Warum CETA eine verdammt gute Idee war
Österreich ist eine Exportnation. Jeder zweite österreichische Euro wird im Ausland erwirtschaftet, mehr als eine halbe Million Arbeitsplätze hängen am Handel mit anderen Ländern. Nicht nur die Reichen profitieren also von freiem Handel mit dem Rest der Welt – sondern der Wohlstand der Massen steigt insgesamt.
Grund genug, daran zu arbeiten, Handelsschranken zu beseitigen. In der Regel passiert das mit Freihandelsabkommen, die im Fall Österreichs durch die EU abgeschlossen werden – hier kann jeder Mitgliedstaat seine Bedenken äußern, die Verhandlungsmacht ist umso größer. Aktuell scheitert das Mercosur-Abkommen mit südamerikanischen Staaten durch den Widerstand Österreichs – aus den gleichen Gründen, die schon in der Diskussion um CETA falsch waren.
Was CETA kann – und Mercosur könnte
Eigentlich kann man alle Freihandelsabkommen mit einem Satz zusammenfassen: Sie erleichtern den Handel. Das tun sie in der Regel dadurch, dass sie Barrieren abbauen, also Zölle oder andere strenge Auflagen.
Im Fall von CETA wurden in Zölle in allen Branchen abgeschafft oder zumindest reduziert. Es gilt das Prinzip der Nicht-Diskriminierung: Wenn ein kanadisches Unternehmen in der EU investieren will, darf es das also zu den gleichen Bedingungen wie eines aus einem Mitgliedstaat, und wer in der EU eine Berufsanerkennung hat, kann darauf zählen, dass diese auch in Kanada akzeptiert wird. Dazu kommt auch, dass europäische Unternehmen jetzt besser in kanadischen Ausschreibungen mitbieten können, etwa bei großen Infrastruktur-Projekten.
Das Abkommen ist zu umfassend, um es komplett wiederzugeben, weil es z.B. auch Bestimmungen zu Datenschutz, Gesundheit oder Umweltschutz enthält. Für Interessierte ist sowohl eine Zusammenfassung als auch der gesamte Vertragstext online einsehbar. Wichtig ist aber vor allem, was nicht drin steht: nämlich genau die Dinge, vor denen Freihandelsgegner:innen im Vorfeld warnten.
Chlorhendl und andere Fantasieprodukte
Wer sich an die Diskussionen in Zeiten der letzten rot-schwarzen und türkis-blauen Regierungen erinnert, wird oft vom „Chlorhendl“ gehört haben: einem Huhn, das für eine Art industrieller Behandlung in Chlor getaucht wird, bevor es im Supermarktregal landet.
Diese Angst war von Anfang an unbegründet. Zum Einen, weil sich die Angst vor dem Chorhendl auf ein ganz anders Freihandelsabkommen bezog: nämlich TTIP, den gescheiterten Vertrag mit den USA. In der US-amerikanischen Geflügelindustrie wird oft Chlordioxid eingesetzt, um die Hühner zu desinfizieren, was in Europa verboten ist.
Bei den Verhandlungen zu CETA reagierte man darauf deutlich: Geflügel ist von dem Vertrag ausgenommen. Da die Europäische Union mit den Interessen von 27 Mitgliedstaaten ausgestattet die Verhandlungen führte, bestand sie nicht nur auf strenge Lebensmittelstandards, sondern auch auf gewisse Ausnahmen. Auch regionale Produkte sind geschützt, etwa Parmesan.
Ausnahmen waren übrigens nicht nur der EU wichtig: Auch Kanada hatte seine Ängste vor übermäßig billigen Produkten mit vergleichsweise schlechter Qualität. Dort wurde vor allem vor günstigen Milchprodukten gewarnt. Nicht umsonst hört sich der Lobbyismus der kanadischen Milchwirtschaft verdächtig ähnlich wie eine Warnung der heimischen Landwirtschaft an.
Keine Angst vor Schiedsgerichten!
Schiedsgerichte lösen ein ganz logisches Problem: Staaten müssen sich an ihr nationales Recht halten. Wenn ein Handelspartner ein Gesetz beschließt, das zwar demokratisch legitimiert ist, aber gegen ein Abkommen mit anderen Staaten verstößt, kann man im Ausland fast nur zusehen. Ein österreichisches Unternehmen, das nach Kanada exportiert und sich darauf verlassen hat, keine hohen Zölle bezahlen zu müssen, wird nur schwer vor ein kanadisches Gericht ziehen können – vor allem, wenn die neuen Zölle nach kanadischem Recht gültig sind.
Hier kommen Schiedsgerichte zum Einsatz: Anstatt das österreichische Unternehmen bis zum kanadischen Höchstgericht zu zwingen, kann es sich an diese neue Instanz wenden. Das heißt nicht, dass alle Gesetze, die einem Freihandelsabkommen widersprechen, automatisch aufgehoben werden müssen. Aber wer in Kanada investieren oder dorthin exportieren will, kann sich auf die Bestimmungen von CETA berufen, weil es Rechtssicherheit geben muss. De facto könnten auch einfach die entstandenen Schäden ersetzt werden – der Zoll für das österreichische Unternehmen wird abgegolten, ohne den Zoll insgesamt außer Kraft zu setzen. Immerhin hat Kanada nicht mit allen Staaten der Welt Freihandelsabkommen, die das untersagen.
