Entpolitisierung: Freiheit für den ORF!
Nach wie vor wird der ORF von Parteien bestimmt. Der Status quo funktioniert für alle, die davon profitieren – aber unter einem Kanzler Kickl droht die „Orbánisierung“. Darum sollte der Öffentlich-Rechtliche schleunigst in die Freiheit entlassen werden.
Dass die Politik in den ORF reagiert, ist mittlerweile allgemein bekannt. Nicht nur, weil frühere ORF-Generaldirektoren in parteipolitischen Führungsdebatten genannt werden, sondern auch, weil es teilweise offensichtlich ist. Im ORF Niederösterreich wurde Johanna Mikl-Leitner stark bevorzugt, nicht nur dort wird das Landesstudio oft als „Landeshauptmann-TV“ bezeichnet. Oder dort eben: Landeshauptfrau-TV.
Mit der Finanzierungsreform – in Zukunft wird es statt der GIS eine Haushaltsabgabe geben – hätte die Bundesregierung auch die Chance gehabt, sich vom Küniglberg zurückzuziehen. Diese Entpolitisierung wäre dringend notwendig: Denn ein Kanzler Kickl könnte den ORF momentan schnell auf Linie bringen.
So funktionieren Postenbesetzungen im ORF
Jetzt könnte zwingend Bewegung in die ewige Debatte über parteipolitische Besetzungen kommen: Denn in einer Entscheidung vom 5. Oktober hat der Verfassungsgerichtshof einige Teile des ORF-Gesetzes als verfassungswidrig erklärt – eben genau die Teile, die überhaupt die politische Besetzung möglich machen.
Es geht dabei um den Stiftungsrat – das oberste Gremium des ORF. 35 Personen: Neun aus der Bundesregierung, je einer Bundesland, sechs von Parteien, sechs aus dem Publikumsrat und sechs aus dem Zentralbetriebsrat. Die Parteien entsenden dabei oft Parteimitglieder mit Hintergrund im Kommunikationsbereich, der aktuelle Vorsitzende Lothar Lockl ist etwa Chef einer PR-Agentur und war davor 2016 Wahlkampfleiter für Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Nur NEOS schicken eine unabhängige Medienexpertin in das Gremium.
Dieser Stiftungsrat ist deshalb so wichtig, weil er auch den ORF-Chef wählt. Aktuell ist das Roland Weißmann, der im Vorfeld der letzten Wahl als Wunschkandidat der ÖVP galt. Um einen unabhängigen Rundfunk möglich zu machen, braucht es auch einen unabhängigen Chef und eine Wahl dessen, die frei von parteipolitischen Interessen ist. Aber der Stiftungsrat kann noch mehr: Er bestimmt das Budget, das Programm und aktuell noch die Höhe der GIS. Er entscheidet über Direktor:innen, auch in den Ländern, und macht damit Entwicklungen wie „Landeshauptmann TV“ überhaupt erst möglich. Aus Sicht eines Medienkonzerns leitet der Stiftungsrat die strategische Unternehmensführung.
Verfassungswidrige Praxis
Und an der Besetzung dieses Gremiums soll sich jetzt einiges ändern: Stiftungsräte sollen in Zukunft etwa nicht mehr „abgelöst“ werden können. In der Praxis zieht eine neue Bundes- oder Landesregierung „ihre“ Person im Stiftungsrat vorzeitig ab und besetzt die Stelle neu – das soll nicht mehr möglich sein. Die Bundesregierung, vertreten durch Bundeskanzler:in und Medienminister:in, sollen auch nicht mehr die Möglichkeit haben, eine Mehrheit des Publikumsrates alleine zu besetzen. Momentan ist das bei 17 von 30 Mitgliedern möglich.
Außerdem soll nachgeschärft werden, welche Kompetenzen die Mitglieder des Stiftungsrates mitbringen müssen. Denn bisher müssen sie nur „über Kenntnisse des österreichischen und internationalen Medienmarktes verfügen oder sich auf Grund ihrer bisherigen Tätigkeit im Bereich der Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst oder Bildung hohes Ansehen erworben haben“. Heißt: Medienprofis erwünscht, aber nicht zwingend notwendig. Hier soll nachgeschärft werden.
Hintergrund ist ein Antrag der burgenländischen Landesregierung, der im Jahr 2022 beim VfGH eingebracht wurde. Davor startete ZIB2-Anchorman Armin Wolf mit einem Blogbeitrag eine Debatte darüber, wie offensichtlich verfassungswidrig die Praxis im ORF sei. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe nämlich im Fall Moldau entschieden, dass die Besetzung des Rundfunks durch nur eine Partei nicht mit der Menschenrechtskonvention vereinbar sei. Eine Konvention, der auch Österreich verpflichtet ist.
