Unternehmer Thomann: „Insekten tragen zu ausgewogener Ernährung bei“
Das Thema „Ernährung und Klima“ hat Potenzial für einen Kulturkampf. Auf der einen Seite die Klimakrise, die auch mit unserer Ernährung zu tun hat. Auf der anderen das Bedürfnis, weiterhin essen zu dürfen, was man will. Um nachhaltiger zu leben, schwören viele Menschen dem Fleischkonsum ab. Eine andere Lösung wäre aber, auf andere tierische Nahrung umzusteigen: und zwar auf Insekten.
Das mag für viele verrückt klingen, immerhin sind Insekten kein gewohnter Teil unserer täglichen Ernährung. Aber in vielen anderen Ländern stehen sie regelmäßig auf der Speisekarte. Ihnen will Christoph Thomann vom Start-up ZIRP folgen. Unter diesem Namen verkauft er Snacks und vollwertige Speisen, die eine Alternative für die Fleischeslust sein sollen. Ein Gespräch über die Angst vor der Ernährungsvorschrift.
Herr Thomann, warum sollte man eigentlich Insekten essen?
Vor allem wenn wir über den europäischen Tellerrand hinausblicken, sehen wir, dass heute schon 2 Milliarden Menschen Insekten essen. Und eigentlich haben wir Menschen immer schon Insekten gegessen! Wenn man sich unsere Vorfahren anschaut, haben die sich großteils pflanzlich ernährt, bis zu 80 oder 90 Prozent. Das ist auch gut so, aber zu einer ausgewogenen Ernährung gehören eben auch tierische Proteine. Dazu können Insekten beitragen.
Viele wird es bei dem Gedanken erstmal grausen. Kann das überhaupt gesund sein?
Das Insektenprotein ist das hochwertigste mit den besten Nährwerten und Aminosäuren. Und es ist für unseren Körper sehr gut verträglich. Die meisten unserer Zivilisationskrankheiten entstehen durch schlechte Ernährung, und dafür ist auch ein hoher, ungesunder Fleischkonsum mitverantwortlich. Das liegt einerseits an der Herstellung, aber auch daran, dass wir zu viel essen. Vor allem wenn man bedenkt, dass der menschliche Körper Schweinefleisch gar nicht so gut verträgt.
Das werden viele nicht gerne hören.
Das stimmt. Aber wenn man mit Ärzten spricht, raten die gerade im letzten Drittel des Lebens sehr oft, dass man sich die Ernährung anschauen und weniger Fleisch essen soll. Weil es eben gar nicht so gesund ist. Jetzt essen wir natürlich nicht nur, weil es gesund ist, sondern auch, weil es schmeckt und zu einem guten Leben beiträgt. Aber der Fleischkonsum ist ja nicht nur ungesund, sondern er trägt auch zur Klimakatastrophe bei.
Ist ZIRP also ein Unternehmen gegen den Klimawandel?
Unser ökologischer Fußabdruck in Europa ist zu 25 bis 30 Prozent auf unsere Ernährung zurückzuführen, zwei Drittel davon gehen auf Säugetiere zurück. Fast 75 Prozent der Ackerflächen weltweit werden für Futtermittel für Tiere und die Landwirtschaft genutzt. Den Fleischkonsum, den wir momentan haben, können wir also auf Dauer nicht so fortsetzen. Selbst wenn wir unsere Ernährung nicht verändern und alles andere machen, werden wir unsere Klimaziele immer noch nicht erreichen. Darum ist ein Ersatz sehr wichtig.
Christoph Thomann vom Start-up ZIRP will mehr Insekten auf den heimischen Tellern sehen
Und Insekten sind so viel nachhaltiger?
