Gerald Loacker: 5 Learnings aus meinen Jahren im Parlament
Im Jahr 2024 werde ich nicht mehr für den Nationalrat kandidieren. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Einer davon ist die Tatsache, dass ich die österreichische Politik als ein wenig attraktives Arbeitsfeld für verantwortungsbewusste Menschen erlebe. Zu diesem Schluss komme ich, weil ich ein paar Dinge gelernt habe, die ich hier anreißen möchte.
1. Stimmenkauf mit dem Geld der nächsten Generation
Unsere Pensionssysteme, mein Herzensanliegen, bilden den größten Posten im Staatsbudget. Und gleichzeitig auch den, der am schnellsten wächst.
Es ist offensichtlich, dass wir so nicht weitermachen können. Mit der naiven Einstellung, dass im Grunde alle ein sicheres System für die Zukunft wollen, bin ich ins Parlament eingezogen. Aber das Gegenteil ist der Fall. In den vergangenen zehn Jahren meiner Tätigkeit hat es kein einziges Jahr gegeben, in dem die jeweilige Parlamentsmehrheit nicht Maßnahmen beschlossen hätte, die das System verteuern: doppelte Pensionserhöhungen, eine zusätzliche Pensionserhöhung für alle im ersten Pensionsjahr, den Frühstarterbonus, die Verschiebung der Anpassung des Frauenpensionsalters und vieles mehr. Im Auge haben die Verantwortlichen dabei immer nur den nächsten Wahltag. Nach mir die Sintflut.
So ist die Pensionsmisere seit dem Einzug von NEOS ins Parlament schlimmer geworden anstatt besser. Mit dem Geld der nächsten Generation kaufen sich Politiker die Stimmen der Alten. Weil mehr Wähler über 70 sind als unter 30, zahlt sich diese Methode aus. Auch in der Gesetzgebungsperiode ab 2024 wird es keine substanzielle Pensionsreform geben. Die müsste man nämlich schon im Vorfeld vorbereiten und bei Antritt einer neuen Regierung rasch beschließen. Das wird nicht passieren. Ja, es ist nicht einfach. Umso mehr würde es einer Anstrengung bedürfen.
So geht es auch bei vielen anderen politischen Themen nie darum, was dem Land mit einer Perspektive von zehn bis 30 Jahren guttut. Es geht für die meisten Beteiligten um jetzt und heute.
2. Es gibt zwei Arten von Politikern
Nicht nur im Ringen um ein solideres Pensionssystem, sondern generell, habe ich im Wesentlichen zwei Gruppen von Politikern kennengelernt: Es gibt die einen, die Politik für sich machen, und die anderen, denen es um ein Anliegen geht.
Die erste Gruppe ist die größere. Sie genießt ein gutes Gehalt, einen schönen Arbeitsplatz, Begegnungen mit interessanten Personen, spannende Reisen auf Kosten der Steuerzahler, das Licht der Scheinwerfer bei Debatten und TV-Aufnahmen, die Begrüßung als Promi bei Veranstaltungen im Wahlkreis und bezahlte Mitarbeiter, die dem Abgeordneten die vergessenen Akten nachtragen. Ihr Hauptziel ist die Wiederwahl beim nächsten Mal.
Dieses Ziel formt den Terminkalender und die inhaltliche Agenda: Nur niemanden vergraulen auf dem Weg zum Ziel! Viele Parteiveranstaltungen besuchen, das Gesicht überall zeigen. Aber nur ja keine kantige Ansage in Interviews, und schon gar nicht parteiintern kritische Positionen äußern, denn das alles könnte dem großen Ziel schaden: der Wiederwahl.
Die kleinere Gruppe sind die Arbeiterinnen und Arbeiter unter den Mandataren. Sie machen auch Termine, die keine Stimmen bringen, sie arbeiten sich in Details von Gesetzen ein, sie stellen Anfragen an Minister, die jedem Journalisten zu kompliziert sind, aber das Kabinett zum Schwitzen bringen, und sie stellen sich für ihr Anliegen auch einmal gegen den Wind der öffentlichen Meinung. All die haben es in ihren Parteien schwerer. Sie ecken inhaltlich an, sie arbeiten viel an Materien im Parlament und können daher im Wahlkreis weniger Zeltfeste besuchen und Hände schütteln. Sie sind die Guten – und es gibt sie in jeder Partei. Aber sie sind auch immer die Wenigen.
