Niederösterreich: Kniefall vor den Leugnern
Katharina Netzer ortet im Arbeitsabkommen zwischen ÖVP und FPÖ in Niederösterreich nicht nur politisches Versagen, sondern auch offenen Rechtsbruch.
In ihrem Bestreben, „ernsthaft zu arbeiten“ und „ehrlich zu handeln“, will die schwarz-blaue Koalition Gräben schließen. Und nichts schließt Gräben in Österreich offenbar so gründlich wie Geld.
Was gleich ins Auge springt, ist ein gänzlich unjuristischer Fauxpas der Verfasser des Arbeitsübereinkommens. Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis zeigt, dass alle Ressorts, denen sich ÖVP und FPÖ gewidmet haben, alphabetisch geordnet sind: von Arbeit bis Zusammenarbeit. Das Kapitel Corona, das dementsprechend zwischen „Bildung“ und „Europa“ seinen Platz haben müsste, ist gleich nach der Präambel noch vor „Arbeit“ gerutscht. Ob dies ein Hinweis auf die Bedeutung des Themas für beide Parteien oder dafür ist, wie hastig noch eine Forderung der FPÖ eingearbeitet werden musste, sei dahingestellt.
„Entschädigungsfonds“ – wir leben in keiner Diktatur
Das Land Niederösterreich will nun also einen Fonds in Höhe von 30 Millionen Euro einrichten, der der Evaluierung der Auswirkungen der Corona-Maßnahmen und dem Ausgleich von negativen Folgen dienen soll. Dazu gehören unter anderem die medizinische Betreuung von Menschen mit Impf-Beeinträchtigungen und Kosten für Behandlungen etc.
Schon der Begriff „Entschädigungsfonds“, der gerade medial gerne verwendet wurde, erinnert der Diktion nach an Entschädigungsfonds, die ex post für Opfer von diktatorischen Regimen eingesetzt wurden. In Deutschland wurde beispielsweise ein Entschädigungsfonds für Personen eingerichtet, die von der DDR durch Zwangsenteignung, Inhaftierung etc. geschädigt wurden. 2001 errichtete Österreich den Allgemeinen Entschädigungsfonds für die Opfer des Nationalsozialismus. Schon die Wortwahl des politischen Programms der ÖVP/FPÖ-Regierung in Niederösterreich lässt Schlimmes erahnen.
Keine Strafen für gesetzmäßiges Verhalten
Aber auch das Impfschadengesetz – ein Bundesgesetz aus dem Jahr 1973, das die Abgeltung von Impfschäden und damit einhergehenden Behandlungskosten regelt – gibt Anlass zu Bedenken. Will die niederösterreichische Regierung Schäden doppelt abgelten? Oder geht es dabei nur um freiheitliche Ankündigungspolitik?
Was für Letzteres spricht, ist, dass Strafgelder, die aufgrund von Corona-Beschränkungen erlassen wurden, „von Amts wegen“ rückerstattet werden sollen, nachdem die ihnen zugrunde liegenden Strafbestimmungen vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) aufgehoben worden sind. Gesetzesaufhebungen durch den VfGH erfolgen in aller Regel ex nunc – das heißt, sie entfalten ihre Wirkung nur für den Anlassfall und für die Zukunft, erfassen aber nicht die gesamte bisherige Vollzugspraxis.
Darin kommt das rechtsstaatliche Fehlerkalkül zum Ausdruck: Gesetze sind so lange gültig und verbindlich, bis sie aufgehoben werden. Ein Rechtsgrundsatz, der in Österreich vor allem eines schaffen soll: nämlich Rechtssicherheit. Bürger:innen sollen sich auf die Geltung von Gesetzen verlassen dürfen, bis der Gesetzgeber sie ändert. Oder bis der VfGH sie aufhebt. Beginnt man aber, von Amts wegen rechtskräftige Strafen rückzuerstatten, ist das nicht nur ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich an die Bestimmungen gehalten haben. Es widerspricht auch wesentlichen Verfassungsprinzipien, nämlich dem rechtsstaatlichen und dem Gleichheitsgrundsatz.
Niederösterreich ist nicht zuständig
Abgesehen davon kommt dem Land Niederösterreich auch gar nicht die Kompetenz zu, solche Rückzahlungen zu regeln. Denn Österreich ist ein Bundesstaat. Die staatlichen Funktionen und Aufgaben (wie Gesetzgebung und Vollziehung) sind zwischen Bund und den Ländern streng und klar nach den Kompetenzbestimmungen des B-VG aufgeteilt. Das Gesundheitswesen liegt in der Kompetenz des Bundes: Der Bund gab daher den gesetzlichen Rahmen für Maskenpflicht, Lockdowns und Impfungen vor, und die Länder hatten diese Vorgaben in „mittelbarer Bundesverwaltung“ zu vollziehen.
Für eine Rückzahlung von Strafgeldern „von Amts wegen“ ist damit aber statt einer programmatischen Ansage im Arbeitsübereinkommen eines Bundeslands eine gesetzliche Regelung auf Bundesebene notwendig.
Unklar bleibt außerdem, wer eine solche „Entschädigung“ bekommen soll. Personen mit Hauptwohnsitz in Niederösterreich, die in Wien gestraft wurden? Oder Personen, die hier gestraft wurden, ohne Rücksicht auf ihren Hauptwohnsitz? Oder nur Personen, die auch nach Ansicht des Klubobmanns der FPÖ „richtige“ Niederösterreicher sind? Und was bedeutet das für die anderen Bundesländer? Landeshauptmann Haslauer hat ein ähnliches Vorgehen Salzburgs in der Presse förmlich ausgeschlossen.
Den krassesten Bruch mit der österreichischen Verfassung wird man aber im Verstoß gegen das Legalitätsprinzip erkennen können: Die gesamte staatliche Vollziehung, und dazu gehört auch die des Landes Niederösterreich, ist in ihrem Handeln an die österreichischen Gesetze gebunden. Diese – und sei es durch freiwillige Transferleistungen – formell zu untergraben und sie inhaltlich auszuhöhlen, ist ein brutaler Schlag ins Gesicht eines Staates, der in den vergangenen Jahren mit einer nie dagewesenen Krise zu kämpfen hatte.
Wie auch immer man zu einer Impfpflicht stehen mag, die Bundesregierung hat – unter maßgeblicher Beteiligung auch der niederösterreichischen Landeshauptfrau – Maßnahmen angeordnet, wie sie zur Bekämpfung einer gefährlichen Infektionskrankheit seit der Erfindung moderner Impfstoffe und auf unbedenklicher Rechtsgrundlage schon mehrfach erfolgreich zum Einsatz gekommen sind. Aber eine Entschädigung „von Amts wegen“, wie sie im Arbeitsprogramm von ÖVP und FPÖ dilettantisch skizziert wurde, kann einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhalten.