Die Verfassung ist keine Wunschliste
Die drei größten Parteien des Landes wollen die Verfassung für Symbolpolitik nutzen. Dabei vergessen sie aber offensichtlich, wofür wir sie haben.
Bargeld in die Verfassung? Neutralität im Verfassungsrang? Leistbares Leben für alle? Zuletzt sind die drei größten Parteien des Landes damit aufgefallen, ihre eigenen politischen Wünsche in der Verfassung verankern zu wollen.
Aber was heißt es eigentlich, etwas „in die Verfassung“ zu schreiben? Anders als in den USA ist diese ja in Österreich kein schlankes Dokument, das man sich bei touristischen Ausflügen anschauen kann. Als „Verfassungsrecht“ gilt nicht nur das, was „in der Verfassung“ steht, sondern auch alles, was mit Zweidrittelmehrheit im Nationalrat beschlossen wird, der sogenannten Verfassungsmehrheit. Was mit zwei Dritteln beschlossen wird, kann nur mit zwei Dritteln aufgehoben werden – so hat die rot-schwarze Regierung etwa die Sozialpartnerschaft im Verfassungsrang verankert, damit man sie nicht so leicht abschaffen kann.
Jetzt spricht per se nichts dagegen, gute politische Maßnahmen mit einer starken Mehrheit zu beschließen, damit sie nicht gleich wieder aufgehoben werden können. Aber in den letzten Jahren hat sich in Österreich eine Art „Verfassungspopulismus“ etabliert, mit dem Parteien fordern, das höchste Rechtsdokument der Nation für ihre eigene Symbolpolitik zu missbrauchen. Diese Praxis ist nicht nur extrem unseriös – sie würde auch keinen echten Unterschied machen.
Gutes Leben in die Verfassung: Warum nicht?
Versuchen wir mal, diesen Vorschlägen den benefit of the doubt zu geben: Was spricht eigentlich dagegen, das Bargeld in die Verfassung zu schreiben? Einfache Antwort: dass Österreich für diese Frage gar nicht zuständig ist. Mit der EU-Mitgliedschaft haben wir die Frage der Währung an die Europäische Union abgegeben. Und dort ist das Bargeld in den EU-Verträgen verankert – ob man dazu „Verfassung“ sagen kann, ist eine akademische Frage, aber de facto sind das die wichtigsten Rechtsdokumente der Union. Selbst wenn Österreich das Bargeld abschaffen wollte – was keiner will – könnten wir das gar nicht, weil es gegen EU-Recht verstoßen würde.
Und was ist mit der Neutralität? Auch diese ist bereits im Gesetz verankert: im Neutralitätsgesetz. Und das schreibt Österreich vor, dass es keine fremden militärischen Stützpunkte auf eigenem Territorium zulässt und keinem Militärbündnis beitritt – that’s it. Die Neutralität sagt nichts darüber aus, wie sich die Republik außenpolitisch zu verhalten hat: Wir dürften viel mehr, als die aktuelle Politik will. Ein Vorschlag der FPÖ würde daran aber nichts ändern, und damit auch nichts an der politischen Realität. Sie würde einfach nur dafür sorgen, dass es etwas schwieriger wäre, die Neutralität mit einem Gesetz abzuschaffen. Bedeuten könnte der Begriff aber nach wie vor alles.
Na gut, dann vielleicht das leistbare Leben? Da kann man aber wirklich nichts dagegen haben, könnte man meinen. Aber der Vorschlag der SPÖ sieht nur vor, ab einer gewissen Inflationsrate Maßnahmen setzen zu müssen. Als diese stellt sich die Partei vor, etwa Mieten einzufrieren – was noch nie funktioniert hat. Denn wenn sich Mieten nicht mehr lohnt und man die Preise nicht mehr anpassen kann (wie in jedem anderen Bereich auch), wird nicht nur weniger vermietet, sondern auch weniger gebaut und saniert. In Berlin wurde das versucht, die Preisbremse wurde abgeschafft, und die Mieten stiegen noch stärker an.
Entweder meint Babler mit seinem Vorschlag, dass es ein Bekenntnis zum leistbaren Leben braucht. Dann ist es nur ein Ziel ohne konkrete Maßnahmen – und kann damit alles bedeuten. Auch der FPÖ-Vorschlag zur Neutralität in der Verfassung würde nichts daran ändern, dass Österreich keine klare außenpolitische Linie hat. Oder aber Babler will, dass die Bundesregierung ab einer unzumutbaren Teuerungsrate, vereinfacht gesagt, „SPÖ-Maßnahmen trifft“. Dazu bräuchte es aber bessere Vorschläge, die nicht unseren Wohlstand gefährden.
