Johannes Wesemann: „Das alleinstehende Familienhaus ist nicht mehr realisierbar“
AllRise-Gründer Johannes Wesemann klagt die Republik zum Thema Bodenversiegelung. Im Materie-Interview spricht er über die Methoden seiner NGO, den Traum vom Einfamilienhaus am Ortsrand und über Lösungen gegen den Flächenfraß.
Österreich hat ein Problem mit der Bodenversiegelung. 13 Hektar pro Tag werden „verbraucht“, werden also z.B. als Acker unbenutzbar und verlieren ihre wichtigen Funktionen für die Umwelt. Und es scheint nicht, als würde sich das in nächster Zeit ändern. Jetzt formiert sich Widerstand aus der Zivilgesellschaft.
Johannes Wesemann ist Gründer von AllRise: einer NGO, die eine Staatshaftungsklage gegen die Republik eingebracht hat. Die Begründung: Österreich ignoriere unionsrechtliche Vorgaben beim Bodenschutz, Schäden für Gesundheit, Klima und Artenvielfalt sind jetzt schon nachweisbar. Die Klage steht momentan in der Crowdfunding-Phase – wir haben uns mit dem Wiener, der mit seinem Team auch schon den früheren brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro geklagt hat, über sein Anliegen unterhalten.
Sie haben eine Klage gegen die Republik eingebracht. Warum dieser ungewöhnliche Schritt? Wäre das nicht ein klassisches Thema für eine PR-Kampagne?
Weil wir politisch einfach nicht weiterkommen. Die ÖVP blockiert, die SPÖ blockiert. Wir haben den juristischen Weg gewählt, weil der Gesetzgeber bei einem positiven Urteil gezwungen wird, die Gesetze nachzuschärfen. Das wäre dann unverhandelbar – daher ist das ein mächtiges Instrument.
Warum ist Bodenversiegelung in Österreich eigentlich so ein Thema? Gibt es da ein Beispiel, mit dem Sie das den Leuten leicht erklären können?
Wir kennen kaum eine Gemeinde, die keinen Spar, Billa oder ein Einkaufszentrum hat. Die werden draußen gebaut – und wenn das passiert, braucht man auch Straßen dorthin. Dadurch sterben die Ortskerne aus. Österreich hat die größte Dichte an Supermärkten und Straßenkilometern in ganz Europa, wir haben zweimal die Fläche Vorarlbergs verbaut, die Hälfte davon ist versiegelt. Und das Entsiegeln ist keine Lösung, weil sich die Erde über hunderte Jahre erholen müsste.
Angenommen, ich will jetzt in einer ländlichen Gemeinde am Ortsrand mein Eigenheim bauen. Was würden Sie mir darauf antworten? Da müsste ja Boden versiegelt werden, und da geht es immerhin um Wohnraum.
Erstens muss man sich um die Bauordnung Gedanken machen: Österreich baut lieber in die Fläche als in die Höhe. Das ist nachvollziehbar, aber das geht einfach nicht mehr. Der Wunsch des alleinstehenden Einfamilienhauses ist einfach nicht mehr realisierbar. Diejenigen, die eins haben, haben Glück gehabt, aber wir haben auch 40.000 Hektar Leerstand. Da muss man sich anschauen, ob man die nicht zuerst nutzen kann. Immer neue Häuser, die wieder Straßen, Kanäle, Infrastruktur brauchen, das wird sich nicht ausgehen.
Und was ist jetzt das große Problem dahinter, wenn wir so viel versiegeln?
Das größte Problem ist, dass wir unsere Äcker, unsere Lebensmittelsicherheit verlieren. Dadurch werden wir abhängiger von Importen – und wir sehen ja heute schon, dass wir unseren Bedarf nicht eigenständig im Land decken können. Da gehen auch Lebewesen, ganze Arten verloren, und auch die Lebensqualität. Es ist aber auch ein Klimathema: An Hitzetagen kühlt es weniger ab, Hochwasser kann schlechter abfließen.
Also auch ein wichtiger Beitrag für unsere Klimaziele.
Wir haben mit der Europäischen Union Vereinbarungen, bis 2030 gewisse Messwerte an CO2-Emissionen nicht zu überschreiten. Diese Ziele gehen sich jetzt schon nicht mehr aus, und das wird uns 9 Milliarden Euro kosten. Dafür müssen wir CO2-Emissionszertifikate kaufen, und das führt zu zwei Problemen. Erstens: Wir zahlen das aus Steuergeld, das uns woanders fehlt. Und zweitens: Wir müssen diese Zertifikate aus dem Ausland kaufen, von Ländern, die ihre Ziele erfüllen. Und dazu kommt, dass uns die Folgen des Klimawandels, zum Beispiel durch Hochwasserschäden, jetzt schon eine Milliarde Euro im Jahr kosten. Durch Bodenversiegelung verlieren wir also so oder so.
Die Klage richtet sich ja gegen die Republik, aber eigentlich ist Bodenversiegelung ja Sache der Gemeinden, oder? Ich denke da an den Bürgermeister, der freihändig die Grundstücke vergibt.
