Die EU-Armee ist besser als ihre Alternativen
Wie schaffen es Österreich und Europa, nach der „Zeitenwende“ sicher zu bleiben? Diese Frage regt zu hitzigen Diskussionen an. Nicht nur wegen des sicherheitspolitischen Spezialfalls Neutralität – sondern auch, weil die Antwort der nächste Schritt in der europäischen Einigung sein könnte: eine gemeinsame Verteidigungsinfrastruktur der Europäischen Union, oder kurz und untechnisch: eine EU-Armee.
Vieles spricht dafür, dass die 27 Mitgliedstaaten ihre Kräfte bündeln und sicherheitspolitisch zusammenarbeiten. Trotzdem ist die Idee nicht bei allen beliebt – immerhin steht sie für „mehr Europa“, was manche auch ganz generell verhindern wollen, und könnte für Österreich bedeuten, außenpolitisch weniger auf Trittbrettfahrertum zu setzen. Aber langfristig gibt die Idee mehr her als alle anderen Möglichkeiten, die wir haben. Gehen wir es der Reihe nach durch.
Wie eine EU-Armee überhaupt aussehen könnte
Am wichtigsten wäre sicher eine Koordination der europäischen Armeen. Schon jetzt können EU-Staaten in der Verteidigungspolitik Geld sparen, indem sie sich miteinander abstimmen. Welche Panzer verwenden wir, welches technische Equipment, welche Kommunikationsmittel? Wenn die Europäische Union gemeinsam vorgeht, können französische Panzer in den Niederlanden, Kroatien und Estland betankt werden. Gerade für den Gedanken einer „schnellen Eingreiftruppe“ – also der Möglichkeit, als EU schnell zu reagieren, wenn der Frieden bedroht ist – wäre das eine Grundvoraussetzung.
Es geht aber auch um gemeinsame Truppen, die zusammen trainieren und standardisierte Ausrüstung nutzen könnten. Das heißt nicht, dass alle Soldatinnen und Soldaten Europas plötzlich die gleiche Aufgabe erfüllen, es gäbe nach wie vor verschiedene Einheiten. Wenn Österreich „neutralitätsrechtliche Bedenken“ anmeldet, könnten österreichische Einsatzkräfte auch andere Aufgaben erfüllen, etwa im Bereich ABC-Abwehr (also der Abwehr von Atom-, Bio- und Chemiewaffen) oder Logistik und Versorgung.
Und wie wird das finanziert? Wie alle anderen EU-Aufgaben: durch einen gemeinsamen Topf, in den alle Länder einzahlen. Ein höherer EU-Beitrag klingt nach einer versteckten Steuererhöhung, aber was man dabei bedenken muss: Damit werden Aufgaben finanziert, die Nationalstaaten dann nicht mehr alleine regeln müssen. Schon dadurch wird die europäische Sicherheitsarchitektur schlagartig besser – und günstiger.
Kann die Neutralität das besser?
Kurz gesagt: Nein. Denn aktuell basiert Österreichs Sicherheit darauf, dass niemand angreifen wird – weil wir von NATO-Mitgliedstaaten umgeben sind. Russlands Weg nach Wien führt nach der Ukraine durch Ungarn und löst unweigerlich Artikel 5 des Nordatlantikpakts aus: Ein Angriff auf ein Mitglied ist ein Angriff auf alle Mitglieder. Wir genießen diesen Schutz also, solange kein Krieg ausbricht. Im Fall eines Kriegs in Europa wären die NATO-Staaten aber mit dem Verteidigen der Bündnisstaaten beschäftigt. Und Österreich könnte sich nur auf die EU verlassen.
Das ist das große Problem mit der Neutralität: Sie funktioniert eben nicht einseitig. Manche in der Politik reden sich gerne ein, dass Österreich noch die gleiche außenpolitische Rolle habe wie unter Bruno Kreisky oder davor, in Zeiten der Blockbildung des Kalten Kriegs – als „Brückenbauer“. Aber auch der Aggressor muss die Neutralität sehen, anerkennen und respektieren, um einen Krieg zu vermeiden. Dass Russland in der neutralen Ukraine eingefallen ist, zeigt, dass das ein unwahrscheinliches Szenario ist.
Und warum dann nicht gleich zur NATO?
Österreich könnte natürlich auch direkt in die NATO, allerdings genießt diese hierzulande keine hohe Beliebtheit: Nur 21 Prozent geben an, dem Bündnis beitreten zu wollen, wobei dieser Wert seit Russlands Angriff auf die Ukraine gestiegen ist. Damit ist die Republik in der EU weitgehend isoliert, neben uns sind nur Irland, Malta und Zypern nicht dabei. Aber selbst wenn sich die öffentliche Meinung ändert, würde das nicht das Grundproblem der NATO ändern: die starke Abhängigkeit von den USA.
Denn die sorgen mit Abstand am stärksten für die „Firepower“ des Militärbündnisses. Das ist gut, weil es jetzt schon Sicherheit in Europa schafft – aber langfristig wäre es eher im europäischen Interesse, von den USA unabhängig zu sein. In seiner ersten Amtszeit kündigte Donald Trump bereits vage an zu überlegen, ob man im Kriegsfall jeden NATO-Verbündeten verteidigen würde. Eine zweite Amtszeit, die noch während des Kriegs in der Ukraine beginnen könnte, würde bedeuten, dass Europa wieder auf eigenen Beinen stehen muss. Wer nicht von Amerika abhängig sein will, sollte also folgerichtig eine EU-Armee fordern.