Die Rückeroberung der Flagge
Heute wollen wir über Patriotismus reden.
Was erwartest du, wenn du diesen Satz liest? Wahrscheinlich denkst du daran, dass wir uns heute kritisch mit Österreich beschäftigen werden. Mit den Nachteilen des nationalistischen Denkens. Und irgendwann auch mit der FPÖ.
Darum soll es in diesem Artikel nicht gehen. Genau das ist nämlich das Problem: Wer in Österreich über Patriotismus diskutieren will, landet ganz schnell bei der FPÖ. Nur sie benutzt proaktiv Begriffe wie Heimat, Patriotismus und Vaterland, und nur bei ihr ist die rot-weiß-rote Flagge bei Wahlveranstaltungen überpräsent. Und das muss sich endlich ändern.
Ich plädiere dafür, dass auch Liberale einen positiven Begriff von Heimat brauchen. Ansonsten wird es nicht nur unmöglich, Wahlen zu gewinnen – es wird auch schwierig, eine positive und realistische Vision für Österreich zu entwickeln.
Woran hapert es?
Dabei ist die kritische Distanz zum Patriotismus eigentlich verständlich. Gerade in Österreich und Deutschland, wo die Flagge in der Regel nur bei rechten Parteiveranstaltungen und in Fußballstadien herausgeholt wird, ist unser Verhältnis zum eigenen Land aus gutem Grund kompliziert. Wenn die eigenen Geschichtsbücher ein Worst-Practice-Beispiel für Ethnonationalismus beschreiben, fällt es schwer, eine emotionale Nähe zum Begriff der Heimat aufzubauen.
Auch andere Staaten haben dunkle Flecken in ihrer Vergangenheit. Die USA haben ihr Verhältnis zur Sklaverei noch immer nicht aufgearbeitet, Frankreich, Spanien und das Vereinigte Königreich haben den Kolonialismus, und auch in der japanischen Geschichte gibt es einige Kriegsverbrechen, für die noch nicht einmal eine Entschuldigung ausgesprochen wurde.
Ermöglicht der Rest der Welt seinen Patriotismus also damit, die negativen Aspekte der Vergangenheit auszublenden? Wenn ja, würde das im Umkehrschluss bedeuten, dass wir kein „negatives“ Bild von unserem Land haben, sondern ein „kritisches“ – und kritisch zu sein, ist bekanntlich immer gut. Wer sich von seiner Heimat distanziert, legt quasi eine intellektuelle Meisterleistung hin. Wir sollten noch viel strenger mit Österreich sein!
Die Liberalen und die Heimat
Ich hoffe, man merkt beim Lesen, dass das eine Denkfalle ist. Natürlich sollte man nicht unkritisch und unreflektiert die Heimat bejubeln, völlig egal, in welche Richtung sie sich bewegt – aber unreflektiert um der Kritik willen zu kritisieren, ist auch nicht intellektuell. So scheinen sich aber viele progressive Kräfte in Österreich zu fühlen, wenn sie über Patriotismus nachdenken.
Es geht nämlich nicht nur um die Fehler der Vergangenheit. Auch heute steht das liberale Weltbild dem nationalistischen diametral gegenüber. Wo andere fordern, dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder anderer Identitätsmerkmale bevorzugt oder benachteiligt werden, glauben Liberale an Chancengleichheit. Wichtig ist nicht, welcher Kategorie man angehört, sondern Leistung, Können und Wissen.
Dieser Wertekonflikt zeigt sich in verschiedensten Debatten der Innenpolitik. So ist es für Liberale z.B. unverständlich, wenn ein gut integriertes Mädchen, das in Österreich geboren und aufgewachsen ist, abgeschoben wird – es ist eine nationalistische Willkür, eine Strafe ohne Verbrechen. Andere sehen in der bloßen Präsenz von Migrant:innen schon einen Angriff auf die Heimat.
Hier ist Kritik angebracht und notwendig. Sie richtet sich aber nicht gegen Österreich an sich, sondern gegen ein falsches Verständnis davon. Der zweite Denkfehler ist, das Framing derer zu übernehmen, die den Heimat-Begriff für sich pachten und ihm eine nationalistische Fratze aufsetzen. Die Alternative dazu ist nicht, sich zurückzuziehen und Patriotismus an sich abzulehnen – sondern eine andere Möglichkeit zu schaffen, was Heimat sein könnte.
Ein Gegenentwurf zum nationalen Heim
Einer, der das verstanden hat, ist Bundespräsident Alexander Van der Bellen. In seinem ersten Wahlkampf 2016 setzte er früh auf den Begriff der Heimat – und wurde dafür prompt kritisiert.
Ein Wahlplakat der Van-der-Bellen-Kampagne.
