Achtung Wahlkampf: Ein Jahr des teuren Populismus
Salzburg, Innsbruck, EU, Nationalrat, Vorarlberg, Steiermark: Sechs Wahlen werden nächstes Jahr das politische Leben in Österreich bestimmen. Und damit garantiert auch dafür sorgen, dass die Grenzen zwischen „Politics“ und „Policy“ verschwinden.
Mit „Politics“ meint man in der Regel das, was Nerds „Politik-Politik“ nennen: also das politische Spiel, das Werben um Stimmen und Aufmerksamkeit. Politics bestimmt unseren Diskurs auch außerhalb von Wahlkampfzeiten – wahrscheinlich auch, weil der Abstand zwischen den zahlreichen Nationalrats-, EU-, Länder-, Gemeinderats- und Kammerwahlen zu klein ist, um ein sachpolitisches Zeitfenster wirklich zuzulassen. Darin ginge es dann eigentlich um „Policy“: also das Entwerfen von möglichst bedachten, sinnvollen Gesetzen.
Wenn Macht für den Wahlkampf missbraucht wird
De facto ist die Grenze in Österreich fließend. Es war kein Zufall, dass die Republik im letzten Frühjahr ein Veto eingelegt hat, als Rumänien und Bulgarien dem Schengen-Raum beitreten wollten. Der Grund liegt nicht in einer angeblichen Krise an den Grenzen unserer osteuropäischen Freunde, nein: In Niederösterreich wurde gewählt. Und die ÖVP, die seit 37 Jahren im Bund und seit Menschengedenken in Niederösterreich regiert, brauchte einen „fremdenpolitischen Knaller“, ganz nach Sebastian-Kurz-Playbook bestellt, wenn die Umfragen es nahelegen.
Das Schengen-Veto hat unsere Beziehungen zu zwei wichtigen EU-Partnerstaaten ruiniert und bloßgestellt, dass Außenpolitik in Österreich nur ein Instrument der Innenpolitik ist. Das schadet Österreichs Bild in der Welt, wir werden nicht als verlässlicher Partner gesehen. Aber das größte Problem ist: Man könnte diesen Fehler jederzeit zurücknehmen, tut es aber nicht. Denn dann hätte man erstens einen Fehler zugegeben und zweitens ein Problem in den nächsten Umfragen. Was im Superwahljahr immer eine Katastrophe ist.
Symbolbild, produziert mit Adobe Firefly AI
Populismus mit den Preisen
Ein anderes Beispiel ist die Strompreisbremse. Dass es sie gibt, ist nachvollziehbar, immerhin sind die Preise 2022 explodiert. Aber auch damit wurde – wenn man keine bloßen handwerklichen Missgeschicke für möglich hält – Wahlkampf gemacht. Niederösterreich hatte nämlich eine eigene Preisbremse: Wenn man Bund und Land zusammenrechnete, zahlte man in Österreich teilweise Negativpreise pro verbrauchter Kilowattstunde. Mitten in einer Angebotskrise hatte man also einen Anreiz, möglichst viel Strom zu verbrauchen.
Als wäre das nicht genug, hat die Bundesregierung die Strompreisbremse im Dezember verlängert. Aber nicht durch den üblichen Weg, der z.B. eine Begutachtung vorsieht, sondern als sogenannte Trägerrakete: So bezeichnet man es, wenn ein Gesetz, das von ÖVP und Grünen aus der Regierung kommt, nochmal im Parlament im Schnelldurchlauf abgeändert wird. Die Abgeordneten der Regierungsparteien haben also eine spannende, spontane neue Idee, auf die ihre Kolleginnen und Kollegen im Bund noch nicht gekommen sind, und bringen sie per Abänderungsantrag ein. Dieser war sogar zu lang, um ihn vorzulesen, und hätte ausgeteilt werden müssen – wozu die Regierungsparteien auch nicht imstande waren. Die Essenz des Gesetzes: Wir verlängern die Preisbremse auf Ende des Jahres, statt sie im Juni auslaufen zu lassen. Immerhin sind Wahlen.
