US-Zollabkommen: Eine europäische Verzwergung
Mit der Zollvereinbarung zeigt Europa, dass es den USA sicherheitspolitisch derart ausgeliefert ist, dass es auch in Wirtschaft und Handel völlig erpressbar ist. Was noch schlimmer ist, das Abkommen wird dieses Problem perpetuieren.
Erst Anfang Mai dieses Jahres einigten sich Großbritannien und die USA auf ein Abkommen, das den bilateralen Handel regelt und die Zollfantasien Donald Trumps einhegt. Großbritannien akzeptierte einen zusätzlichen, auf bestehende Abgaben aufgeschlagenen Zollsatz von 10 Prozent auf alle britischen Warenexporte in die Vereinigten Staaten, 25 Prozent auf Stahl und Exportkontingente auf Automobile. Aus Europa hieß es dazu, die EU werde ein so schlechtes Abkommen sicher nicht akzeptieren und bereite Gegenmaßnahmen vor. Vor allem bei digitalen Serviceleistungen hätte Brüssel deutliche Verhandlungsmasse gehabt, dominieren doch US-Riesen die digitale Wirtschaft auch in Europa.
Nun aber hat sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Trump auf eine deutlich schlechtere Einigung als die Brit:innen verständigt, per Handschlag und in großen Zügen, die Details sind noch zu verhandeln. Zumindest in diesem Fall bleibt zu hoffen, dass wie so oft eine Einigung durch die Kommission vom Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten letztendlich verworfen wird. Denn diese Vereinbarung – es handelt sich nicht um ein völkerrechtliches Abkommen, sondern tatsächlich um einen unspezifizierten „Deal“ – stellt eine weitere Verzwergung Europas gegenüber den USA dar und perpetuiert die Probleme, die Europa dank Trump eigentlich dringend lösen sollte.
Natürlich ist es für die europäische Wirtschaft, die sich immer noch aus den Folgen der durch Corona bedingten Verwerfungen zu befreien sucht, wichtig, einen offenen Handelskrieg mit dem wichtigsten Handelspartner so weit wie möglich zu verhindern. Auch ist das Abkommen für die für den europäischen Wirtschaftsmotor Deutschland so wichtige Autoindustrie kurzfristig wohl vorteilhaft. Und die Vereinbarung erlaubt Trump, sich wieder einmal als großer Sieger zu positionieren, was ihn im Gegenzug sicherheitspolitisch an NATO und Europa bindet. Alles nicht unwichtig, aber mittelfristig wohl ein Pyrrhussieg.
UK-US und EU-US im Vergleich
Das Abkommen löst das Problem von Trumps täglichen Meinungsumschwüngen nicht, da es Europa als schwach und abhängig zeigt und Trump dazu einlädt, wenn politisch opportun, einfach neue Forderungen zu stellen. Die Wirtschaft weiß das. Planungssicherheit sieht anders aus.
Und mit dem Brüsseler Einknicken – nach anfänglich selbstsicherem Gehabe – weiß Trump auch, wo er am einfachsten einen schnellen Erfolg einfahren kann. Wenn Trump in Zukunft einen raschen politischen Sieg braucht, wird er wohl am ehesten in Richtung Europa schauen. Dazu kommt noch, dass Europa mit seinem Einlenken nationalistischen Populist:innen wie Trump für zukünftige US-Wahlkämpfe Munition liefert und damit die Verbesserung der transatlantischen Beziehungen in der Zukunft behindert.
Strategielos in den Konflikt
Ein großes Problem internationaler Analyst:innen wie auch Politiker:innen ist es zu versuchen, Trumps langfristige Strategie zu verstehen und entsprechend zu handeln. Trump agiert jedoch völlig strategielos und ändert daher seine Positionen oft und unvorhersehbar. Er brüstet sich damit, dass er (1) das Handelsdefizit verringern werde, indem er Importe verteuert; (2) statt zu importieren, würde Amerika mehr selbst produzieren. Gleichzeitig sollen (3) Zölle Geld in die Staatskassen spülen, um die massiven Steuersenkungen zu finanzieren. Und er will (4) Millionen Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus deportieren, die aber heute schon das Rückgrat der Niedriglohnindustrien ausmachen, die Trump in großem Ausmaß nach Amerika zurückholen will.