Warum es Entpolitisierung braucht
In anderen Ländern ist ein unabhängiger öffentlich-rechtlicher Rundfunk längst Standard. Auch Slowenien führte erst kürzlich eine Volksabstimmung durch, um das dortige Äquivalent zum ORF von der Politik unabhängig zu machen. Dort gibt es jetzt ein Aufsichtsgremium von 17 Personen, die aus der Zivilgesellschaft, aus Institutionen und aus dem Rundfunk selbst kommen. Ein großer Sieg gegen die Einflussnahme von außen, die durch den rechtspopulistischen Präsidenten Janez Janša praktiziert wurde.
Auch in Deutschland schimpfen viele über ARD und ZDF – aber nicht, weil sie im Auftrag von Parteien kommunizieren, sondern weil sie im Rahmen ihrer freien journalistischen Arbeit auch ihre Meinung sagen dürfen. Ob das wünschenswert ist, das hat der Gesetzgeber über den Public-Value-Auftrag zu definieren. Aber bei uns passiert Meinung im ORF aus anderen Gründen: Deutschland wäre wohl ein Aufstieg.
Und es ist auch nicht so, als hätte man etwas davon. Okay, wer im Interesse einer Partei arbeitet und den ORF als Mittel für PR-Arbeit sehen will, kann dem Status quo vielleicht etwas abgewinnen. Aber wer sonst profitiert davon, wenn kritische Berichterstattung abgedreht werden kann? Findet es irgendjemand außerhalb der Günstlinge richtig, wenn im ORF die Landeshauptleute bevorzugt werden?
Sogar wer den ORF nicht konsumiert, wird dem nur zustimmen können: Wenn wir schon für etwas zahlen müssen, dann bitte auch für die bestmögliche Qualität. Landesstudios, in denen Befehlsempfänger sitzen, gehören nicht dazu – sondern knallharter Journalismus, der keine Beißhemmung in irgendeine Richtung entwickeln kann.
Was sonst noch zu tun wäre
Aber nehmen wir an, die Politik würde sich aus dem ORF zurückziehen: Wären damit all seine Probleme gelöst? Sicher nicht – alleine die dominante Marktstellung des Öffentlich-Rechtlichen ist Grund genug, weiterhin zu debattieren, was er eigentlich leisten kann und leisten soll, und mit welchen Mitteln das passiert.
Und auch beim Programm darf sich einiges ändern. Malcolm Mittendrin ist eine großartige Serie, aber vielleicht nicht ganz der öffentlich-rechtliche Kernauftrag. Den Vorwurf der Bevorzugung wird man wahrscheinlich nie ganz wegbekommen, immerhin trifft er auch die Berichterstattung privater Medien regelmäßig. Aber zumindest die parteipolitische Themenauswahl in der ein oder anderen Sendung wäre dahin – und das wäre schon ein ganz großer Schritt zu einem professionellen Sender.
Countdown zur ORF-Übernahme?
Eine Entpolitisierung des ORF wäre nicht nur im Sinne des öffentlich-rechtlichen Auftrags, sondern auch ein einfaches Zeichen des Respekts gegenüber dem Publikum und allen sonst, die ihn finanzieren. Und bis 2024 könnte sich das Zeitfenster für diesen Schritt vorerst schließen – denn gerade im Wahljahr ist der Anreiz besonders hoch, sich das Landeshauptmann-TV doch vorerst noch zu behalten.
Das Problem an diesem Kalkül ist, dass sich die Mehrheiten danach auch ändern können. Und dass dann jemand kommen könnte, der „Machen wir es wie der Orbán“ sagt. In Ungarn wurde der öffentlich-rechtliche Rundfunk parteipolitisch auf Linie gebracht und bringt jetzt Jubelberichterstattung über die Regierung – wer kritisch berichten wollte, wurde entlassen. Dieses Schicksal könnte auch dem ORF drohen. Zumindest, wenn jetzt nichts unternommen wird.
Darum ist es nicht nur sachpolitisch, sondern sogar strategisch notwendig, die Politik nicht mehr in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk reinpfuschen zu lassen. Nicht nur, weil es niemand mehr einsieht – sondern auch, weil der Timer für eine Übernahme durch die Autoritären ticken könnte. Die Bundesregierung sollte noch vor dem Wahljahr 2024 die Chance nutzen, den ORF endlich in die Freiheit zu entlassen. Es könnte die letzte sein.