3. Es fehlt die Gesprächsbereitschaft
Wenn ich sage, dass ich mit Dagmar Belakowitsch (FPÖ) ein gute Gesprächsbasis habe, schauen mich viele verwundert an. Es hat aber keine Partei eine absolute Mehrheit. Jeder, der etwas voranbringen will, braucht andere.
Spannend ist angesichts dieser Tatsache, wie gering die Gesprächsfähigkeit über die Parteigrenzen hinweg ist. Ganz besonders tief ist der trennende Graben zwischen den Mehrheitsparteien und der Opposition. „Ich konnte bei deiner Rede nicht klatschen, weil ich heute schon zweimal bei NEOS geklatscht habe“, hat mir einmal ein ÖVP-Mandatar erklärt, einer von der schlaueren Hälfte, im Übrigen. Das bringt einen Mandatar einer Traditionspartei nämlich in ärgere Schwierigkeiten, wenn der zu oft bei den Falschen applaudiert.
Umso aufwendiger ist das Erarbeiten von vertrauensvollen Kontakten zu Mandataren anderer Parteien. Mit wem kann ich etwas Heikles besprechen, ohne dass es durchsickert oder gegen mich verwendet wird? Es gilt, die herauszufinden, die ein ehrliches Anliegen haben, zumindest für ein ehrliches Anliegen gewinnbar sind. Und dann sollten das noch Leute sein, die in der eigenen Fraktion auch Einfluss genug haben, dieses Anliegen voranzutreiben. Diese Suche ist in den letzten Jahren mühsamer geworden. Speziell die Ära Sebastian Kurz hat bestehendes Vertrauen beschädigt.
4. Scheindebatten dominieren die Nachrichten
Ein Politiker lebt davon, dass die Wählerschaft ihn und sein Anliegen wahrnimmt. Wir arbeiten also alle daran, in Zeitungen, Online-Magazinen, Radio und TV vorzukommen. Ohne mediale Aufmerksamkeit kann ein Thema keine Kraft entwickeln.
Tatsächlich covern die Medien aber die dümmsten Ideen am breitesten. Was denn „normal“ sei und was nicht, ob Bargeld in die Verfassung solle oder vielleicht doch lieber eine Inflationsgrenze von 2 Prozent. Nichts davon wird etwas ändern, aber wir lesen und hören davon wochenlang.
Für eine Darstellung der komplexen Finanzierung in der Krankenversicherung fehlt den Medien leider der Platz. Und eine Berechnung, die zeigt, dass wir nach elf Jahren in der Pension schon mehr herausholen, als wir je eingezahlt haben, ist leider zu kompliziert für eine Berichterstattung. Da schreibt man dann doch lieber einen Artikel über Bargeld in der Verfassung. Geht leichter.
Polit-Gossip, wer gegen wen arbeitet und wer denn wohl zu welchem Parteiflügel gehört, bekommen mehr Platz als inhaltliche Diskussionen über die Zukunft des Landes. Für ein paar Personalspekulationen braucht der Journalist auch nicht so viel Wissen wie für einen Beitrag über ein Sachthema.
5. Nicht immer macht es einen Unterschied
Wenn die Regierung eine Gesetzesvorlage ins Parlament schickt, kommt sie in 99 Prozent der Fälle genau so, also unverändert, wieder aus dem Parlament heraus. Ob dazwischen 183 kluge oder 183 schlichte Köpfe darüber debattieren, ändert am Ergebnis gar nichts.
Die Aufgabe als Abgeordneter hat viele spannende Seiten. Das will ich mit diesem Beitrag gar nicht in Abrede stellen. Aber ich fürchte, verantwortungsbewusste Menschen können mit ihrer Lebensenergie an anderer Stelle mehr bewirken.