Trump oder Harris, Europa braucht Reformen
Trump und Harris stellen Europa vor unterschiedliche Herausforderungen. Aber letztendlich muss Europa wieder eigenständiger, agiler, unternehmerischer werden.
Die Geografie der US-Wahlen spricht im Endspurt des Wahlkampfs für Donald Trump. Trump hat sein Plateau erreicht; diejenigen, die die Eskapaden des Milliardenerben und Ex-Präsidenten bis heute nicht vergrault haben, werden sich auch durch noch so negative Schlagzeilen nicht mehr von ihrer Entscheidung abbringen lassen. Andererseits wird Trump auch keine Stimmen mehr dazugewinnen, egal wie er sich bis zum 5. November präsentiert.
Kamala Harris, auf der anderen Seite, hat ihren Gipfel erreicht – und überschritten. Nach dem Rückzug von Joe Biden schoss die neue, frische, optimistische Kandidatin in den Umfragen nach oben. Nun aber holen sie Trumps Negativwerbung und ihre früheren politischen Positionen ein, und ihre Zustimmung fällt leicht. In einem extrem knappen Rennen macht diese Trendumkehr Trump mittlerweile zum knappen Favoriten. Harris muss es in den letzten Tagen noch schaffen, die Zweifel an ihr und ihrer Politik auszuräumen. Schwierig, wenn der politische Gegner ohne Unterbrechung aufzeigt, dass Harris’ Positionen heute oft nicht mit denen aus ihrem Vorwahlkampf vor vier Jahren übereinstimmen.
Ein republikanischer Stratege fasst den Endspurt der Kampagne wie folgt zusammen: „Trump ist verrückt, Harris ist leer. Und während Trump glaubt, er kann gar nicht verlieren, ist Harris sicher, dass jemand wie Trump einfach nicht gewinnen kann.“ Daher hämmert sie weiterhin auf seine Unzulänglichkeiten ein, in der Hoffnung, doch ein paar Wähler:innen zu finden, die Trump noch nicht kennen. Trumps Wähler:innen wissen jedoch längst, dass ihr Kandidat verhaltensauffällig ist – und manche finden das sogar erfrischend. Wenn es also Harris nicht gelungen ist, in der letzten Wahlwoche mithilfe von Stars junge Menschen zur Wahl zu bringen und ihre „politische Leere“ mit populären Inhalten zu füllen, ist eine erneute Trump-Präsidentschaft hochrealistisch.
Was eine Trump-Administration II bringt, ist schwer vorherzusagen, denn von strategischem Genie und klaren Aussagen ist Trumps Wahlkampf nicht gekennzeichnet. Wie er selbst sagt, hat er „einen Entwurf eines Plans“, den er aber nicht publik machen will.
Die totale Revolution im System
Angekündigt hat Trump, dass er das amerikanische politische System mit seinem „Staat im Staat“ und seiner „Elitenkorruption“ total umkrempeln will. Dass Trump aber einen langfristigen Einfluss aufs System haben wird, ist unwahrscheinlich. Das politische System der USA zeichnet sich durch einen Dualismus zwischen lebenslang beschäftigten Beamten – career positions – und für eine präsidentielle Amtszeit bestellte Führungspositionen – political appointees – aus. Letztere dienen ihrem Präsidenten und stellen sicher, dass seine (oder vielleicht doch ihre) Politik in den Ministerien durchgesetzt wird. Die permanent angestellten Beamt:innen hingegen haben langjährige Erfahrung und institutionelles Gedächtnis und erhalten die Strukturen im Großen und Ganzen auch gegenüber einem disruptiven Präsidenten.
Wie viel radikal Neues eine Administration also in vier oder acht Jahren durchsetzen kann, hängt stark von den Führungsqualitäten der political appointees in den oberen Etagen der Ministerien ab. Und gerade dort wird Trump schwere Probleme haben. Assoziation mit dem erratischen und von den Eliten in den USA und dem Rest der Welt belächelten oder sogar verachteten Trump ist keine Werbung für eine weitere Karriere. Washington-Insider sprechen bereits davon, dass qualifizierte Kandidat:innen sich nicht mit Trump einlassen wollen. Trumps Führungsriege wird also aus Günstlingen und Quereinsteiger:innen bestehen, die gegenüber der professionellen Bürokratie kaum bleibende Änderungen durchsetzen werden können.
