Warum die Politik den Pensionslobbyisten nicht nachgeben darf
Das Pensionssystem zu überfordern, hilft niemandem. Die jüngsten Forderungen sind aber ein klares Signal dafür, den Generationenvertrag weiter auszuhöhlen.
Herbstbeginn ist Verhandlungsbeginn. In der Metallindustrie wird die Lohnrunde von der höchsten Inflationsrate in Jahrzehnten überschattet. Doch am meisten Aufmerksamkeit bekommen aktuell wieder einmal die Forderungen der Pensionslobbyisten. Die SPÖ- und ÖVP-Verbände trommeln seit Wochen Forderungen, die sich weit von der gesetzlich vorgesehenen Anpassung wegentwickelt haben.
Denn die tatsächlich gemessene Inflation in dem Zeitraum, die als Grundlage für die Erhöhung dient, liegt mit 5,8 Prozent wesentlich unter den 10 %, die medienwirksam von SPÖ-Pensionistenvertreter Peter Kostelka nahezu täglich per Aussendung und in Interviews verbreitet wird. Die Forderungen liegen um rund 2,1 Mrd. Euro auseinander.
Die Richtschnur darf nicht wieder reißen
Es wäre hochgradig gefährlich, der Forderung der Pensionistenvertreter nachzugeben. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sehr offensichtlich ist, dass die Maßnahme deutlich überzogen ist. Denn die Forderung in der Herbstlohnrunde (Abgeltung von Inflation plus ein kleiner realer Zuwachs) liegt eher bei 6,5 bis 7 Prozent und damit deutlich darunter. Und die Forderungen der Arbeitnehmer in der Metallindustrie ist freilich auch für die Pensionen eine Richtschnur, weil ja mit den Löhnen und Gehältern der aktuell Beschäftigten die Pensionen der Menschen im Pensionsalter finanziert werden.
Nicht zuletzt deswegen warnt der ehemalige Leiter der Alterssicherungskommission Walter Pöltner in einem Interview mit der „Presse“ davor, den Generationenvertrag derart einseitig aufzukündigen und die Pensionen weiter stärker als die Einkommen der Beschäftigen steigen zu lassen:
„Ein Prozentpunkt Pensionserhöhung bedeutet 500 Millionen Euro, das ist nicht nichts. Und das die nächsten Jahre, das ist ja eine Zinseszinsrechnung. Wir sollten bei all dem darauf achten, dass die Jungen später ungefähr das haben, was Pensionisten jetzt haben.“
Walter Pöltner
Wenn nun die Pensionen sukzessive deutlich stärker steigen als die Einnahmen des Pensionssystems, dann sind deutlich höhere Defizite die Folge, die aus dem aktuellen Budget geleistet werden müssen.
Und diese Kosten für den allgemeinen Haushalt sind ohnedies gerade massiv im Steigen begriffen. Bereits heuer wendet der Bund für die Pensionen mehr als 20 Mrd. Euro auf, in den kommenden Jahren dürfte es noch weiter steigen, wenn man den jüngsten Forderungen nachgeben würde, ist absehbar, dass die Ausgaben noch vor 2025 auf 30 Mrd. Euro ansteigen würden. Der Rechnungshof warnte jüngst vor einer Verdoppelung der Pensionskosten für den Bund bis 2030.
Steigen die Pensionen zu rasch – und vor allem ohne Bezug zur Einnahmensituation – dann werden die Pensionen bald zur noch größeren Belastung für den Haushalt. Bereits jetzt ist das österreichische Budget sehr „vergangenheitsorientiert“. Zukunftsinvestitionen sind im Vergleich zu nordischen Wohlfahrtsstaaten eher gering ausgeprägt, dafür springen die Steuerzahler mit Milliardenbeträgen bei, um nicht nachhaltige Systeme zu subventionieren.
Dass Österreich auch 2022 noch immer dasselbe reale Pensionsantrittsalter hat wie 1970 – und das obwohl die Lebenserwartung eines 60-jährigen Österreichers mittlerweile um rund acht Jahre gestiegen ist -, kann man keinem nordischen Sozialpolitiker erklären. Und es ist ein massives Problem für den Generationenvertrag, wie Bernhard Hammer in einem Policy Brief für das NEOS Lab ausführlich analysierte.
Doch auch noch aus anderen Gründen ist Vorsicht bei den Pensionsanpassungen angesagt: Will man nämlich wirklich den Ärmsten unter den Pensionisten helfen, wären gezielte Anpassungen bei der Ausgleichszulage viel sinnvoller als die Gießkannen-Maßnahme der Pensionsanpassung, die auch denen zugute kommt, die es eigentlich nicht benötigen. Und um die hohen Energiekosten abzufedern, hat die Regierung ohnedies bereits viele Milliarden Euro an Subventionen angekündigt.
Es ist völlig klar, dass 2022 eigentlich auch für die österreichische Sozialpolitik eine Zeitenwende sein muss. Wenn die Regierung, wie am Mittwoch erneut versprochen, künftig auf die automatischen Steuererhöhungen durch die kalte Progression verzichten will, hat sie noch weniger Spielraum, um die Pensionen mit der Gießkanne und über das gesetzliche Maß vorgesehen, anzupassen. Eine strukturelle Reform im Pensionsbereich, um die anstehende Pensionswelle der Babyboomer möglichst generationengerecht zu gestalten, ist überfällig.
Der Herbstbeginn markiert wieder einen Verhandlungsbeginn. Er sollte kein weiterer Schritt sein, den Generationenvertrag aufzukündigen.