Es ist immer eine Frage der Kompetenzen. Die Republik klagen wir deshalb, weil die Staatshaftungsklage sich gegen die Verletzung unionsrechtlicher Normen richtet, eben weil wir diese Verträge mit der EU haben. Auf der Kompetenzebene müssen wir uns natürlich auch die Länder anschauen, Naturschutz ist Ländersache. Was Sie ansprechen, ist das Problem der Gemeinden, die fröhlich herumwidmen. Das liegt aber auch an einer permanenten Finanznot – da wäre der Finanzausgleich ein großer Hebel. Dadurch könnte man auch klimaschonende Maßnahmen fördern, dann kriegen sie dafür zum Beispiel mehr Budgetmittel.
Wer sollte dann für den Boden zuständig sein?
Man könnte zum Beispiel Siedlungsgrenzen einführen und die Kompetenz der Gemeinden beschneiden, das kann dann auf Bezirks- oder Landesebene wandern. Der Bund ist da nicht sinnvoll. Die Gemeinden wissen natürlich vor Ort am besten, was es braucht, aber weil das System auch zu Korruption einlädt, sollte man das anders regeln. Es gibt Bürgermeister, die eine Einschränkung der Kompetenzen begrüßen würden, wie z.B. in Freistadt, aber eben auch jene, die kein Interesse haben.
Befeuert wird diese Diskussion auch durch die Haltung des Stadt- und Gemeindebunds, der seine Blockadehaltung dazu seit Jahrzehnten fortführt. Sogar deren Präsident, Herr Riedl, war in einen Grundstücksdeal in seiner Gemeinde Grafenwörth verwickelt. Unabhängig davon, ob das juristisch in Ordnung war – allein um solche Unklarheiten von vornherein zu unterbinden, würden wir es begrüßen, im Stadt- und Gemeindebund einen Verbündeten zu finden, das Kompetenzwirrwarr zu entflechten.
Im Materie-Podcast haben wir schon einmal darüber gesprochen, ob Klima-Klagen nicht bedeuten, dass das Recht die Politik ersetzt: Wenn die Politik nicht liefert, muss man sie eben über ein anderes System dazu zwingen. Wie sehen Sie das? In einer besseren Welt würde es diese Klagen ja gar nicht brauchen.
In einer besseren Welt brauchen wir auch keine Verkehrsampel, aber das funktioniert halt nicht. Man muss am Boden der Realität bleiben: Wir Menschen brauchen Regeln, innerhalb derer wir uns bewegen. Wir sind sehr schnell in der Anzeige von Verkehrsdelikten, aber im Naturbereich haben wir keine oder zu wenige gesetzliche Grundlagen. Wir haben auch kein Klimaschutzgesetz. Wieso sind wir bei strafrechtlichen Delikten so schnell, aber bei der Natur nicht? Daher muss die Zivilgesellschaft ihr Recht in Anspruch nehmen.
Was halten Sie für das realistische Best-Case-Szenario für Ihre Klage?
Wenn unsere Klage zugelassen wird, wird sie an die Länder weitergegeben oder an den Europäischen Gerichtshof weitergeleitet – das wäre auch spannend, weil es dann um alle europäischen Staaten gehen würde. Da die Klage dem Europarecht geschuldet ist, sind da auch andere Staaten interessant. Bodenversiegelung ist ja ein europäisches Problem. Diese zwei Szenarien sind durchaus realistisch, wenn uns der VfGH nicht ablehnt: Staatshaftungsklagen sind nicht einfach, aber als Mitglied der EU haben wir das Recht dazu.
Sie haben auch einen Climate Litigation Fonds angekündigt, um mehrere Klagen zu finanzieren, vielleicht auch gegen Unternehmen. Können Sie schon sagen, was als Nächstes kommt?
Zuerst mal: Ich sehe das ja auch unternehmerisch. Und ich bin mir sicher: Wenn wir mit Umweltschutz Geld verdienen können, dann schaffen wir das. Gelingt es uns, mit Umweltschutz Geld zu verdienen, werden wir die ökologische Wende schaffen. Darum haben wir das Bestreben, ein Ökosystem zu bauen – das ist die NGO AllRise, auch mit diesem Climate Litigation Fonds. Kommt darauf an, ob wir die Mittel dafür kriegen.
Unser Ziel ist, diese Flächenversiegelungsklage in andere europäische Länder zu bringen. Das zweite große Thema, das uns interessiert, ist Wasser, das dritte die Rolle des Finanzsektors als Ermöglicher von Umweltzerstörung. Das ist aber keine rein österreichische Veranstaltung – wir haben einen klaren internationalen Fokus.
JOHANNES WESEMANN wuchs in Wien und Hongkong auf, studierte Betriebswirtschaftslehre in Wien, verdiente sich seine ersten beruflichen Sporen in Singapur und gründete mit 20 Jahren sein erstes Unternehmen. 2014 wurde er General Manager von Uber in Wien und gründete 2016 den digitalen Company Builder Strudel. Im Jahr 2021 startete er parallel mit einer Gruppe von Personen das Projekt AllRise, eine Organisation, die Klimaschutzklagen entwickelt, um Umwelt- und somit Klimasünder juristisch zur Verantwortung zu ziehen. Auf bodenverbrauch.org kann man das Anliegen von AllRise zum Bodenschutz unterstützen.