Die Unsicherheiten und Verwerfungen einer Trump-Präsidentschaft werden also die Person nicht überleben. Die Welt muss sich auf vier Jahre erratische Politik einstellen, nicht auf eine völlig neue globale Ordnung.
Trump vs. Harris – Stilfrage
Auch werden die Unterschiede zwischen Trump und Harris wohl weniger dramatisch ausfallen, als viele befürchten. Am wichtigsten ist der Stil. Harris ist eine normale Politikerin, die amerikanische Interessen durchsetzen will, dabei aber auch strategische Abwägungen treffen und mit Partner:innen verhandeln und deren Bedenken berücksichtigen wird. Trump wird eher mit Drohungen und radikalen Ansagen agieren, „Partner:innen“ damit verunsichern und seine Positionen auch regelmäßig ändern. Wir wissen jedoch, dass sowohl Trump als auch Harris China als den großen strategischen Konkurrenten ansehen – wenngleich Harris den Iran als größten Feind genannt hat: „Der Iran hat amerikanisches Blut an den Händen.“
In der Weltpolitik wird Harris versuchen, die US-Position durch die Vormachtstellung der USA in der liberalen Welt durchzusetzen und über internationale Organisationen zu vertreten. Trump wird durch Dekrete Sanktionen erlassen, internationale Organisationen schlechtreden, die NATO erpressen und Zölle einheben. Es fragt sich nur: Zölle gegen wen? Europa wird sich mit den USA auf einen China-Kurs einigen müssen, um nicht zusammen mit China in Ungnade zu fallen und hart abgestraft zu werden.
Das Ende der NATO?
Trump hasst die NATO nicht, er will sie nur – wie alles, was er anfasst – zur Gewinnmaximierung nutzen. Wer amerikanische Produkte kauft, wird auch weiterhin mit den USA rechnen können. Für Trump ist jedes Geschäft ein Nullsummenspiel; Abkommen, von denen beide Seiten profitieren, existieren für ihn nicht. Daher wird Europa mit einer Hinwendung zu einer europäischen Rüstungsindustrie auf Kosten von US-Konzernen auch Probleme bekommen.
Trump mag zwar davon sprechen, dass europäische NATO-Partner mehr Geld für ihre Verteidigung aufwenden müssen, statt Uncle Sam’s Großzügigkeit auszunutzen (eine korrekte, aber keine neue Kritik). In Wirklichkeit ist es ihm egal, ob Deutschland 1,8 Prozent des BIP für Waffen ausgibt oder 2,5 Prozent. Was zählt, ist: Kann Trump einen Gewinn für amerikanische Rüstungskonzerne verbuchen?
Eine vollständige Abwendung der europäischen Armeen von US-Waffensystemen ist kurzfristig weder einfach zu bewerkstelligen noch erstrebenswert. Europa kann sich mittelfristig unabhängiger aufstellen, sollte aber keinesfalls als Protektionist dastehen, der überlegene und billigere US-Systeme vom europäischen Markt ausschließt, gleichzeitig aber US-Unterstützung in der Ukraine oder bei der Verteidigung des Kontinents einfordert.
Allerdings wird auch eine Harris-Administration mit der Verlagerung von US-Kapazitäten in Richtung Asien fortfahren, und auch Präsidentin Harris wird von Europa sowohl mehr Eigenverantwortung als auch fairen Marktzugang zum europäischen Rüstungsmarkt fordern.
