It’s the education, stupid!
Hand aufs Herz: Weiß irgendjemand, wie unser Bildungsminister heißt?
In seinem Ministerium liegt nicht nur die Qualität unserer Schulen und der Lehrpläne, sondern auch von Wissenschaft und Forschung. Ein absolutes Zukunftsministerium – kaum eine Staatsaufgabe, kaum eine Staatsausgabe ist besser als eine Investition in die Begabungen junger Menschen. Trotzdem klafft ein Vakuum in diesem Ressort: ein Minister, der nicht einmal mehr vorgibt, so etwas wie eine Vision zu haben.
„Das ist eine bildungspolitische Debatte. Dafür gibt es die Expertinnen und Experten, der Ball liegt aktuell bei ihnen. Ich bin der Bildungspolitiker, aber diese Bestandsaufnahme müssen Experten machen.“
Der Name des Ministers ist übrigens Martin Polaschek, und wer ihn nicht kennt, braucht jetzt nicht mehr damit anzufangen. Der wahrscheinlich mutloseste Bildungsminister in einer ohnehin mutlosen Geschichte ist nur das aktuellste Beispiel dafür, dass wichtige Politikbereiche in Österreich ignoriert werden.
Probleme im Bildungsbereich stapeln sich
Dabei gäbe es eigentlich genug zu tun. Wie der Bildungsexperte Andreas Salcher in einem lesenswerten Dossier festhält, können nach neun Jahren Pflichtschule 20 Prozent der Fünfzehnjährigen nicht sinnerfassend lesen – ein Armutszeugnis für das zweitteuerste Bildungssystem Europas. Egal auf welche Aufgabe des Bildungswesens man schaut, der Eindruck wird nicht besser: Die PISA-Ergebnisse sind maximal durchschnittlich, bei vielen hapert es an den Grundlagen, Bildung wird nach wie vor vererbt, und gerade im Bereich Integration lässt Österreich noch viel zu viele Kinder zurück, wie Salcher weiter ausführt:
„Schüler mit Migrationshintergrund schneiden bei Schulleistungen tendenziell in den meisten OECD-Ländern schlechter ab als einheimische Kinder. In Österreich ist dieser Prozentsatz von Schülern mit Leistungsschwächen mit 53 Prozent allerdings erschreckend hoch, während er bei kanadischen Schülern mit Migrationshintergrund nur bei 18 Prozent liegt.“
Bei diesen Zuständen muss man sich nicht wundern, wenn zu Recht über Probleme im Zusammenleben gesprochen wird. Denn für Integration braucht es nicht nur die Sprache Deutsch, sondern auch Chancen im Leben – und dafür braucht es Bildung. Wenn wir weiterhin in Kauf nehmen, dass vor allem zählt, aus welchem Haushalt man kommt, ob die Eltern bereits studiert haben und ob sie private Nachhilfe zahlen können, werden viele Probleme verschärft: von Integration und Sicherheit über Innovationskraft bis zum Fachkräftemangel.
Wer den Stillstand spürt
Dass die Bundesregierung im Bereich Bildungspolitik derart abgemeldet ist, bedeutet nicht, dass diese Probleme verschwinden. Sie werden lediglich woanders ausgebadet.
In Wien etwa, wo bildungspolitische Anliegen noch existieren, wurden auf der einen Seite die „Wiener Bildungschancen“ eingeführt: eine Möglichkeit für Schulklassen, sich alle möglichen Trainings und Weiterbildungsangebote in die Klasse zu holen, je nach Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler. Gleichzeitig aber ist die Stadt mit unzähligen jungen Zugewanderten konfrontiert, die weder fair in Österreich aufgeteilt noch von der Bundesregierung berücksichtigt werden. Um zu verhindern, dass eine Generation mit Migrationshintergrund ohne Bildung und Chancen aufwächst, müssen als kurzfristige Lösung Containerklassen aufgestellt werden.
Man muss aber nicht nur in die Hauptstadt schauen. Im Gegenteil: Je ländlicher, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Eltern bildungspolitische Probleme mitbekommen. Denn die Kinderbetreuung – und ja, der Kindergarten ist die erste Bildungseinrichtung – ist gerade dort beschämend schlecht ausgebaut. Die Bildungswissenschaft zeigt, dass frühkindliche Betreuung eine Art Startbonus in die spätere Bildungskarriere ist. Wo das nicht möglich ist, bleiben nicht nur Frauen zu Hause, obwohl sie vielleicht früher wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen wollen. Es bleiben auch Chancen auf der Strecke.
Aber vor allem merken die Schülerinnen und Schüler den Stillstand. Die Zuständigkeitskonflikte zwischen dem Bund und den Ländern können ihnen herzlich egal sein. Was sie merken, ist, dass sie nicht auf das Leben vorbereitet werden. Statt Finanzbildung dürfen sie Altgriechisch und Latein lernen, statt den Umgang mit Mental-Health-Problemen zu besprechen, analysieren sie Gedichte, die Allgemeine Hochschulreife sieht Differentialrechnung und Integrale vor, aber nicht, wie unsere Demokratie funktioniert.
Bildung muss zur Priorität werden
All diese Probleme sind nicht neu. Sie sind seit Jahren, teilweise seit Jahrzehnten bekannt. Dass Bildungspolitik sich im Wesentlichen mit Bürokratie und Zuständigkeitskonflikten beschäftigt, hilft dabei genauso wenig wie die Tatsache, dass diese meist parteipolitisch ausgetragen werden. Rotes Land gegen schwarze Bundesregierung? Auf keinen Fall gönnt man sich da einen Erfolg, und wenn die Kinder dann noch so gscheit werden. Expertinnen und Experten, aber auch eine starke Zivilgesellschaft mit vielen NGOs und anderen Initiativen schlagen seit einer Ewigkeit Alarm. Vergeblich.
Investitionen in die Bildung helfen nicht nur der Wirtschaft, indem sie intelligente und talentierte Arbeitskräfte produzieren, sondern sorgen auch für Integration, für Sicherheit, für Lebenschancen. Das wäre nicht nur ein politischer Erfolg – sondern eine Grundlage für ein glückliches und freies Leben. Die nächste Bundesregierung täte gut daran, Bildung als oberste Priorität zu sehen. Denn die letzten Jahre haben gezeigt, dass ein Stillstand nicht besser wird, wenn man ihn nur verwaltet.