Yannick Shetty: „Die Lehre wird unter ihrem Wert geschlagen“
Du bist am 1. Mai vor der Votivkirche gestanden, um den Menschen Fakten und Mythen über die Lehre zu erklären. Wieso hast du den Tag der Arbeit so verbracht?
Der 1. Mai ist ja bekanntlich der Tag der Arbeit, aber das ist für uns sehr stark in diesem Schwarz-Weiß verhaftet: SPÖ, Arbeiterkampf. Wir NEOS haben ihn immer als „Tag der Bildung“ gefeiert. Und dieses Jahr haben wir uns gedacht, wir verbinden das mit dem, wofür der Tag eigentlich steht, eben dem Tag der Arbeit – und was passt da besser als der „Tag der Ausbildung“, an dem man die Lehre in den Mittelpunkt stellt? Da haben wir versucht zu zeigen, dass vieles, was gesellschaftlich über die Lehre gedacht wird, einfach nicht stimmt.
Was sind denn solche „Mythen“, über die du da reden wolltest?
Zum Beispiel, dass man weniger gut verdient, wenn man einen Lehrabschluss macht, als wenn man einen akademischen Abschluss hat. Das stimmt zwar meist aufs Leben gerechnet – auch da ist es nicht so eindeutig und hängt vom Beruf ab –, aber gerade durch das höhere Einstiegsgehalt dauert es sehr lang, bis Menschen mit akademischem Abschluss Lehrberufe einholen. Vor allem, wenn man es mit einem Meister vergleicht.
Was ist denn das Kernproblem: Bleibt die Aufwertung durch die Politik aus, oder liegt es eher am gesellschaftlichen Bild, dass die Lehre nur ein „Plan B“ ist?
Sowohl – als auch. Die Lehre wird sehr unter ihrem Wert geschlagen. Sie hat ja schon mal einen guten Ruf genossen und war ein Exportschlager, weltweit. Aber dann haben wir uns da ausgeruht, und mit der Zeit sind wir zu dem Bild gekommen „Wenn du für nichts anderes gut genug bist, dann mach eine Lehre“. Das aus den Köpfen rauszubekommen, wird sicher ein schwieriger Prozess, aber da muss die Politik anfangen: Während Corona haben wir z.B. gemerkt: Bei jeder Sonderregelung für alle möglichen Schultypen hat man immer die Berufsschulen zuletzt mitgedacht. Das war symptomatisch.
Also muss zuerst die Politik die Lehre aufwerten, und das Image wird sich dann mit der Zeit wandeln?
Ja, das wäre ganz wichtig, beim Poly zum Beispiel. Polytechnische Schulen sind mittlerweile zu Aufbewahrungsstätten geworden. In der Stadt ist das sicher anders als am Land, aber wenn man in Wien z.B. in eine Polytechnische Schule schaut, das ist schlimm! Es gibt viele Engagierte, die versuchen, das Beste daraus zu machen. Unser Plan wäre, die Polytechnischen Schulen mit den Berufsschulen zu einer dualen Oberstufe zusammenzuführen – da kriegt man eine Vorbereitung auf eine Lehrausbildung und die Berufsschule.
Ändert sich dadurch auch etwas für alle, die nur das neunte Schuljahr machen?
Das ist generell ein Konstruktionsfehler in unserem Schulsystem: Man braucht neun Schuljahre, aber die meisten Schulen enden nach acht. Und dann gehst du halt ins Poly – da ist hier eine Polytechnische, da eine Berufsschule, und die haben nichts miteinander zu tun. Wir wollen, dass das integriert ist, als eigene Schulform statt als zwei unterschiedliche Inseln. Momentan gibt es da ein Wirrwarr: Polytechnikum, Berufsschule, Lehre mit Matura, Berufsreifeprüfung, das sind alles unterschiedliche Dinge. Die Idee ist, zusätzlich zu AHS und BHS eine dritte, gleichwertige Schulform zu schaffen, wo man nicht mit Matura abschließen muss.
Hast du den Eindruck, dass bei der Aufwertung der Lehre immer auch das österreichische Thema „Titel“ mitschwingt?
