Entpolitisiert den ORF!
Der ORF leidet unter sinkendem Vertrauen. Kein Wunder: Immerhin wird nach wie vor politisch bestimmt, wer ihn leitet. Eine Entpolitisierung würde dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk helfen, seinen Kernauftrag zu erfüllen.
Im ORF-Gesetz ist gleich am Anfang geregelt, dass der ORF die Sicherung der Objektivität und Unparteilichkeit zu gewährleisten hat und die Meinungsvielfalt berücksichtigen muss. Das ist insbesondere deshalb sinnvoll, da der ORF von der Allgemeinheit finanziert wird und als Stiftung des öffentlichen Rechts der österreichischen Bevölkerung gehört, also uns allen – keinen Unternehmen und auch nicht den politischen Parteien. Diese haben nur die Aufgabe, die Grundlage dafür zu schaffen bzw. weiterzuentwickeln: das ORF-Gesetz.
Leider vertritt ein Großteil der österreichischen Politik die genaue Gegenmeinung: dass er doch den Parteien gehört, genauer gesagt den Regierungsparteien. Oder noch genauer: den Parteien, die die Mehrheit im Stiftungsrat haben. Aber der Reihe nach.
Warum objektiv und unparteilich?
Ein Grund dafür, warum der ORF sich danach ausrichten sollte, ist nicht erst seit der Pandemie und dem Ukraine-Krieg die Desinformation. Hinter Fake-Inhalten verbirgt sich eine große Gefahr für die Demokratie, da falsche Informationen bewusst auf einschlägigen Websites oder Beiträgen auf Social Media gestreut werden – getarnt als „Nachrichten“.
Das führt nicht nur zu einem Vertrauensverlust gegenüber Medien im Allgemeinen, sondern auch zu einer verstärkten Polarisierung und Emotionalisierung der Debatten. In einer liberalen Demokratie braucht es aber genau das Gegenteil: informierte, engagierte Menschen, die sich selbst eine Meinung bilden und diese genauso begründen können wie ihre Wahlentscheidungen.
Aus diesem Grund wäre es sinnvoll, dass es objektive, unparteiische öffentlich-rechtliche Medien gibt, die genau diesem Trend der Desinformation entgegenwirken und versuchen, die höchsten journalistischen Standards anzuwenden. Der aktuelle Digital News Report unterstreicht diese Notwendigkeit: 2023 vertrauen nur noch 38,3 Prozent der Befragen den Nachrichten im Allgemeinen, 30,3 Prozent sind neutral eingestellt. Insgesamt sind nur noch 75,8 Prozent zumindest einigermaßen an Nachrichten interessiert.
Eine wichtige Aufgabe des ORF wäre es also, für eine breite, objektive Nachrichtenberichterstattung zu sorgen, die so viele Menschen wie möglich in Österreich erreicht und sicherstellt, dass die relevanten Information gestreut werden. Leider wird dieses Ziel den vielen sehr guten Journalist:innen im Öffentlich-Rechtlichen nicht leicht gemacht. Dies zeigt sich auch darin, dass das Vertrauen in den ORF in den letzten Jahren immer weiter gesunken ist und 2023 mit 60,9 Prozent einen neuen Tiefststand erreicht hat.
Doch warum ist das so?
In Österreich ist im ORF-Gesetz nicht nur die Überparteilichkeit und Objektivität geregelt – sondern auch, wie der:die Generaldirektor:in und alle anderen Direktor:innen (auch in den Ländern) bestellt werden. Dafür zuständig ist im ORF der Stiftungsrat. Das Spannende daran ist, dass die Regierungsparteien im Parlament entschieden haben, dass dieses Gremium zum großen Teil direkt von den politischen Parteien besetzt wird.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. So werden 18 Mitglieder des 35-köpfigen Stiftungsrates direkt von der Bundesregierung bestimmt, weitere neun kommen von den Landesregierungen. Damit sind mehr als zwei Drittel aller Stiftungsräte direkt politisch besetzt. Damit können sie sowohl über die Entsendung (mit einfacher Mehrheit) als auch über die Abberufung (mit Zweidrittelmehrheit) der ORF-Führung bestimmen.
Und hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Denn solange Parteien in der Regierung sind, können sie über den Stiftungsrat direkt Einfluss auf den ORF ausüben. Und da sie das auch tun, haben sie kein Interesse, das ORF-Gesetz und damit die Beschaffenheit des Stiftungsrats zu ändern. Leider geht der Einfluss der Politik aber noch weit über den selbstgesetzten gesetzlichen Rahmen hinaus: Die Leidtragenden sind die Journalist:innen und Mitarbeiter:innen im ORF sowie alle Bürger:innen, die sich einen ORF ohne Parteieinfluss wünschen.
