Unser schwieriges Verhältnis zum Boden
Österreichs Boden hat ein Problem. Und ein Meta-Problem.
Fangen wir mit dem normalen Problem an: Wir versiegeln zu viel Boden. „Versiegeln“, das klingt nicht sehr konkret, wenn man den Begriff noch nicht kennt. Damit ist Asphaltieren, Zubetonieren gemeint – wenn wir Boden versiegeln, sorgen wir dafür, dass er seine Funktion im Ökosystem nicht mehr wahrnehmen kann. Wir verbrauchen ihn.
Und dieser Verbrauch schreitet schnell voran. 2019 waren es mehr als 10 Hektar pro Tag. Mit anderen Worten: Alle zehn Jahre geht damit in etwa die Fläche des Bundeslands Wien verloren. Das widerspricht nicht nur der Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes, der sich im Jahr 2002 das Ziel gesetzt hat, maximal 2,5 Hektar pro Tag zu verbrauchen – es ist auch eine tickende Zeitbombe, die unsere Umwelt- und Klimaziele (im wahrsten Sinne des Wortes) untergräbt.
Update: Laut neuen Daten von August 2023, die der WWF auf Basis von Daten des Amts für Eich- und Vermessungswesens erhoben hat, liegt das österreichweite Ausmaß der Bodenversiegelung mittlerweile bei 12 Hektar pro Tag.
Das Problem: Warum wir den Bodenverbrauch regulieren müssen
Viele genießen die Annehmlichkeiten dieses Lebensstils – aber die Folgen werden immer schlimmer.
- Je mehr Boden wir verbrauchen, desto weniger kann er seine wichtige Rolle im Ökosystem erfüllen. Zum Beispiel indem er Wasser aufnimmt. Wer Boden versiegelt, fördert den Schaden von Hochwasser.
- Bodenverbrauch schadet auch der Artenvielfalt. Viele Insekten, aber auch kleine Nagetiere leben in der unberührten Natur. Verschwinden sie, leiden darunter auch andere Arten, z.B. Vögel.
- Dazu kommt die Mammut-Aufgabe des Klimaschutzes. Pflanzen – egal ob in Form von Blumen, Bäumen oder Wiesen – produzieren Sauerstoff, binden Staub und CO2 und kühlen die heiße Außentemperatur in der Nacht merklich ab. Wo mehr Boden versiegelt wird, kühlt es nachts kaum herunter. Dadurch werden Hitzewellen immer gefährlicher, worunter vor allem Ältere, Kranke und andere vulnerable Gruppen leiden.
Das sind alles keine Zukunftsprognosen, sondern bereits aktuelle Probleme. Schon jetzt hat Österreich mit über 127.500 Kilometern eines der dichtesten Straßennetze Europas, fast ein Fünftel unserer bewohnbaren oder landwirtschaftlichen Flächen ist bereits verbaut. Und diese Entwicklung ist schwer rückgängig zu machen: Laut Zahlen des Umweltbundesamts dauert die Neubildung von nur einem Zentimeter zwischen 100 und 200 Jahre.
Das Meta-Problem: Es mangelt am Bewusstsein
Und damit kommen wir zum Meta-Problem. Denn dass wir Boden verbrauchen, wird noch nicht annähernd genug thematisiert. Wir ignorieren das Problem, weil Bodenverbrauch für uns angenehme Folgen hat. Hauptsächlich den Traum vom Haus im Grünen, der für viele Österreicher:innen bedeutet, sich einen günstigen Grund in einer ohnehin zersiedelten Gemeinde zu nehmen, um dort relativ isoliert von anderen ein Haus zu bauen. Ein Haus, für dessen Anbindung ans Strom- und Gasnetz und Glasfaser-Internet der Boden geöffnet wird. Und ein Haus, in dem man in der Regel auf das Auto angewiesen ist – inklusive Zufahrtsstraße und Parkplatz.
Rechtlich liegt das Thema vor allem bei den Gemeinden. Diese können Widmungen relativ frei vergeben. Das kann man grundsätzlich damit rechtfertigen, dass Entscheidungen dort getroffen werden, wo sie eben relevant sind – das ist zumindest das große Argument für den Föderalismus. De facto öffnet diese Konstruktion aber auch Möglichkeiten für Machtmissbrauch. Gerade in kleinen Gemeinden, in denen man sich eben kennt, können Böden auch als freundschaftlicher Gefallen billig vergeben oder umgewidmet werden. Der Bürgermeister kann sich damit nicht nur Freundschaften, sondern auch Beliebtheit in der Bevölkerung sichern. Nach dem Motto: Wer mir das Einfamilienhaus in angenehmer Distanz zum nächsten Nachbarn ermöglicht, der kann sich meiner Stimme sicher sein.
