Black Box Energie
Im Jahr 2022 haben wir am Smartphone jederzeit Einsicht in unsere Finanzen, steuern unsere Rollos und Lampen per App und verfolgen live, wo sich Pakete und Essensbestellungen gerade befinden. Die Welt um uns herum wird immer transparenter – aber einige Branchen hinken hinterher.
Der Energiesektor ist so ein Nachzügler. Der Stromverbrauch ist für die meisten Kund:innen eine Blackbox: Man verbraucht Strom, zahlt monatliche Raten und hört bei der Jahresabrechnung, ob Raten und Verbrauch sich einigermaßen die Waage gehalten haben. Bei den vergleichsweise niedrigen Strompreisen der vergangenen Jahre war das für die meisten kein großes Problem. Diesen Winter könnte uns die Unwissenheit aber zum Verhängnis werden.
Der Blindflug beim Stromverbrauch
Das große Problem einer Blackbox ist, dass jedes Feedback fehlt. Der Input – unser Stromverbrauch – und der Output – die Stromabrechnung – liegen zeitlich weit auseinander. Wer viel verbraucht hat, erfährt das erst, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Dazu kommt, dass Kilowattstunden für die allermeisten keine leicht verständliche Einheit sind. Kilogramm, Liter und Kilometer sind uns vertraut – aber wie lange kann ich mein Haus mit einer Kilowattstunde Strom betreiben? Und wo liegen da die größten Einsparpotenziale?
Stromsparen, ohne unseren Verbrauch zu kennen, das ist vergleichbar damit, Geld zu sparen, ohne den Preis der Einkäufe oder den eigenen Kontostand zu kennen. Wir können auf gewisse Einkäufe verzichten, wissen aber nicht, welchen Effekt die Einsparung hat und wie sich unsere Bemühungen in der Abrechnung am Ende des Jahres niederschlagen werden.
Unmittelbares, deutliches Feedback hilft bei der Kurskorrektur. Die Technologie existiert und wird zurzeit von den österreichischen Netzbetreibern installiert. Bis Ende 2024 sollen 95 Prozent aller Stromzähler „smart“ sein und damit regelmäßig Verbrauchsdaten an Energieversorger und Netzbetreiber übermitteln. Das würde nicht nur die Flexibilisierung der Tarife ermöglichen – der Strom wird dann in Zeiten mit niedrigem Verbrauch billiger abgegeben – sondern ermöglicht Kund:innen zeitnah Einsicht in ihren Stromverbrauch.
Smart Meter alleine reichen nicht aus
Wenn das Ausrollungsziel nicht wieder verschoben wird, sind Smart Meter spätestens 2025 in beinah allen Haushalten zugegen. Gute Neuigkeiten, allerdings mit einer Randbemerkung: Ein Smart Meter allein reicht nicht aus. Kund:innen werden kaum regelmäßig zu ihren Meterkästen pilgern, um den aktuellen Stromverbrauch auszulesen. In der kundenfreundlichen Aufbereitung der Daten sind die Energieversorger am Zug – und da gibt es eindeutig noch Aufholpotenzial.
Wien Energie verlautbart auf der Website, dass Kund:innen online den Energieverbrauch der letzten Jahre vergleichen können. Einsicht in den aktuellen Energieverbrauch? Fehlanzeige. Beim Verbund ist man bereits einen Schritt weiter: Der Stromverbrauch ist monatlich online einsehbar, wenn man ein Smart Meter installiert hat. Ein guter Beginn, aber nicht zeitnah genug, um wirklich von der Information profitieren zu können. Denn die wenigsten können sagen, was sie im letzten Monat alles gemacht haben – geschweige denn, welche Aktivitäten den Stromverbrauch in die Höhe getrieben haben könnten.
Wo bleibt die App für unseren Stromverbrauch?
Energiesparen wird dann leicht, wenn wir über ein Inhouse-Display oder eine App unseren Stromverbrauch einsehen können – viertelstündliche Messungen und Datenübertragung des Smart Meters machen es möglich. Farbcodierungen könnten uns in der Beurteilung helfen, ob der Verbrauch im Vergleich hoch oder niedrig ist, und Benachrichtigungen über unerwartet hohen Verbrauch würden es ermöglichen, stromfressende Geräte und Aktivitäten zu identifizieren. Ein Kostenrechner könnte Auskunft darüber geben, wie viel Geld gespart wird, wenn wir unseren Energieverbrauch senken, und Flex-Tarife ermöglichen die billige Nutzung von energieintensiven Geräten in Zeiten, wo der Allgemeinverbrauch niedrig ist.
Eine realistische Utopie, die wir von unseren Netzbetreibern und Stromversorgern einfordern müssen. Auch sie profitieren von Flex-Tarifen, zeitnahen Informationen über den Verbrauch und smarten Kund:innen, die Strom dann abnehmen, wenn er im Übermaß verfügbar ist.
Mehr Transparenz ist nicht nur eine Sparmaßnahme für Zeiten, in denen die Strompreise hoch sind, sondern auch eine Investition in die Zukunft. Der Umschwung zu sauberen Energieformen bringt auch Herausforderungen in der Planbarkeit – Wind und Sonne ist schließlich egal, wann der meiste Strom benötigt wird. Ohne Einsicht in den aktuellen Stromverbrauch wird die Energiewende daher kaum zu stemmen sein.
Stromkund:innen, Stromversorger und Netzbetreiber sollen nicht länger im Dunkeln tappen. Es ist Zeit, in der Blackbox den Lichtschalter umzulegen und ihren Inhalt allen Beteiligten zugänglich zu machen.