Diese vier Ziele schließen sich gegenseitig aus. Wenn mehr in den USA produziert wird und Importe fallen, sinken auch die Zolleinnahmen. Außerdem gibt es bei Fast-Vollbeschäftigung und Trumps Deportationsfantasien nicht genug Arbeitskräfte, um einen arbeitsintensiven Produktionsschub in den USA mit Personal zu versorgen. Unternehmen müssten in intensiven Wettkampf um Personal treten und damit die Lohninflation massiv befeuern, aber auch die Inflationsbekämpfung ist für Trumps Anhänger:innen politisch extrem wichtig.
Trump kann seine Ziele also nicht alle gemeinsam erreichen. Wenn er tatsächlich das Handelsdefizit reduziert, werden die Zolleinnahmen nicht für seine fiskalen Ziele ausreichen. Er müsste dann die Zölle erhöhen, um mehr Einnahmen zu lukrieren. Andererseits: Schafft er es nicht, das Handelsdefizit zu reduzieren, weil die Idee, Lieferketten einfach in die USA zurückzuverlegen, völlig realitätsfremd ist, könnte er ebenfalls die Zölle weiter erhöhen, um nicht sein Versagen bei der Verbesserung der Warenhandelsbilanz eingestehen zu müssen.
Wer glaubt, dass ihn ein Abkommen daran hindert, möge sich an die Neuverhandlung des NAFTA-Abkommens mit Mexiko und Kanada in Trumps erster Amtszeit erinnern. Von Trump damals als fantastischer Deal gepriesen, ignoriert er es heute vollständig und überzieht die beiden Nachbarn mit Zolldrohungen. Dazu kommt, dass Trump kein rechtlich bindendes Abkommen wünscht, das dann in den USA und in Europa ratifiziert werden müsste. Er bevorzugt einen „Deal“, eine Vereinbarung, die er persönlich getroffen hat und die er nach Lust und Laune wieder ändern kann, ohne beim Senat nachfragen zu müssen.
Auch mit Europa wird Trump nicht anders verfahren. Während er keinerlei Strategiefähigkeit besitzt, hat er doch eine intuitive Taktik: mit Drohungen um sich werfen und schauen, was verfängt. Und hier schafft sich Europa mit seiner Selbstverzwergung in den Verhandlungen ein langfristiges Problem. Wer gegenüber einem Bully klein beigibt, ist in dessen Augen ein williges Opfer. China erkennt dieses Problem und ist bereit, kurzfristig wirtschaftliche Verluste einzustecken, um nicht schwach zu erscheinen. Und es scheint, als könnte China damit auch kurzfristig bereits Erfolg haben. Trumps Rhetorik hat sich bereits deutlich gemäßigt.
Wie die EU diese Vereinbarung mit den Vorgaben der World Trade Organization in Einklang bringen will, wird interessant zu beobachten sein. Die EU besteht jedenfalls prinzipiell darauf, dass sie sich auf Punkt und Komma an die Regeln der Welthandelsorganisation hält.
Und Europas Strategie?
Auch eine langfristige europäische Strategie ist schwer zu erkennen. Ursula von der Leyen hat sich wohl kaum auf Trumps Vorschläge eingelassen, weil sie sie für vorteilhaft oder ausgewogen hält. Sie versteht, dass Europa sicherheitspolitisch vollständig von den USA abhängt und hat versucht, mit einem schlechten Abkommen Trump auf Europas Seite zu halten, seine Amtszeit auszusitzen und dann mit einer vernünftigeren, strategischeren Nachfolgeregierung in Washington neu zu verhandeln.