Die Lösung: Kompetenzen neu definieren
Um Machtmissbrauch und Freunderlwirtschaft zu vermeiden, sollten die Länder und der Bund stärker einbezogen werden. Denn was im Kontext der einen Gemeinde sinnvoll ist, führt im Gesamtbild oft zu noch weiterer Zersiedelung – und damit nicht nur zu mehr vermeidbarem Bodenverbrauch, sondern auch zu noch mehr Abhängigkeit vom Auto. Es braucht ein Raumplanungs-Konzept, das nicht nur auf die lokalen privaten oder geschäftlichen Interessen Rücksicht nimmt, sondern auch auf die öffentliche Anbindung und den Naturschutz.
Damit das funktionieren kann, braucht man einen Überblick, was mit den Flächen überhaupt passiert. Ein professionelles Flächen-Monitoring würde hier Abhilfe schaffen und als Entscheidungsgrundlage für die Flächenwidmung dienen – inklusive nachvollziehbarer Kriterien, wie diese Entscheidungen getroffen werden. Es braucht Transparenz und Kontrollmöglichkeiten.
Das heißt aber nicht, dass alle Vertreter:innen der Gemeinden unter Generalverdacht gestellt werden sollen. Vielmehr soll es denen, die Flächen seriös vergeben wollen, leichter gemacht werden, diese Entscheidungen sachlich zu treffen. In Bayern etwa werden Flächenwidmungs-Entscheidungen prinzipiell von einer Behörde, dem Kreisamt, getroffen – von Expert:innen. Bürgermeister:innen sollen sich in der Flächenwidmung einbringen, aber nicht alleine mutwillig über diese entscheiden können.
Die Meta-Lösung: Ein größeres Umdenken
Das alles sind rechtliche Lösungen. Aber der Bodenverbrauch erklärt sich ja nicht nur durch die Lokalpolitik, die mit den Flächen besser umgehen könnte. Vielmehr folgt die Politik gesellschaftlichen Trends und Erwartungshaltungen, die über Jahrzehnte gewachsen sind.
In Österreich wohnt ein großer Teil der Bevölkerung auf dem Land, und damit in kleinen Gemeinden, in denen die öffentliche Anbindung im besten Fall mangelhaft, im schlimmsten Fall nicht existent ist. Viele sind es also gewohnt, vom Auto abhängig zu sein und für Arbeit und Freizeit ihren Wohnort zu verlassen. Der klassische Ortskern, in dem es ausreichend Shopping- und Gastronomiemöglichkeiten gibt, ist in vielen Gemeinden bereits verschwunden. Er weicht den Einkaufszentren am Stadtrand und dem täglichen Massenpendeln in die nächste größere Stadt. Das alles sind strukturelle Probleme, die mit unserer Lebensweise einhergehen – und die wir selbst erst überdenken müssen, bevor sich etwas ändern kann.
Wir müssen uns z.B. die Frage stellen, ob es wirklich zeitgemäß ist, das Haus weit weg von allen weiteren Häusern in der Gemeinde zu bauen. Sollten wir nicht lieber auf die Revitalisierung der Ortskerne setzen? Statt Neubauten könnte man in die Höhe bauen oder unbenutzten, alten Gebäuden neues Leben einhauchen. Es braucht auch Anreize, um die Ortskerne wiederzubeleben: Ein Dorf ohne Wirt und Möglichkeiten fürs Nachtleben verliert seine Attraktivität, nicht nur für die Jungen.
Schlussendlich ist der Bodenverbrauch ein naturwissenschaftliches Problem, das gesellschaftlich ausgelöst wird. Politische Lösungsansätze liegen auf dem Tisch und sollten schnell umgesetzt werden, um größeren Schaden zu vermeiden. Insgesamt wird es aber auch einen Mentalitätswechsel brauchen, um die Zersiedelung unter Kontrolle zu bringen. Und dafür braucht es kluge Entscheidungen eines jeden Einzelnen.