Wie liberal sind … Tiny Houses?
Wenn man einen halbwegs aktiven Social-Media-Konsum pflegt, kommt man nicht um diese Videos herum: Stolz präsentiert die junge Frau, die ältere Dame oder das junge Pärchen das neue Eigenheim – keine Mehrzimmerwohnung, sondern einen Wohnwagen oder Container mit 8 bis 15 Quadratmetern Grundfläche. In Wirklichkeit braucht man ja nicht mehr zum Leben, nicht wahr? Man muss sich nur auf das Wesentliche konzentrieren und sich zu helfen wissen. Sich von all ihrem alten Krempel zu trennen, war das Befreiendste, was die Person im Video je getan hat.
Wie praktisch und gleichzeitig gemütlich alles eingerichtet ist! Mit etwas Geschick und dem entsprechenden Werkzeug (das im Tiny House nur schwer Platz finden wird) ist das alles keine Hexerei. Das Bett ist platzsparend unter dem Dach untergebracht – sehr knapp unter dem Dach, was bedeutet, dass man im Schlafraum nicht aufrecht stehen kann und sich im Sommer die Hitze staut. Aber solange man jung und gesund ist, ist das ja kein Problem. Unter der Treppe, die zum Bett führt, verbirgt sich cleverer Stauraum. Die Miniküche ist voll funktionsfähig. Vier Teller und zwei Töpfe reichen völlig, nicht wahr?
Und wenn nicht, leiht man sich halt was von den Nachbarn – die zum Glück kein Tiny House bewohnen und daher genug Platz für Besitztümer haben, sodass sie etwas herborgen können. Das Mini-Bad hat eine kleine Dusche, in der man sich sogar umdrehen kann, was will man mehr? In einer smart in der Wand eingelassenen Nische finden drei bis fünf Bücher Platz. Und wenn man den kleinen Tisch ausklappt, kann man sogar zwei schlanke Gäste in den kleinen Raum quetschen.
Notwendig ist das aber meist nicht, schließlich spielt sich das eigentliche Leben ja auf der Terrasse/im Garten/in der großzügigen Gegend rundherum ab. Selbstverständlich ist in diesen Videos immer Sommer, oder das präsentierte Tiny House steht in Kalifornien. Immer sind die glücklichen Menschen gerade erst eingezogen.
Wohnungseigentum, das ist bekannt, ist für junge Menschen, die keine größere Erbschaft gemacht haben, immer schwieriger leistbar. Den Traum danach hegen aber nach wie vor viele von ihnen, angeblich ganze 49 Prozent. Es gäbe einige Hebel, an denen man ansetzen könnte, um Wohnraum leistbarer zu machen, ohne Minimalismus zum neuen Ideal zu erklären.
Denn das Minimalismus-Ideal spießt sich mit anderen Idealen unserer Zeit. Alles wegzuwerfen, was man nicht mehr unmittelbar braucht, und später neu zu kaufen, entspricht beispielsweise nicht der Nachhaltigkeits-Idee.
Wozu brauchen wir eigentlich Platz?
Es stimmt natürlich: Wir haben so viel Platz wie nie zuvor. Früher lebten große Familien in kleinen Wohnungen, oft noch ohne Badezimmer, mit Klo am Gang. Das ist heute in der Regel nicht mehr so. Doch wenn man sich das Wohnungsangebot in Ballungsräumen anschaut, muss man sich unweigerlich fragen, wo eigentlich die (leistbaren) familiengerechten Wohnungen sind. Wer auf Wohnungsplattformen sucht, weiß es: Vierzimmerwohnungen in Wien sind Mangelware.