Dazu wird es aber nicht kommen. Wenn Trump einen „Deal“ zu Amerikas Vorteil herausholt, den dann eine Nachfolgeregierung neu verhandelt, gibt die EU damit den Nationalist:innen in den USA das bestmögliche Wahlargument. Trump hat mit dem Argument gewonnen, dass Amerika von Europa ausgenutzt wurde, und dass dieser Zustand mit ihm endet. Wenn Europa die für die USA sicherlich vorteilhaften Konditionen des Trump-Abkommens nach dessen Abschied aus dem Weißen Haus infrage stellt, ist die nächste Wahlkampagne der Hardliner vorprogrammiert. „Seht her“, werden sie argumentieren, „Trump hat geliefert, und diese weichen Demokraten – oder moderaten Republikaner – lassen sich wieder herumschubsen.“
Mit dem Abkommen minimiert die Europäische Kommission auch die Dringlichkeit für Europa, sich schnell von den USA sicherheitspolitisch zu emanzipieren. Das Handschlagabkommen beinhaltet massive Waffenkäufe der europäischen Staaten aus den USA. Damit konterkariert von der Leyen die Versuche der EU, schnell eine effizientere, enger verschränkte, gemeinsame europäische Rüstungsindustrie ins Leben zu rufen. Europa hat sich Jahrzehnte sicherheitspolitisch auf Uncle Sam verlassen. Wenn das EU-US-Abkommen die USA wieder enger an Europa bindet, schwinden die Anreize für die ohnehin schuldengeplagten europäischen Regierungen, ihre eigene Verteidigung schnell nachzurüsten. Europa bleibt von Trump, wie auch dessen Nachfolgern, erpressbar.
Rechtsverzicht
In den USA laufen derweil Klagen gegen die Regierung, da Zölle eigentlich durch den Kongress erlassen werden müssen. Ob Trump unter dem Notstandsrecht, dem International Emergency Economic Powers Act, ohne den Kongress selbst agieren darf, ist umstritten, vor allem, weil er durch unbedachte Aussagen immer wieder zugibt, dass er nicht aufgrund eines wirtschaftlichen Notstands oder einer außerordentlichen Bedrohung, sondern aus anderen Überlegungen handelt, die nicht von diesem Gesetz gedeckt sind. So etwa hat Trump Zölle gegen Brasilien erhöht, weil dort ein Verfahren gegen seinen politischen Freund Jair Bolsonaro läuft, und ein Abkommen mit Kanada infrage gestellt, sollte Kanada Palästina vor der UNO anerkennen. Dass es sich bei einem Gerichtsverfahren ohne US-Beteiligung oder bei der Anerkennung eines Staats, der bereits von über 150 Ländern anerkannt wird, um einen außerordentlichen Notfall handeln soll, ist schwer zu erklären.
Die Chancen für Trumps Gegner:innen stehen nicht schlecht. Erst 2023 setzte das Höchstgericht ein Dekret zur Schuldenerlassung für Studienkredite von Präsident Joe Biden außer Kraft, mit dem Argument, die Exekutive könne ohne Zustimmung des Kongresses nur bei Themen von „enormer wirtschaftlicher und politischer Bedeutung“ eigenständig aktiv werden. Andererseits hat Trump mit seinen Bestellungen von Richtern und Richterinnen in seiner ersten Amtszeit das Höchstgericht politisiert. Rückschlüsse aufgrund von Präzedenzfällen sind zwar the American way, aber heutzutage extrem schwierig.
Sollten die Gerichte Trumps Dekrete aussetzen, so würde es zur Aufhebung der Zölle und eventuell gar zur Rückerstattung der bereits geleisteten Zahlungen kommen. Präzedenz dafür existiert. Jurist:innen meinen aber, dass Staaten, die ein Abkommen mit Trump ausgehandelt haben, um die Aussetzung der Zölle umfallen könnten, da ein bilaterales Abkommen nicht verfassungswidrig wäre. Im schlimmsten Fall also setzt das Höchstgericht die Zölle aus, die Demokraten gewinnen die Zwischenwahlen im Herbst nächsten Jahres und bestätigen Trumps Zollpolitik nicht. Europa bleibt auf seinen freiwillig ausgehandelten Zöllen sitzen, während China und andere Staaten es nun im Wettbewerb um den amerikanischen Markt mit Leichtigkeit ausstechen.