Litigation-PR à la Kurz: Flood the Zone with Details
Der frühere Bundeskanzler Sebastian Kurz wurde wegen Falschaussage schuldig gesprochen. Er und seine Partei versuchen nun, Zweifel an der Legitimität und Relevanz dieses Urteils aufzubringen – indem sie eine Gegenerzählung aufbauen, derzufolge es um Details gegangen sei.
Wer noch immer nicht ausgestiegen ist, wenn es um die unzähligen Facetten der Korruptionsvorwürfe gegen die ÖVP geht, hat wahrscheinlich schon einmal folgende Erzählung gehört: Im Prozess gegen Sebastian Kurz geht es hauptsächlich um die Frage, ob ein „Na“ eine Verneinung oder eine doppelte Verneinung war. Eine Detailfrage, reine Semantik – nichts, wofür man einen früheren Bundeskanzler tatsächlich strafrechtlich verfolgen müsste.
Das Problem an diesem Narrativ ist nur: Es stimmt nicht. Es ist Teil einer Strategie, die darauf abzielt, die Glaubwürdigkeit der Justiz zu untergraben. Wenn die Gerichte laut öffentlicher Meinung ohnehin nur lächerliche Detailfragen prüfen, gibt es auch keinen Grund, sich für die Vorwürfe zu interessieren – und der Imageschaden der ÖVP-Korruption ist dahin.
First things first: Worum geht es wirklich?
Um nicht den Fehler zu wiederholen, den viele im Umgang mit der Kurz’schen Litigation PR machen, zuerst eine Einordnung, was wirklich der Fall ist. Am 24. Februar wurde Sebastian Kurz wegen Falschaussage im U-Ausschuss zu acht Monaten bedingt schuldig gesprochen, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Um eine Falschaussage handelt es sich deshalb, weil Kurz den Eindruck erweckt habe, er hätte nichts mit der Besetzung der österreichischen Beteiligungsagentur ÖBAG zu tun gehabt. Die ÖBAG ist die Schnittstelle zu Unternehmen mit staatlicher Beteiligung – und damit auch Verantwortung für viel Geld. Geld, das laut Medienberichten und Chatprotokollen an die Medien Heute und Österreich geflossen sein soll, um Sebastian Kurz im Gegenzug positive Berichterstattung zu sichern. Darunter fällt auch das mittlerweile berühmte „Beinschab-Österreich-Tool“, durch das mit gefälschten Umfragen Stimmung gemacht wurde.
Das Urteil erklärt sich nicht durch einzelne Wortlaute, sondern durch ein Gesamtbild – quer durch die Befragung habe Sebastian Kurz immer wieder den Eindruck erweckt, nicht involviert, sondern wenn, dann nur vereinzelt informiert zu sein. Daher sei Thomas Schmid ein glaubwürdiger Zeuge und Kurz’ Behauptungen unglaubwürdig.
Stenographisches Protokoll des Ibiza-Untersuchungsausschusses
Peinliche Detaildebatte im ZIB2-Studio
Dass Sebastian Kurz bewusst daran arbeitet, die Vorwürfe gegen sich als Detailfragen zu framen, wird auch im ZIB2-Gespräch mit Armin Wolf am 26. Februar deutlich: Schon am Anfang des Gesprächs widerspricht Kurz direkt Wolf und unterstellt ihm eine Falschaussage, als er das Protokoll des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zitiert. Nach einigem Hin und Her – und verschwendeter Zeit für das Fernsehpublikum – wird klar, dass beide das gleiche Protokoll verwenden. Sehr schön, aber schon zu Beginn geht es um Wordings. Ein Eindruck, der Kurz nur recht sein kann.
Kurz versucht auch, das Urteil des Richters umzudeuten: Es gehe darum, dass er „nicht ausführlich genug“ betont habe, eingebunden zu sein. Er habe also wahrheitsgemäß, aber nicht detailliert genug ausgesagt. Dabei beruft er sich auf eine Stelle im Protokoll, in der die entscheidende Stelle unterbrochen werde. Dabei wird aber gar nicht er unterbrochen – sondern die NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper, deren Befragungszeit zu Ende ist.
Stenographisches Protokoll des Ibiza-Untersuchungsausschusses
Auch im weiteren Verlauf bedient Kurz das Narrativ, dass es um Semantik ginge: Er betont immer wieder, ein Richter habe festgestellt, dass er selbst im U-Ausschuss gesagt habe, „eingebunden zu sein“. In was, lässt Kurz bewusst weg – es geht um die Postenbesetzung von Thomas Schmid als ÖBAG-Chef, quasi die Ursünde der Korruptionsvorwürfe gegen Kurz und Kollegen. Darum geht es im Gespräch mit dem ZIB2-Moderator aber gar nicht. Sondern nur um die Frage, was Kurz gesagt hat.
