäre zumindest auf Nationalrats-Niveau. Da kann man sich jetzt denken „Um Gottes willen“, aber das wäre ein Aufstieg.
Hast du deine Fragetechniken dann auch geändert, als die ÖVP ihre Strategie geändert hat?
Als ich im ersten U-Ausschuss begonnen habe, wollte ich mir etwas von Kriminalbeamten abschauen, aber habe keinen gefunden, der mir da Tipps gibt. Aber natürlich musste ich wegen der Stupidität der Debatte – „Sind Sie befreundet?“ führt zu „Was ist Freundschaft?“ – immer simpler werden in der Debatte. Und gleichzeitig muss man die Fragen auch so stellen, dass die Medien auch mitkommen, die haben die Dokumente ja nicht vorliegen.
Zum Thema Stupidität der Debatte: Was war denn dein absurdestes Erlebnis im U-Ausschuss?
Absurd war zum Beispiel, als ich aus einem Dokument zitiert habe und Kollege Hanger von der ÖVP gesagt hat, dass die Frage eine Unterstellung ist. Dann habe ich darauf hingewiesen, dass ich noch gar keine Frage gestellt habe, sondern bis jetzt nur vorgelesen habe. Und dann wird bei Fragen ewig nicht geantwortet, und bei der Frage „Ist das Ihre E-Mail-Adresse?“ wird sich fünf Minuten mit der Vertrauensperson beraten. Dann ist vorgesehen, dass man zuerst ein Dokument vorliest, und dann dauert halt das Vorlesen einer Seite zehn Minuten. Das schafft es dann auch nicht ins Protokoll, reduziert aber die Fragezeit. Und was auch absurd ist: Wie viel man reden kann, ohne etwas zu sagen.
Ist das Grundproblem nicht, dass viele in der ÖVP nicht das Problem damit sehen, sich Dinge am Gesetz vorbei einfach auszumachen, eben wie bei der Besetzung von Posten?
Es ist wirklich verstörend, weil sie nicht merken, wenn sie korrupt agieren. Ich hab dann mit dem Edi Müller (Anm.: früherer Finanzminister, heute Vorstand der Finanzmarktaufsicht) in einer Pause geredet, und der versteht überhaupt nicht, warum mich aufregt, dass er im BMF die Weisung gab, sich die Finanzen von Tal Silberstein anzuschauen. Ich meine: Es war Wahlkampfzeit, er hat sich nicht alle Berater der Parteien angeschaut, und es war auf Zuruf einer Partei. Damit waren Beamte prioritär beschäftigt! Da gibt es einfach null Reflexion.
Und Kollege Hanger hat dann auch mit mir darüber geredet, was ich für korrupt erachte und was nicht. Und dann sage ich: Nein, ich finde das weiterhin nicht okay, Einzelanliegen weiterzuleiten, weil man als Abgeordneter einen Druck auf den Empfänger macht. Man kann jemandem einen Kontakt geben, wo man sich hinwenden kann, wenn man etwas braucht. Aber ich finde es nicht korrekt, jemandem bei administrativen Wegen einen Push zu geben. Und dann ist er ganz erschüttert, weil ich noch immer nicht begeistert bin.
Mich beschleicht das Gefühl, das wird nicht der letzte U-Ausschuss gewesen sein. Was beschäftigt dich jetzt gerade im Bereich Korruption?
Jetzt gerade vor allem Glücksspiel. Das ist ein hochkorruptes Feld, das zum Leidwesen der Menschen in Österreich treiben kann, was es will. Und der Finanzminister schaut einfach weg und nimmt das Geld aus den Einnahmen. Das andere ist die Korruption in der FPÖ mit den Fällen in Graz von Kunasek abwärts und bis hinauf zu Kickl, da wurde irritierend wenig ermittelt. Da kann aber eine parlamentarische Anfrage bewirken, dass da hingeschaut wird.
Das werden wir im nächsten U-Ausschuss sicher sehen. Damit zu meiner letzten Frage: Was soll der denn untersuchen, wenn es nach dir geht?
Am wichtigsten fände ich in Zeiten wie diesen das Thema Österreich und Russland, also die Frage, inwiefern die Politik im Sinne russischer Interessen gehandelt hat. Aber weder die SPÖ noch die FPÖ haben ein Interesse daran, die ÖVP sowieso nicht. Darum ist das eher unrealistisch. Aber es gibt eh genug andere Themen, wo man genauer hinschauen sollte.