Wichtiger als Querelen über die Truppenstärke der USA auf europäischem Territorium ist der nukleare Schutzschirm. Realistisch gesehen kann Frankreich, sollte es sich dazu durchringen, seine atomare Triade (land-, schiffs- und luftgestützte Nuklearwaffen) in den Dienst der gesamteuropäischen Abschreckung zu stellen, einen strategischen Atomangriff auf Europa verhindern. Ein taktischer Angriff mit einer Mini-Atombombe auf einem Schlachtfeld in der Peripherie aber kann ein Staat, der mit einer einzigen russischen mit Mehrfachsprengköpfen bestückten Rakete ausgelöscht werden kann, nicht glaubhaft abschrecken.
Ungeachtet der fast auszuschließenden Wahrscheinlichkeit, dass Frankreich seinen Atomschirm auf Europa ausdehnt, bleibt für taktische Abschreckung nur Amerika. Bislang hat Trump zu nuklearer Abschreckung noch kein Wort verloren. Es wäre besser, wenn es dabei auch bliebe, denn Europa hat keine glaubwürdige Alternative zum US-Schutzschirm.
Transatlantischer Freihandel
Sowohl Harris als auch Trump sind keine überzeugten Freihandelsbefürworter:innen. Trump versteht von Handelstheorie nichts und glaubt, dass jedes Handelsdefizit ein Beweis für unfairen Handel und eine Übervorteilung der USA ist. Statt amerikanische Wirtschaftsstrukturen zu überdenken, dekretiert er Zölle. Diese haben den Nebeneffekt, dass sie Geld in die Staatskassen spülen, die aufgrund der Steuersenkungen aus seiner ersten Amtszeit statt Geld nur mehr Schuldverschreibungen aufweisen.
Harris wird eine traditionellere Handelspolitik – und vor allem eine traditionellere Handelsdiplomatie – als Trump verfolgen. Sollte Harris gewinnen, wird sie diesen Sieg zu einem großen Teil den Gewerkschaften in Michigan und Pennsylvania verdanken, und sich keinen großen Illusionen hingeben, dass sie mit einem Freihandelskurs eine Wiederwahl erreichen kann. Mit Harris wird Europa verhandeln können, aber auch Harris wird die Marktmacht der Vereinigten Staaten auszuspielen wissen und dies auch tun – im politischen Eigeninteresse mehr als im wirtschaftlichen.
Globale Interessen
Am deutlichsten wäre ein Sieg von Kamala Harris für gemeinsame Interessen bei globalen Anliegen. Beim Klimaschutz etwa ist Trump noch leicht hinter dem Wissenschaftsverständnis des Mittelalters zurück. Mit ihm an der Spitze wird es eine leichte Wiederaufwertung der fossilen Industrien geben. Auch da aber gilt: Die Wirtschaft und die Lokalregierungen haben mehr Lenkungseffekte als der Präsident. Daher fand die von Trump eisern beschworene Wiederauferstehung von „König Kohle“ in seiner ersten Amtszeit auch nicht statt.
Harris denkt beim Klima eher wie europäische Politiker:innen: Klimaschutz ist wichtig, darf aber meiner Kernwählerschicht nicht zu viel abverlangen. Das Verständnis zwischen Harris und EU- oder europäischen Regierenden wird gut sein, der CO2-Ausstoß in den USA und Europa aber dennoch nicht annähernd so stark sinken, wie es die globalen Klimaziele verlangen.
Reform Europe!
Am Ende wird Europa mit Harris nur im Vergleich zu einer Trump-Präsidentschaft hochzufrieden sein. Mit Trump würden vier harte, aber langfristig eher folgenlose Jahre auf Europa zukommen. Und wenn man Positives in einer Trump-Präsidentschaft finden will, dann wäre es das: Europa hat sich zu lang aufs Regulieren von Wirtschaft und Gesellschaft sowie aufs Erhalten des Wohlstands aus der Zeit, in der es seine Sicherheit an die USA ausgelagert hat, beschränkt. Das muss sich ändern. Europa muss wieder agiler, schlanker und unternehmerischer werden. Und es muss sich vermehrt selbst schützen können und ein globaler Akteur auch in sicherheitspolitischen Fragen werden. Ein Präsident Donald Trump würde diese notwendigen Reformen beschleunigen.