Die Taktik von Kurz ist ganz einfach: Es wird versucht, die Fragen, mit denen sich der parlamentarische Untersuchungsausschuss und die Justiz beschäftigt haben, als lächerliche Details zu framen. Und zeitweise geht ihm auch Armin Wolf auf den Leim, indem er auf die Debatte rund um den konkreten Wortlaut eingeht, den Kurz laut parlamentarischen Protokollen im U-Ausschuss getätigt hat.
Die ÖVP bleibt bei ihrer falschen Botschaft
Tatsächlich geht die Diskussion im Fernsehstudio aber am Thema vorbei. Denn die eigentliche Frage, die man Sebastian Kurz stellen sollte, ist die nach politischer Verantwortung. Stellen Sie sich im Ernst hin und behaupten, Sie hätten von nichts gewusst? Behaupten Sie immer noch, dass Sie nichts falsch gemacht haben, trotz drückender Beweislast nicht nur durch Chats, sondern auch durch ein richterliches Urteil, das die Aussagen von Thomas Schmid als glaubwürdig anerkennt? Diese Fragen hätten eigentlich beantwortet werden sollen – aber Kurz hätte ohnehin einen Weg gefunden, zurück zu unwesentlichen Details zu kommen.
Und Kurz ist nicht der einzige, der diesen Anschein erwecken will: Auch der ÖVP-Abgeordnete Martin Engelberg, der gerade parteiintern um den Wiedereinzug in den Nationalrat kämpft, behauptete auf X (vormals Twitter) mehrmals faktenwidrig, dass es um „Wortklauberei“ ginge. Dieses Gerücht wird nicht wahrer, wenn man es wiederholt: Es geht um ein Gesamtbild, das Sebastian Kurz durch mehrere Aussagen im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss erzeugt hat. Für die Frage, ob ein „Na“ eine einfache oder eine doppelte Verneinung war, wurde Kurz nicht schuldig gesprochen.
Lasse mich nicht mundtot machen…
— Martin Engelberg (@MartinEngelberg) February 25, 2024
Es bleibt dabei: In allen Fragen – sowohl in jenen, in denen er freigesprochen, als auch in jener in der er verurteilt wurde – ging es um Wortklauberei und Semantik. Auch wenn der Richter in seiner Urteilsbegründung etwas anderes behauptet.
Mir… pic.twitter.com/GIY7J5t9nS
Auf X rücken dann auch andere ÖVP-Parteiaccounts aus, um das gleiche Narrativ zu bestätigen. „Ist das alles?“ wird da gefragt, das Urteil und die Gerichte werden als lächerlich dargestellt. Diese Äußerungen reihen sich nahtlos in die Erzählung der „roten Netzwerke“ in der WKStA ein, die Kurz und sein Team rund um das erste Aufkommen der Korruptionsvorwürfe lanciert haben. Wer die ÖVP noch immer für „sauber“ hält – laut Umfragen sind das nicht mehr viele –, soll glauben, dass sich nicht nur alle anderen Parteien, sondern auch die nicht mehr unabhängige Justiz gegen die Volkspartei verschworen haben.
Diese Parteipolitik könnte fatale Folgen haben
Die öffentliche Debatte mag Sebastian Kurz damit beeinflusst haben – die Justiz aber nicht. Denn die glaubt Thomas Schmid. Und der belastet Kurz nicht nur, wenn es um Falschaussagen geht, sondern auch in Sachen Inseratenkorruption. Wenn Schmid ein glaubwürdiger Kronzeuge ist, wird diese Geschichte noch spannend bleiben.
Einen gewissen Schaden richtet diese Strategie trotzdem an. Denn Kurz und die ÖVP arbeiten daran, das Vertrauen in wesentliche Institutionen der Demokratie zu untergraben – aus parteipolitischen, aus wahltaktischen Gründen. Als hätten die Korruptionsvorwürfe gegen die Volkspartei nicht schon genug Schaden angerichtet. Im schlimmsten Fall führt die Litigation PR von Kurz dazu, dass das Vertrauen in den Rechtsstaat bröckelt.
Dabei wäre eigentlich das Gegenteil der Fall. Denn zumindest das stellt Armin Wolf zu Recht im ZIB2-Gespräch fest: Dass ein früherer Bundeskanzler schuldig gesprochen wird, ist ein Beweis für einen funktionierenden Rechtsstaat und unabhängige Gerichte – und nicht dagegen.