Besetzungen via Sideletter
Das zeigt sich eindeutig in der Existenz von Sidelettern, also Nebenabsprachen zu schriftlichen Regierungsprogrammen. Diese gibt es schon seit Beginn der Zweiten Republik. Nicht die bestqualifizierte Person soll relevante Posten bekommen, sondern die mit dem richtigen Parteibuch – Stichwort Postenschacher.
Anfang 2022 wurde bekannt, dass es solche Absprachen sowohl in der letzten türkis-blauen als auch in der aktuellen türkis-grünen Bundesregierung gibt. Darin wurden und werden unter anderem die Verteilung der Direktor:innenposten und wer den Generaldirektor bestimmt, geregelt. Der aktuelle Sideletter zeigt z.B., dass die ÖVP das „Recht“ hatte, den Generaldirektor und zwei Direktor:innen zu bestellen, die Grünen bekamen ebenfalls zwei Direktor:innen.
Postenschacher im ORF
Und genau so kam es dann 2022 auch: Der von der ÖVP präferierte Roland Weißmann wurde Generaldirektor, und auch die Direktor:innen wurden aufgeteilt. So wissen wir, dass die zentralen Positionen im ORF direkt politisch ausgesucht und besetzt wurden. Das verringert nicht nur die Glaubwürdigkeit des ORF innerhalb der Bevölkerung, sondern auch das Vertrauen in die Führungskräfte innerhalb der Belegschaft – und das völlig zu Recht. Denn eigentlich sollte nicht das richtige Parteibuch über eine wichtige Postenbesetzung entscheiden, sondern allein die Kompetenz. Qualifikation ist aber in vielen Positionen ein Nebenschauplatz, was angesichts der großen Herausforderungen des ORF ein gefährliches Spiel ist.
Dieser Eindruck wurde im November 2022 noch einmal verstärkt, als bekannt wurde, dass der frühere TV-Chefredakteur Matthias Schrom durch seine veröffentlichten Chats mit dem früheren FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache seine Funktion zurücklegen musste. Diese hatten sich über die inhaltliche und politische Ausrichtung des ORF und seines Personals unterhalten. Schrom wurde aber nicht, wie eigentlich anzunehmen, vom ORF aufgrund seiner mehr als fragwürdigen Chats mit Strache gekündigt – er wurde lediglich versetzt.
Das Gleiche sieht man am Fall Robert Ziegler: Anfang Februar 2023 legte dieser seine Funktion als Landesdirektor des ORF Niederösterreich zurück. Der Grund: nachgewiesene Einflussnahme und bestellte Berichterstattung durch die ÖVP Niederösterreich. Ziegler soll die Landeshauptfrau sogar politisch beraten haben – etwa als es um den Umgang mit der „Liederbuch-Affäre“ von Udo Landbauer ging, Mikl-Leitners heutigem Regierungspartner. Die Vorwürfe wiegen schwer – aber auch Ziegler wurde nicht gekündigt, sondern mit einem Job in der Zentrale am Küniglberg belohnt.
Kein Ende des Schreckens
All diese Beispiele können erklären, warum das Vertrauen in den ORF immer weiter sinkt – und wie dadurch sein Kernauftrag zu objektiver und unparteilicher Berichterstattung untergraben wird.
Die regierenden Parteien (inklusive aller vorangegangenen Regierungen) versuchen aber auch nach diesen Skandalen nichts, um mit der gelebten Praxis der politischen Einflussnahme aufzuhören. Die gerade durchs Parlament gebrachte „Reform“ des ORF-Gesetzes enthält zu den Gremien und damit der politischen Besetzung des Stiftungsrats keine einzige Änderung. Die politische Durchdringung des sehr mächtigen Stiftungsrates bleibt uns deshalb erhalten. Damit ist auch davon auszugehen, dass sich ansonsten wenig bei der Besetzung der Spitzenjobs im ORF ändern wird – zumindest nicht, solange die regierenden Parteien aktiv mitmischen wollen.
Vorwürfe, leider auch bestätigte, der Voreingenommenheit und Beeinflussung könnten in einem entpolitisierten ORF an der Spitze verschwinden – und das Vertrauen in den ORF wieder erhöhen. Solange er aber als Instrument der Macht innerhalb des politischen Orchesters verstanden wird, bleibt das ein Kampf gegen Windmühlen. Eine Entpolitisierung der Gremien würde den ORF aus dem Würgegriff der regierenden Parteien befreien und dazu führen, dass er sich tatsächlich auf seinen Kernauftrag konzentrieren kann.