Interessanterweise kam die Kritik vor allem von jenen Akteuren links der Mitte, die Patriotismus ohnehin ablehnen. Wer Van der Bellen – in der Wahrnehmung vieler noch immer als Synonym für „einen Grünen“ – in der Hofburg wollte, aber selbst nichts am Heimatbegriff fand, forderte von ihm ein, sich gleich zu positionieren. Es ist nicht nur emotional schade, dass von manchen gefordert wird, das höchste Amt im Staat solle doch bitte kein zu positives Verständnis von Österreich demonstrieren – es wäre auch strategisch unklug gewesen und hätte aktiv dazu beigetragen, einen strammen Rechten in der Hofburg zu bekommen.
Und ja, man darf hier auch gerne strategisch denken. Denn in der Politik geht es nun mal auch um Strategie – wer Österreich nicht von den eigenen Konzepten überzeugen kann, wird nicht in die Schaltstellen der Macht kommen, die es braucht, um es zu verändern. Die Mehrheit des Landes mag zwar mit der Regierung unzufrieden sein, das Vertrauen in die Institution wankt. Aber ein grundlegend positives Verständnis von Patriotismus, so behaupte ich, ist mehrheitsfähig.
Symbolbild, produziert mit Midjourney AI
Liberaler Patriotismus ist möglich
Es gilt also, eine politische Grundsatzentscheidung zu treffen. Will man den Heimatbegriff den Konservativen und Rechten überlassen? Damit schenkt man ihnen nicht nur einen prozentuellen Anteil der Macht an der Wahlurne, sondern verliert auch ganz viele Menschen emotional, die man eigentlich erreichen könnte. Umweltschutz ist vielen in Österreich wichtig – aber wenn die Jungen Grünen mit Sprüchen wie „Wer Österreich liebt, muss scheiße sein“, „Nimm ein Sackerl für dein Flaggerl“ oder „Wir wollen keine Österreicher sein„ werben, erledigt sich jede Diskussion im Vorhinein. Nehmen wir Anleihen bei Van der Bellen: Wer sein Land liebt, spaltet es nicht.
Oder will man liberalen Patriotismus wagen? Möglich wäre es jedenfalls. Denn auch, wenn das in manchen Milieus vielleicht eine unpopuläre Meinung ist: Auch Österreich hat vieles, worauf es stolz sein kann. Und damit meine ich nicht nur die schönen Landschaften, die Seen und die Berge, unser g’schmackiges Essen und unsere Wasserqualität, sondern auch konkret messbare politische Leistungen.
Im Social Progress Index, der die Lebensqualität in allen Staaten der Welt vergleicht, liegt Österreich auf Platz 11 und erzielt Topwerte bei allen menschlichen Grundbedürfnissen und Grundlagen des Wohlbefindens. Auch hier kann man natürlich das Schlechte sehen: Beim Artenschutz sind wir auf Platz 75, in Sachen Religionsfreiheit auf Platz 108. Das Patriotische äußert sich nicht darin, diese Fakten wegzunicken und wieder über die Landschaft zu reden, sondern darin, diese Herausforderungen anzunehmen und eine politische Vision aufzubauen, wie man sie meistern kann. Das ist, worum es in der Politik geht – und nicht ein Elitendiskurs darüber, warum es einem vor dem Heimatbegriff irgendwie graust.
Dieses Land kann immer besser werden – aber wir sollten nicht ignorieren, dass vieles in Österreich sehr gut läuft und wir einen Lebensstandard haben, um den uns ein Großteil der Welt beneiden kann. Nehmen wir Anleihen bei Bill Clinton: „There is nothing wrong with Austria that can’t be cured by what’s right in Austria.“
Holen wir uns unsere Heimat zurück
Liberale sollten sich kritisch mit ihrer Einstellung zum Heimatbegriff auseinandersetzen. Es ist eben keine intellektuelle Meisterleistung, nur die Probleme zu sehen, aber nicht das, was Österreich gut macht. Viel eher hilft ein positiver Heimatbegriff auch dabei, optimistisch in die Zukunft zu schauen und genug Menschen mitzunehmen, um sie zu formen.
Darum sollten wir Österreich, unsere Heimat und die Flagge umarmen, anstatt sie den Rechten zu überlassen. Denn der Diskurs über Patriotismus ist nach wie vor davon geprägt, wie ihn die FPÖ als politische Taktik verwendet. Es liegt an uns allen, die Flagge zurückzuerobern und unser Verständnis von Heimat mit einer positiven Vision zu besetzen, die nicht auf naivem Nationalismus beruht. Also nehmen wir ausnahmsweise auch Anleihen bei Walter Rosenkranz: Holen wir uns unser Österreich zurück.