Warum es in der Ukraine um die Freiheit geht
Ein Jahr nach Kriegsbeginn kursieren Ausreden und Propaganda-Mythen in der öffentlichen Debatte. Zeit, festzuhalten, warum die Ukraine auf der richtigen Seite steht – und weswegen der Westen sie unterstützen sollte.
Kurz bevor sich Putins Angriff auf die Ukraine zum ersten Mal jährt, haben wir hier in der Materie beschlossen, den Krieg in der Ukraine zu thematisieren. Nicht nur wegen des makabren Jubiläums, sondern auch weil die Debatte in Österreich dazu nicht unbedingt laut ist. Nach wie vor sind wir von russischem Gas abhängig, nach wie vor verstecken wir uns hinter einer Neutralität, die uns in der aktuellen Form nicht schützt. Wohl auch, weil Verschwörungstheorien und Desinformation die Kommentarspalten in den sozialen Medien beherrschen.
Darum scheint es am Jahrestag des russischen Angriffs nötig, noch einmal grundlegend festzuhalten, warum die Ukraine in diesem Krieg für die Freiheit kämpft. Und auch, wenn es banal wirken mag: Klären wir auch nochmal, warum Putin nicht „der Gute“ ist.
Verschwörungstheorien über den Anfang des Krieges
Viele insinuieren z.B., dass der Ukraine-Krieg schon 2014 begonnen hätte – aber mit der falschen Behauptung, dass die Ukraine, mit Unterstützung aus dem Westen, diesen Krieg „provoziert“ hätte. Was genau ist damit gemeint? Die proeuropäischen Proteste, mit denen das ukrainische Volk seinen Willen ausdrückte, wie man das in einer Demokratie eben tut? Oder das hartnäckige Gerücht, die Ukraine wäre ein NATO-Staat und damit eine „Provokation“ an der russischen Grenze?
Beides wäre falsch. Das ukrainische Volk darf seinen Willen frei ausdrücken, und das ist alles andere als eine Einladung zur feindlichen Übernahme durch Russland. Ist eine westlich orientierte Ukraine im Interesse der EU und der USA? Zu 100 Prozent. Heißt das, dass es sich automatisch um eine Verschwörung handeln muss? Nein.
Was aber stimmt: Wenn man über den Ukraine-Krieg spricht, muss man wirklich 2014 beginnen. Aber eben nicht, weil die Ukraine seit damals auf der falschen Seite steht – sondern weil schon die Annexion der Krim eine völkerrechtswidrige Aggression war, die jahrelange Kampfhandlungen im Osten der Ukraine zur Folge hatte. Russland hat die Ukraine vor neun Jahren angegriffen. Jetzt, da es um ihr Überleben geht, eskaliert dieser Angriff zum Krieg.
Der False-Balance-Reflex
Viele haben ihre Schwierigkeiten damit, diese einfache Begründung nachzuvollziehen. Aus der verschwörungstheoretisch angehauchten Blase kommen immer wieder Einwände in die Richtung, dass Selenskyj und die Ukraine doch auch in irgendeiner Form schlecht wären. Ein Komiker als Präsident sei nicht seriös, die Ukraine habe ein Korruptionsproblem, und überhaupt, warum müsse man das alles immer alles schwarz-weiß sehen?
Und ja, so mancher Kritikpunkt kann auch richtig sein. Ob jemand, der vorher in einer Fernsehserie den Präsidenten gespielt hat, ein Land tatsächlich führen kann, mag Ansichtssache sein, aber zumindest in Sachen Korruption ist klar, dass die Ukraine auch vor dem Krieg kein Vorzeigestaat in Sachen Transparenz und Rechtsstaatlichkeit war. Der Kommunismus, aber auch Post-Sowjet-Regierungen wie die von Wiktor Janukowytsch haben einige Probleme hinterlassen, die auch in Friedenszeiten schwierig aufzuarbeiten wären.