Achtung vor dem freien Spiel der Kräfte
Diese Beispiele sind nur Sinnbilder, auch aus anderen Legislaturperioden gibt es unzählige. So wurden im „freien Spiel der Kräfte“ – dem Zustand, in dem kurz wirklich das Parlament die Gesetze macht, statt streng nach Klubzwang die Gesetze der Regierung abzunicken oder abzulehnen – sowohl 2019 als auch 2008 zahlreiche Wahlzuckerl beschlossen, um die eigenen Zielgruppen auf sich aufmerksam zu machen.
Wer traut sich, direkt vor einer Wahl Nein zu „Mehr Geld für alle“ zu sagen? Wer stellt da noch laut die Frage, ob Ausgaben sinnvoll sind, ob man sie sich leisten kann? Wer warnt vor Schulden, wenn man auch Pensionsgeschenke machen kann? Die Erhöhung von Sozialleistungen, Steuersenkungen und -befreiungen, Zuschüsse und Förderungen aller Art klingen nett und können sogar sinnvoll sein – aber die volkswirtschaftliche Zukunft Österreichs darf nicht geopfert werden, um die eigenen Wählerinnen und Wähler zu beeindrucken. Wenn doch, wird dieser Wahlkampf unglaublich teuer.
Darum sollten wir aufmerksam sein, welche Parteien das genauso sehen – und welche alle Geldtöpfe aufmachen, die in ihrem Verantwortungsbereich liegen. Zur Orientierung: drei Ideen.
Drei Fleißaufgaben für das Superwahljahr
Nummer eins: Augen auf, wo unser Steuergeld hinwandert. Financial Fair Play hat in Österreich keine Tradition. Wenn eine Partei in Salzburg antritt, kann der Wahlkampf-Populismus trotzdem auf Bundesebene stattfinden. Und auch die umgekehrte Ebene funktioniert: Bürgermeisterinnen und Bürgermeister werden im Nationalratswahlkampf schnell zu Agenten der Parteipolitik. Wenn die Gemeinde jemanden fördert, ist das löblich – aber nicht, wenn es sich um eine zeitlich befristete Großzügigkeit handelt, die Stimmen gewinnen soll.
Nummer zwei: Wenn das passiert, sollten wir wachsam sein, nicht auf diese Art von Populismus hereinzufallen. Denn auch in einem Wahljahr sollte so etwas wie Budgetdisziplin zählen: Ausgaben, die mit Schulden finanziert werden, sind nicht gratis, sondern werden von den nächsten Generationen gezahlt und fehlen in wichtigen Bereichen wie Bildung, Gesundheit und Klimaschutz. Solange ÖVP, SPÖ, FPÖ und die Grünen glauben, dass sie damit etwas gewinnen können, werden sie weiterhin jede Chance nutzen, freihändig Geld auszugeben, das wir nicht haben.
Nummer drei: Man sollte skeptisch sein, wenn eine Partei vollmundige Versprechungen macht, die jede Chance hatte, sie umzusetzen. Etwa wenn die Volkspartei von Milliarden für den Ausbau der Kinderbetreuung spricht, wie im letzten „Sommergespräch“ des ORF – klingt gut, ist aber im Finanzrahmen der nächsten Jahre unauffindbar. Hätte sie gewollt, hätte sie 37 Jahre dafür Zeit gehabt und in wechselnden Konstellationen die SPÖ, die FPÖ und die Grünen als Koalitionspartner.
Aber selbst wenn die Gesellschaft ein neues Bewusstsein über redlichen Umgang mit Steuergeld gewinnt: Dass sich die politische Kultur dermaßen schnell ändert und wir einen Wahlkampf ohne verantwortungslosen Populismus bekommen, ist bescheiden ausgedrückt unwahrscheinlich. Um das sicherzustellen, müssten sich alle Parteien auf eine Art „Fairnessabkommen“ einigen, indem sie gemeinsame Spielregeln festlegen. In der österreichischen Wirklichkeit scheitert es bei manchen schon daran, die Wahlkampfkostenobergrenze einzuhalten. Es sieht also aus, als würde ein teures Jahr auf uns zukommen. Wir dürfen gespannt sein.