Ja, weil Insekten im Sinne der Kreislaufwirtschaft produziert werden können. Wir haben alles, was wir dafür brauchen: Überschüsse aus der Landwirtschaft, biologische Abfälle, alte Lebensmittel. Karotten aus dem Marchfeld, die schlecht geworden sind oder einfach nicht schön genug sind, um im Supermarkt zu landen, können für Insekten verwendet werden. Insekten brauchen auch viel weniger Wasser und Futter als die Produktion von Rindfleisch: Für ein Kilogramm Rindfleisch braucht man 16.000 Liter Wasser und 16 Kilo Futtermittel. Bei Insekten sind es circa zwei Kilo und kein direkter Wasserverbrauch. Und außerdem brauchen sie ganz einfach weniger Platz.
Viele essen ja nur deswegen keine Tiere, weil ihnen das Tierwohl wichtig ist. Insektenhaltung ist doch Massentierhaltung, oder? Das geht doch gar nicht anders.
Ja, aber bei Insekten ist Massentierhaltung eben artgerecht. Sie brauchen ihre Artgenossen ja, da wird man selten eine einzelne Ameise finden. Sie werden auch nicht geschlachtet, sondern eingefroren, so wie es eben auch in der freien Wildbahn passiert. Außerdem bekommen Insekten keine Antibiotika. Gerade die schlechten Bedingungen in der Haltung sind ja für viele der Grund, vegan zu werden – da machen manche eine Ausnahme.
Wie ist die erste Reaktion, wenn du von den Produkten erzählst?
Bei einem Extrawurstsemmerl wissen wir auch nicht, was genau drin ist, und da graust es uns überhaupt nicht. Da sind aber auch alles andere als gute Nährstoffe drin. Und dann ekeln wir uns vor einer tierischen Proteinquelle, die Menschen schon immer gegessen haben. Das ist halt auch eine Erziehungsgeschichte. Aber 2 Milliarden Menschen bekommen das jeden Tag serviert. Wir essen nicht, was uns schmeckt – uns schmeckt, was wir essen.
Verschwörungstheorien behaupten ja gerne, dass „die Eliten“ – wer auch immer das ist – uns bald dazu zwingen würden, Insekten zu essen.
Ich versuche, diese Leute auszublenden, denn das bringt nichts. Und es gibt ja auch keine Befehle, sondern Empfehlungen. Die Weltgesundheitsorganisation rät Europa z.B. schon lange umzudenken und Ressourcen zu sparen. Ich bin davon überzeugt, dass sich das durchsetzen wird. Wenn die aktuelle Generation die Zeit nutzt, das Ruder herumzureißen, werden mehr und mehr Insekten gegessen werden. Dadurch soll sich aber keiner gezwungen fühlen, im Gegenteil: Wir sollten den Menschen die Angst nehmen.
Verstehen Sie, dass das von vielen als missionarisch gesehen wird?
Ich bin davon überzeugt, dass unser Konsum entscheidet, wer wir sind, wie gesund wir sind und wie es unserer Umwelt geht. Wir sollten uns nicht darauf verlassen, dass die Politik alles für uns löst: Jedes Individuum kann sich jeden Tag neu entscheiden. Und ja, da appelliere ich auch an den Einzelnen. Aber das ist nicht unbedingt Erziehung – es ist eher Bewusstsein, das dafür sorgt, dass wir gute Entscheidungen für uns treffen können. Und das ist mir viel lieber, als wenn die Politik uns irgendwann Verbote aufdrückt.
Abgesehen davon, dass Insekten als Essen kein gutes Image haben: Was war bisher die größte Herausforderung für Ihr Unternehmen?
Wenn ich heute einen Massenbetrieb für Hendln aufmachen will, bekomm ich so viel Geld, wie ich brauche, aber wenn ich Insekten anbiete, werde ich belächelt und zahle sogar Strafen, weil die Rechtslage so unklar ist. Wir hatten da Riesenprobleme. Mittlerweile sind alle Hürden beseitigt und alle unsere Produkte lizenziert.
Was erwarten Sie sich von der Politik?
Die Politik sollte in der Klimapolitik mehr Aufklärungsarbeit leisten. Und sie muss aufhören, klimaschädliche und ungesunde Produkte zu fördern. Da sollte man keine Angst davor haben, dass die Leute einen nicht mehr wählen, sondern mit mutigen Lösungen das Leben besser machen.