Da gibt es europäische Richtlinien, die z.B. sagen, dass man einen Meistertitel mit einem akademischen Titel gleichsetzen kann. Darüber kann man schon reden, das ist auch eine Form der Anerkennung, aber ich finde, das ist so eine österreichische Titelvernarrtheit. Das jetzt daran aufzuhängen, halte ich nicht für den geschicktesten Zugang, das deckt die eigentlichen Probleme doch zu. Das Image der Lehre ist nicht ramponiert, weil man keinen Titel hat, sondern weil unser Schulsystem immer mehr junge Menschen produziert, die nicht mal die Mindestanforderungen mitbringen, die man mit 14 oder 15 haben müsste.
Mittlerweile stellen aber immer weniger Unternehmen Lehrlinge ein. Wie kann man das ändern?
Das hat stark damit zu tun, dass sich große Konzerne wie Siemens, Verbund oder Voestalpine leichter tun, attraktive Angebote für Lehrlinge zu machen. Unser Vorschlag ist, dass ein großer Teil der Lehrlingsentschädigung von der öffentlichen Hand gefördert wird. Das ist ja auch im Interesse des Wirtschaftsstandorts, dass unsere Unternehmen Lehrlinge ausbilden. Und auch die Ausbildungsverordnungen gehören reformiert.
Bei deinem Faktencheck vor der Votivkirche hast du auch das Beispiel eines Hobels gebracht – wer in einem Tischlereibetrieb Lehrlinge ausbilden will, muss z.B. einen Hobel haben. Jetzt könnte man aber einwenden, dass es sinnvoll ist, viele Arten der Arbeit zu lernen, damit man nicht nur in einem Unternehmen, sondern in allen funktioniert. Wie siehst du das?
Den Punkt hab ich auch oft auf Social Media als Antwort bekommen. Den Hobel habe ich deswegen als Beispiel genommen, weil viele Tischlereien gar nicht mehr damit arbeiten. In Oberösterreich war ich zum Beispiel in einer Tischlerei, da gehst du rein und denkst dir eher, das ist ein hochmoderner Technologiebetrieb. Um den einen Hobel geht es ja nicht, der kostet nicht viel. Die haben jetzt sogar einen angeschafft und als Ausstellungsstück in den Eingangsbereich gestellt. Aber dass man da so starr ist und sagt, du darfst keine Lehrlinge ausbilden, weil du keinen Hobel verwendest – das zeigt doch, dass die Ausbildungsordnungen der Wirtschaftskammer nicht mehr zeitgemäß sind. Wenn du beim besten vegetarischen Restaurant in Wien eine Ausbildung machst, wirst du wohl auch die Basics lernen, um überall ein guter Koch zu sein.
Weil du Social-Media-Kommentare angesprochen hast: Dein TikTok-Account ist ja der größte politische Account Österreichs. Liegt das auch daran, dass du Lehrlings- und Jugendsprecher bist? Oder welche Themen polarisieren da besonders?
Dieser TikTok-Kanal ist während Corona explodiert, was auch mit den Themen zu tun hatte. Ich habe zum Beispiel sehr früh psychische Gesundheit thematisiert, als es noch sehr viele belächelt haben, zwei Monate nach Beginn der Pandemie. Das sind Herausforderungen, die junge Menschen durch Schulschließungen und Lockdowns haben, und das hat sonst niemand angesprochen. So haben wir es geschafft, eine Community aufzubauen. Aber auch das Thema LGBTIQ oder Bereiche, wo Menschen den Eindruck haben, da hört mir sonst niemand in der Politik zu – auch der Klimaschutz oder das Pensionssystem – sind sicher Faktoren, warum dieser Kanal so gut funktioniert.
Psychische Gesundheit ist ein großer Bereich, was war da genau die Forderung, die so viele interessiert hat?
Unsere Forderung zu Mental Health war von Beginn an, dass Psychotherapie als Kassenleistung kommt. Zwischen 3 und 5 Prozent der Kinder und Jugendlichen bräuchten psychologische oder psychotherapeutische Hilfe, aber nur für 2 Prozent wird diese auch finanziert. Dieser Gap ist dramatisch. Wir würden ja auch nie in Kauf nehmen, dass jede dritte Person, die sich etwas bricht, nicht behandelt wird. Ein gebrochener Haxn muss gleich behandelt werden wie eine gebrochene Seele.
YANNICK SHETTY ist Abgeordneter zum Nationalrat für NEOS. Er ist Bereichssprecher für Integration, Jugend, LGBTIQ und Sport und betreibt nebenbei den größten politischen TikTok-Account Österreichs. Vor seiner Zeit in der Politik war er als Jurist tätig.