Wofür eine Verfassung da ist
Eine Verfassung in erster Linie ein Grundsatzdokument. Hier stehen die wesentlichen Grundsätze, auf die sich ein Staat einigen kann. Es gibt dabei „normative“ Verfassungen, die auch Wertefragen festschreiben – etwa das „Widerstandsrecht“ gegen tyrannische Regierungen im deutschen Grundgesetz –, oder „nichtnormative“ Verfassungen, die nur die wesentlichen Institutionen und Abläufe festlegen.
Österreichs Verfassung fällt unter die nichtnormativen. In Artikel 1 wird direkt festgelegt, dass es sich um eine demokratische Republik handelt, deren Recht vom Volk ausgeht, die nächsten Artikel widmen sich direkt der Festlegung der Bundesländer und der Frage, wie man ihre Grenzen ändern kann. Die wesentlichen Institutionen sind in der Hauptstadt Wien, alle Staatsbürger:innen sind vor dem Gesetz gleich, Völkerrecht ist Bundesrecht: Das sind die Basics, auf die wir uns in Österreich einigen können. Sie regeln, in welchem Rahmen wir uns den Rest ausmachen – aber sie schreiben keine normativen Ziele fest.
In dieses Dokument plötzlich das Bargeld, die Neutralität oder Preisbremsen zu verankern, würde die Art, wie die Verfassung funktioniert, komplett abändern. Mal abgesehen davon, dass es sich in den konkreten Beispielen um schlechte, symbolpolitische Ideen handelt: Die Bundesverfassung ist nicht dafür da, Politik zu machen. Sie regelt den Ablauf, den demokratischen Rahmen – und nicht das, was Parteien erreichen wollen. Eine Zweidrittelmehrheit ist ein nettes Instrument, um politische Maßnahmen langfristig abzusichern. Aber das ursprüngliche Dokument, das vom Bundespräsidenten zu Recht wegen seiner Eleganz gelobt wird, sollte damit in Ruhe gelassen werden.
Mit der Verfassung spielt man nicht
Jetzt gibt es zwei Gründe, warum ÖVP, SPÖ und FPÖ auf Verfassungspopulismus setzen. Entweder mangelt es ihnen am Verständnis über den österreichischen Rechtsstaat – was ein alarmierendes Signal wäre, weil das eine Mindestvoraussetzung für die Spitzenpolitik sein muss. Oder aber es ist ihnen egal, was auch kein besseres Zeichen wäre: Wer in Österreich seriöse und verantwortungsvolle Politik machen will, sollte sich zu den Grundsätzen und zum hohen Status der Verfassung bekennen können.
Das Gute ist, dass es für diese Ideen keine Mehrheiten gibt. Wenn Karl Nehammer in der Hoffnung auf kurzfristige Zugewinne in Wahlumfragen vorschlägt, das Bargeld in die Verfassung zu schreiben, bemerken alle anderen Parteien im Parlament den Bluff – eine Zweidrittelmehrheit geht sich damit nicht aus. Und auch, wenn keine Partei für hohe Preise ist, sollte allen klar sein, dass eine Verankerung von SPÖ-Scheinlösungen in der Verfassung keine gute Idee wäre. Dass die Partei dann auf Social Media so tun wird, als hätten alle anderen Parteien „pro Preiserhöhungen“ abgestimmt, ist ein aushaltbarer Kollateralschaden.
Wir können also vorsichtig sicher sein, dass dieser Verfassungspopulismus in der Realität nichts bewegt. Aber Mehrheiten können sich ändern – und wenn eine Nationalratswahl einmal eine Zweidrittelmehrheit für populistische Anliegen hergibt, könnte plötzlich alles in der Verfassung stehen, bis zu gutem Wetter und Gratis-Eis. Das wäre ungefähr genauso sinnvoll wie die Tatsache, dass in Österreich gerne bar bezahlt wird. Besser wäre, wir müssten gar nicht darauf hoffen. Aber dafür müssten ÖVP, SPÖ und FPÖ wieder ein Stückweit seriöser werden.