Aber all diese Punkte bedeuten nicht, dass der Krieg gerechtfertigt wäre. Ein Einmarsch ist auch dann falsch, wenn das betroffene Land einem unsympathisch ist. Vor allem, weil Putins Russland auch alles andere als ein demokratischer Rechtsstaat ist – das sieht man auch an der Unterdrückung seit Kriegsausbruch, wenn z.B. unter Strafe gestellt wird, den Krieg als solchen zu bezeichnen.
Worum es im Ukraine-Krieg wirklich geht
Darum reagieren auch viele allergisch, wenn man festhält, dass die Ukraine für die richtigen Werte kämpfe – z.B. für Freiheit und Demokratie. Viele scheinen Ausreden zu brauchen, weil sie sich einfach nicht vorstellen können, dass es wirklich so einfach ist. Ein Diktator, der ein Nachbarland angreift und Kriegsverbrechen begeht – da muss doch mehr dahinter sein, das kann nicht so leicht sein!
Putins Russland ist ein autoritäres System, in dem Widerstand nicht erst seit Kriegsbeginn mit Gefängnisstrafen oder Mordversuchen bestraft wird. In seiner eigenen Rede, mit der er die angebliche „militärische Spezialoperation“ einleitete, erklärt Putin sein verqueres Geschichtsbild, demzufolge die Ukraine immer russisch gewesen ist. Ist es wirklich ausgeschlossen, dass sich so eine Person vor einer liberalen Alternative an der eigenen Grenze fürchtet? Dieser Krieg ist keine Verschwörung oder Provokation – er ist ein Zeichen eines autoritär und nostalgisch motivierten Imperialismus.
Aber es geht in diesem Krieg um noch viel mehr. Denn gerade als kleines, neutrales Land ohne militärisches Bündnis sollte auch Österreich darauf hoffen, dass ein unprovozierter Angriffskrieg nicht ohne Konsequenzen passieren kann. In der Ukraine geht es nicht nur darum, ob sie ihren eigenen Weg bestimmen darf oder ob Putin demokratische Konkurrenz vor die eigene Haustür bekommt. Es geht auch darum, ob das regelbasierte internationale System funktioniert oder nicht. Hätten wir Putin gewähren lassen und nicht einmal bei den einfachsten Sanktionen mitgemacht, wäre das nur eine Bestätigung, dass international das Recht des Stärkeren gilt. Ein Szenario, das niemandem in Österreich gefallen sollte.
Die Ukraine kämpft für die Freiheit
Fakt ist: Russland wurde von der Ukraine nicht bedroht. Ein baldiger Beitritt in die EU oder NATO war nicht realistisch, und in einer Demokratie darf ein Volk sowohl demonstrieren als auch über sein eigenes Schicksal entscheiden. Putins Propaganda-Armee und ihre Freunde in Österreich probieren jede Geschichte aus, um Menschen zu überzeugen, dass es doch immer zwei Seiten gebe. Und in einem kleinen Land, das sich immer noch als „neutraler Brückenbauer“ in der Welt sehen will, stößt Putin damit reflexartig auf Zustimmung. Kann immerhin nicht sein, dass der Angreifer allein schuld am Angriff ist.
In diesem Krieg geht es nicht darum, dass zwei schlechte Optionen gegeneinander kämpfen. Es geht darum, dass ein Staat, der zwar nicht perfekt, aber zumindest westlich orientiert ist, um seine Existenz kämpft. Gegen einen Diktator, der nichts weniger brauchen kann als eine funktionierende Demokratie vor der Haustür.
Auch nach dem Krieg wird die Ukraine einen weiten Weg vor sich haben, um zum liberalen Musterstaat zu werden. Aber jeder Beweis, dass man gegen das sowjet-nostalgische Oligarchensystem Russlands etwas tun könnte, hat Putin zum Feind. Darum kämpft die Ukraine für die Freiheit – für die Freiheit, ihr Schicksal selbst zu bestimmen, aber auch für die Freiheit auf der ganzen Welt.