Eine Karte der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung zeigt, wie oft diese Schiedsgerichte zum Einsatz kommen: Österreich wurde bis 2016 nur einmal angeklagt, nutzte aber selbst 16-mal das Klagerecht. Auch seit CETA hat kein kanadisches Unternehmen Österreich geklagt. Vom umgekehrten Fall profitieren wir aber: In Kroatien wurde etwa ein neues Gesetz vorgelegt, das ausländischen Banken vor Kroatiens Beitritt zur Eurozone schlechtere Wechselkurse vorgeschrieben hätte. Österreichische Banken konnten dagegen klagen – und verhinderten, dass auch das österreichische Kreditgeschäft geschädigt worden wäre.
Und die billigen Importe aus dem Ausland?
Eine weitere Angst, die auch in den aktuellen Verhandlungen rund um Mercosur immer wieder geschürt wird: Wenn wir Handelsbarrieren abschaffen, könnten uns billige Lebensmittel aus dem Ausland schaden, weil sie Produkte mit unseren hohen Lebensmittelstandards aus den Regalen verdrängen.
Auch hier zeigt CETA, dass das unrealistisch ist: Seit das Freihandelsabkommen aktiv ist, stiegen die Exporte von Europa nach Kanada von einer auf 30 Millionen Euro im Jahr – während Kanada immer noch fast nichts in die EU exportiert. Die europäische Landwirtschaft reizt das Abkommen also maximal aus, aber auch in anderen Branchen stiegen die Exporte schnell an. Das betrifft übrigens auch Klein- und Mittelbetriebe: Es profitieren also nicht, wie im Vorfeld immer gewarnt wurde, nur die größten Unternehmen. Das hat zwei Gründe.
Zum einen, dass die EU historisch sehr stark auf die Agrarlobby Rücksicht nimmt: Kanadische Landwirte dürfen nicht völlig uneingeschränkt, sondern nur bestimmte Mengen an Rindfleisch oder Getreide nach Europa exportieren. Auch das Freihandelsabkommen Mercosur, das gerade mit südamerikanischen Staaten verhandelt wird, sieht keinen vollkommenen Zugang, sondern „Zollkontingente“ vor, also Quoten: 99.000 Tonnen Rindfleisch dürften vergünstigt in die EU eingeführt werden. (Zum Vergleich: In der EU selbst werden 6,8 Millionen Tonnen pro Jahr produziert.)
Zum anderen exportiert Kanada Rindfleisch verstärkt nach China statt in die EU. Der Grund ist genau das Gegenteil dessen, womit oft Angst gemacht wird: Europäische Lebensmittelstandards sind weiterhin hoch und auch nach dem Freihandelsabkommen unverhandelbar. Kanadische Unternehmen können also entweder den qualitativen Sprung wagen, um mit europäischen Unternehmen am europäischen Markt konkurrieren zu können – oder nach China gehen, wo man sich darum nicht kümmern muss.
Ablehnung von Freihandel ist purer Populismus
Wir sehen also, dass Freihandelsabkommen historisch mehr Exporte schaffen und dadurch Arbeitsplätze sichern, ohne dass dadurch billige Importware die heimischen Lebensmittelstandards aushebelt. Warum aber ist gerade Österreich dann so skeptisch, wenn es um diese Form der Wirtschaftspolitik geht?
Die Antwort ist wahrscheinlich jene, die den politischen Diskurs oft dominiert: Populismus. Ängste ziehen besser als Chancen, und man will lieber das Chlorhendl vermeiden als Arbeitsplätze sichern, die man womöglich selbst gar nicht mitbekommt. Darum zieht die Warnung als politische Taktik: Die FPÖ etwa warnte vor CETA, bevor sie es in der Regierung doch ermöglichte, um im Abtausch dafür das Rauchverbot zu verhindern. Klubchef Walter Rosenkranz meinte, es wären „die Giftzähne gezogen“ worden – obwohl sich zwischen der kritisierten und der beschlossenen Version nichts mehr geändert hatte.
Blickt man zurück, zeigt sich: Bei CETA hat sich die Panikmache kein einziges Mal bewahrheitet. Weder haben kanadische Unternehmen Österreich zu neuen Gesetzen gezwungen noch überschwemmen Billigprodukte die heimischen Lebensmittelmärkte. Die Vorteile genießen wir still und heimlich in Form von höheren Exporten, erfolgreichen Unternehmen und gesicherten Arbeitsplätzen – 2022 war mit +18,6 Prozent an Exporten ein weiteres Rekordjahr für die Republik. Das ist ein deutlicher Schritt in die richtige Richtung. Auch wenn es politisch niemand hören will.
In der aktuellen Debatte um das Freihandelsabkommen Mercosur stehen wir vor derselben Herausforderung: Dieselben Ängste, die sich schon bei CETA nicht bewahrheitet haben, könnten dafür sorgen, dass die gesamte EU eine große Chance verpasst. Die Bundesregierung sollte sich nicht auf die übertriebenen Szenarien der heimischen Agrarlobby und linken NGOs verlassen, die schon beim letzten Mal nicht recht hatten – sondern das Gleiche tun, was uns schon letztes Mal mehr Wohlstand ermöglicht hat: den Populismus überwinden.