Die Rückkehr zum Familienleben auf weniger Zimmern ist aber jedenfalls problematisch, denn seit der guten alten Zeit, als das üblich war, haben sich die Ansprüche an das Wohnen stark verändert, und das hat nicht nur mit Lifestyle-Entscheidungen zu tun. Homeoffice war früher zum Beispiel kein Thema. Und selbst wenn man nicht zu Hause arbeitet, kommt man heutzutage selten um einen Schreibtisch mit Computer herum. Da man Kleinkinder nicht gut herumkrabbeln lassen kann, wenn überall Computer und andere Elektrogeräte stehen, wäre ein eigenes Arbeitszimmer schon ganz praktisch.
Symbolbild, produziert mit Midjourney AI
Und die Kinder – die wir ja bekommen sollen, eh schon weniger und später als früher, aber irgendwann doch, denn wer soll unsere Pensionen bezahlen? – sollen nicht den ganzen Tag mit den Nachbargören die Gegend unsicher machen, sondern zu Hause an einem ergonomisch geformten Schreibtisch, idealerweise sogar mit Tageslicht, ihre Hausübung erledigen und sich dann mit pädagogisch wertvollen Spielen und Bastelarbeiten beschäftigen. Und wenn Eltern und Kinder ab einem gewissen Alter im selben Raum schlafen, ist das heutzutage nicht nur unschicklich, sondern auch rechtlich heikel – laut UN-Kinderrechtskonvention hat jedes Kind das Recht auf Privatsphäre.
Dass das Bedürfnis nach Wohnraum wächst, ist also eine ganz logische Folge unserer Lebensweise und unseres gestiegenen Lebensstandards. Es stimmt natürlich: Immer mehr Flächen für neuen Wohnraum zu versiegeln, ist keine Lösung, und smarte Einrichtungsideen für kleine Räume können unser aller Leben bereichern. Dennoch ist die ökologisch verträglichere Variante Verdichtung, nicht Zersiedelung, also mehr in die Höhe zu bauen, dafür weniger Grünraum für Straßen und Parkplätze zu opfern.
Dazu kommt, dass Wohnraum nicht smart verteilt ist: Während sich viele Familien auf kleinem Raum drängen, wohnen ältere Menschen oft allein in großen Wohnungen, weil sie sich eine kleinere nicht leisten können. Das Problem wird seit langem diskutiert, einige Ideen dazu wurden bereits verwirklicht, breitenwirksame Lösungen gibt es bisher aber nicht.
Die Rechtslage: Ein Graubereich
Doch selbst wenn man glaubt, auf 18 eigenen Quadratmetern die große Freiheit zu finden, scheitert es in Österreich und Deutschland oft an der Rechtslage. Erst einmal muss man einen Platz finden, an dem man so ein Tiny House aufstellen darf. Es gilt Bau- und Raumordnungsgesetze, Brandschutz-, Schallschutz- und Dämmvorschriften zu beachten, und das Ganze ist ein risikobehafteter Graubereich.
Auch für Schlechterverdiener ist das Tiny House keine Lösung, denn billig kommt es einen nicht. Zwar ist so ein Tiny-Eigenheim um unter 100.000 Euro zu haben, dazu kommen aber die meist maßgefertigte Ausstattung, Kosten für das Grundstück und diverse behördliche Genehmigungen.
Ist Minimalismus trotzdem die Lösung? Wenn schon nicht klein, aber mein, dann eben nur klein? Wenn schon kein Tiny-Eigenheim mit großem Garten, dann kann man doch auch eine kleine Mietwohnung smart und geschmackvoll einrichten und sich daran erfreuen, dass man gar nicht viele materielle Dinge zum Glücklichsein braucht? Es gibt jedenfalls auch Influencer:innen, die diesen Lebensstil propagieren, etwa die Mutter, die mit Mann und drei Kindern – angeblich glücklich – auf 40 Quadratmetern lebt. Wenn man das Ganze „Tiny Flat“ nennt, wird aus Wohnungsnot ein Lifestylekonzept. Oder den Multimillionär, der laut eigenen Angaben überhaupt nur 64 Dinge besitzt.
Macht weniger Besitz glücklicher? Ich bezweifle es. Aber die Gewissheit, sich jederzeit alles kaufen zu können, hilft sicher.