Explodierende Pager, autonome Waffensysteme und Österreichs Rolle als Rüstungskontrolleur
Der – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit israelische – Angriff auf die Pager und Funkgeräte der Hisbollah im Libanon ist ein genialer militärischer Streich, hat er doch hunderte Hisbollah-Kämpfer getötet oder verwundet, die Kommunikationsinfrastruktur des Feindes lahmgelegt und seine Moral geschwächt. Nun stellt sich aber die Frage, ob dieser Coup eine Verletzung des Kriegsrechts durch Israel war oder ein legitimer militärischer Angriff. Und auch für Österreich, das grundsätzlich an Israels Seite steht, sich aber auch als Vorreiter in Abrüstungsfragen sieht, stellt sich die Frage nach einer Reaktion.
Prinzipiell ist die Rechtmäßigkeit von Militärschlägen nach dem Angemessenheitsprinzip zu bewerten. Ein militärischer Angriff darf zivilen Kollateralschaden solange in Kauf nehmen, wie die Bedeutung der Erreichung der militärischen Ziele die zivilen Opfer überwiegt. Angemessenheit ist und bleibt subjektiv, es scheint jedoch eindeutig, dass die überwiegende Mehrzahl der Opfer Hisbollah-Kämpfer waren, der militärische Effekt klar ist und der Angreifer auch versucht hat, spezifisch militärische Ziele anzugreifen.
Dennoch haben der (österreichische) UN-Menschenrechtshochkommissar Volker Türk, der UN-Generalsekretär António Guterres wie auch der Außenbeauftragte der Europäischen Union Josep Borrell sehr schnell die Meinung vertreten, dass der Angriff nicht rechtens gewesen sei. Guterres sagte, dass die Umwandlung ziviler Produkte in Waffen strengen Regeln unterliegen müsse. Türk erklärte, dass „der simultane Angriff auf tausende Individuen, Zivilist:innen oder Mitglieder von bewaffneten Gruppen, ohne genaue Informationen in wessen Händen oder in welcher Umgebung sich die Sprengfallen zum Zeitpunkt der Zündung befanden, eine Verletzung des internationalen humanitären Rechts darstellt.“
Türks Position ist insofern debattierbar, als traditionelle Sprengfallen auch einfach zurückgelassen werden und der Zeitpunkt der Explosion ebenso wenig voraussehbar ist, wie die Frage, wer sich zum Explosionszeitpunkt in der unmittelbaren Umgebung befindet. Dennoch sind Sprengfallen, die zu militärischen Zwecken zurückgelassen werden, im Kriegsrecht erlaubt.
Allerdings ist hinzuzufügen, dass sich die internationale Meinung hierzu seit einiger Zeit stetig ändert und gerade Österreich eine Vorreiterrolle bei Abrüstung und Reglementierung von Waffensystemen einzunehmen versucht. Minen zum Beispiel waren lange Zeit erlaubt, sind nun aber aufgrund der wahllosen Zerstörung, die sie ohne unmittelbare menschliche Kontrolle anrichten, geächtet.
Auch Sprengfallen unterliegen vergleichbaren moralischen Grundsätzen. Die CCW (Convention on Certain Conventional Weapons) etwa besagt: „Es ist verboten, Sprengfallen oder andere Objekte in der Form anscheinend harmloser tragbarer Geräte einzusetzen, die spezifisch dazu bestimmt und konstruiert sind, explosives Material zu enthalten.“ (Im Originaltext: “It is prohibited to use booby-traps or other devices in the form of apparently harmless portable objects which are specifically designed and constructed to contain explosive material.”)
Die Frage nach der Legalität sollte mit der CCW in diesem Fall geklärt sein. Pager und Funkgeräte fallen eindeutig unter die Definition „anscheinend harmlose tragbare Geräte“. Da sie für Zivilist:innen nicht als Waffen erkennbar sind, dürfen sie auch nicht als solche verwendet werden.
Österreichs Rolle in der Rüstungskontrolle
Für Österreichs Position als eine der führenden Akteur:innen in der internationalen Rüstungskontroll-Community stellt sich eine weitere interessante Frage – und ein Dilemma, da die Bundesregierung sich grundsätzlich nicht Israel-kritisch äußern will. Österreich hat sich in einer Vorreiterrolle zur Beschränkung von KI-gestützten Waffen positioniert. Ziel ist es, Waffensysteme international zu verbieten, bei denen kein Mensch die finale Entscheidung über ihren Einsatz trifft. Verlangt wird also ein Human-in-the-loop-Prinzip.
Dieses Prinzip kann man aus militärischer Sicht auch kritisieren, letztendlich basiert es aber auf zwei Grundsätzen. Ein Computer soll nicht die finale Entscheidung über einen Angriff treffen, da er erstens durch fehlerhafte Algorithmen fehlerhafte Entscheidungen ohne menschliche Nachkontrolle treffen könnte, und zweitens Entscheidungen ohne moralische Überlegungen trifft.
Das erste Problem ist in der Realität wohl irrelevant. Algorithmen sind am Schlachtfeld viel weniger fehleranfällig als der Mensch, der mit seinen Emotionen, Ängsten und kognitiven Limitierungen, abertausende Daten in Sekundenbruchteilen zu evaluieren, im fog of war oft horrende Fehlentscheidungen trifft.
Beim zweiten Problem geht es um einen grundlegend menschlichen Faktor, wie etwa die kriegsrechtlich relevante Frage nach der Angemessenheit eines Angriffs. Diese Ermessensfrage, die auch ethische Komponenten beinhaltet, in Algorithmen zu packen, ist unmöglich. Darauf baut die Ablehnung gegen KI-gestützte Waffensysteme auf.
Nun war beim israelischen Angriff ein Mensch am Drücker. Technisch gesehen stellt sich das Problem also nicht. Moralisch aber bleibt das Problem dasselbe: Der Mensch, der die Textnachrichten gesendet hat, die die tausenden Pager und Funkgeräte zur Explosion gebracht haben, hatte keinen Einblick in die Konsequenzen seines Tuns. Nicht nur konnte diese Person nicht wissen, wer gerade diesen Pager in der Hand hielt oder in der Tasche trug, sondern es war ihr auch unbekannt, in welcher sozialen Situation sich diese Person gerade befand. Ein Hisbollah-Kämpfer, der im Zivilberuf Schulbusfahrer ist, hätte durch die Explosion in seiner Jackentasche einen vollbesetzten Schulbus in einen Tankwagen steuern und hunderte Unschuldige töten können. Ein Spitalstechniker hätte durch die Explosion ein gesamtes Spitalsnetzwerk lahmlegen können, mit dramatischen Folgen für dutzende Menschen am Operationstisch.
Der Angriff, so genial er auch militärisch gewesen sein mag, stellt moralisch das Äquivalent eines KI-Angriffs dar, da die Abwägung der möglichen Konsequenzen durch eine moralische Autorität aufgrund der extremen und unkontrollierbaren Verteilung der Ziele unmöglich war – und auch nicht versucht wurde.
Israels Angriff steht damit im Widerspruch zum humanitären Völkerrecht aufgrund der Verletzung der Convention on Certain Conventional Weapons, aber muss auch aus Gründen, die Österreich als Grundsätze für seine Rüstungskontrollpositionen in internationalen Foren ins Treffen führt, verurteilt werden. Wer Minen und KI-Waffen ablehnt, weil deren Einsatz ohne moralische Erwägungen in jedem einzelnen Angriffsfall geschieht, muss auch den Masseneinsatz von zivilen Geräten als Waffen ablehnen.