Wie liberal ist … Kündigen?
Ein Gespenst geht um in Europa und der westlichen Welt. Das Gespenst der Kündigung.
Seit Monaten hängen viele meiner Freund:innen in Jobs fest, die ihnen nicht mehr gefallen. Sie werden schlecht behandelt, das Arbeitsklima ist langweilig und wenig wertschätzend. Sie arbeiten mehr, ohne mehr zu verdienen, sind oft generell unterbezahlt oder haben nicht die Aufstiegsmöglichkeiten, die sie gerne hätten. Und auch, wenn sich nur wenige von ihnen die Diagnose abgeholt haben: Einige von ihnen hat das Burnout schon in ihren 20ern erwischt.
Was hat das alles mit „Wie liberal ist“, mit Politik zu tun? Erstens glaube ich, dass es eine politische Dimension der Frage gibt, welche Karriereentscheidungen junge – oder zumindest semi-junge – Menschen treffen. Und zweitens habe ich viel versucht, um ihnen ihre aktuellen Jobs auszureden, aber mit Liberalismus habe ich bisher noch nicht argumentiert. Das hier ist also nicht nur ein Text über Liberalismus und Wettbewerb, sondern eine Art kreativer Interventionsversuch.
Kündigen – eine politische Entscheidung
Wie junge Menschen ihre Karriere gestalten – oder semi-junge, wir reden hier von Mittzwanzigern bis frühen Dreißigern –, das ist auch eine politische Frage. Sie ist damit verbunden, ob es ein Aufstiegsversprechen gibt, das ihnen erlaubt, eine bessere Zukunft zu planen. Wie viel werde ich in Zukunft verdienen? Wird das Leben billiger oder teurer? Wenn wir Kinder wollen, könnten wir diesen Kindern etwas bieten? Wie sieht es mit Eigentum aus? Platzt die Immobilienblase dieses Jahr wirklich? All diese Fragen fließen in die Entscheidung mit ein, ob wir unsere Jobs verlassen, wenn sie uns ausbrennen.
Die Antwort auf diese Fragen ist momentan eher negativ. Die Immobilienpreise haben sich längst von der Entwicklung der Einkommen entkoppelt, wer eine Immobilie mit viel Platz in Wien sucht, ohne am schlecht angebundenen Stadtrand zu leben, zahlt leicht eine Million. Wo unsere Großväter noch als Alleinverdiener mit ungelernter Arbeit ein Haus abzahlen und eine Familie ernähren konnten, stehen bei uns Zukunftsängste. Und was, wenn sich der Unterschied zwischen Vollzeit und Teilzeit nicht auf meine Lebensqualität auswirkt? Was, wenn ich von dem, was ich machen will, nie den Lebensstandard erreichen könnte, den ich will? Und das sind nur die kurzfristigen wirtschaftlichen Probleme – von der tickenden Zeitbombe Klimawandel reden wir noch gar nicht.
Emotional verstehe ich komplett, wenn Karriere-Entscheidungen sich schwierig anfühlen, wenn man mit dieser Situation konfrontiert ist. Und trotzdem halte ich die Kündigung für das große Allheilmittel, um diesen Problemen zu begegnen. Und zwar nicht nur auf der individuellen, sondern auch auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene.
Warum du kündigen solltest
Fangen wir mit der persönlichen Ebene an – das holt die meisten in der Regel mehr ab als die politische Dimension. Wer mit seinem Job unzufrieden ist und einen neuen sucht, wird dann zufriedener sein, das leuchtet hoffentlich ein. „Aber was, wenn die nächste Stelle mich ausbeutet?“, fragt Eva (Name geändert), und ich erwidere: Was, wenn es das nicht tut? Das Risiko, im schlechten Job zu bleiben, ist 100 Prozent: Wer seit Jahren in einem Hamsterrad steckt, wird nicht mehr rauskommen, und die schlechten Charaktereigenschaften der Chefitäten verschwinden nicht über Nacht. Das Risiko für den nächsten Job ist geringer: Im schlimmsten Fall ist er auch schlecht, aber zumindest in einem neuen Umfeld, in dem man Grenzen etablieren kann. Die Statistik sagt: Bitte kündige, Eva.
Was ist, wenn die Branche an sich schlecht ist? Wir alle kennen verschriene Branchen, für viele Jüngere sind Medien eine davon. Wenn die Aussicht darauf, im nächsten Unternehmen wieder nur sehr viel zu arbeiten, um sehr wenig zu verdienen, nicht attraktiv ist, bleibt man, wo man ist, erzählt mir Christiane (Name geändert), und ich erwidere: Der Arbeitsmarkt ist im Wandel. Das Klischee der händeringend suchenden Unternehmen ist zwar ein Klischee, aber auch korrekt – Medienberichte erzählen davon, dass 4-Tage-Woche, Zeitausgleich, flexible Arbeitszeiten, eine sechste Urlaubswoche oder Fortbildungen mehr und mehr zu den Goodies gehören, die man ganz einfach braucht, um Personal zu finden. Mal abgesehen davon, dass basic human decency nicht mehr optional ist, wenn man Personal sucht. Aber dafür muss man den Schritt auch machen. Die Branche schreit: Bitte kündige, Christiane.
Aber ich fühle mich doch verantwortlich für mein Team, sagt Sabrina (Name von der Redaktion geändert), und ich erwidere: Das ist ehrenhaft, aber keine Einladung, deine mentale Gesundheit schon so früh wegzuschmeißen. Wer Personalverantwortung hat, kann daran arbeiten, etwas zu verbessern, aber wenn von oben dauerhaft keine Unterstützung kommt, sollte man einen Schlussstrich ziehen. Und dafür muss man nicht wie sie eine junge Führungskraft mit vielen Optionen sein – man kann auch ganz einfach gut qualifiziert sein. Gerade in Zeiten des Fach- und Arbeitskräftemangels, der längst nicht mehr auf die Industrie beschränkt ist, wäre es hoch an der Zeit, diesen Leverage auszunutzen. Wer etwas kann, wird etwas finden, wer eine Stelle sucht, findet zehn offene. Der Arbeitsmarkt sagt: Bitte kündige, Sabrina.
Der Liberalismus in der Kündigung
All das sind individuelle Argumente für individuelle Situationen. Dabei ist das generelle Argument für das Kündigen ganz leicht: Wenn der Deal zwischen Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen funktioniert, sollte man bleiben, wenn nicht, sollte man darüber reden, und wenn es dauerhaft nicht funktioniert, sollte man gehen. Ich weiß nicht, was sich Madeleine davon erhofft, in einem Job zu bleiben, der sie offensichtlich nicht glücklich macht – aber ich kann ihr nur immer wieder raten, diese Gleichung aufzustellen und keine Zeit zu verlieren.
Und damit kommen wir zum versteckten Liberalismus, der in jeder einzelnen Kündigung steckt: Liberalismus bedeutet Wettbewerb. Wer zu hohe Preise hat, wird Probleme bekommen – aber nur, wenn es genug Alternativen gibt, um die niedrigeren Preise einzufordern. Und genauso ist es am Arbeitsmarkt: Unternehmen haben nur einen Anreiz, sich zu verbessern, wenn sie für gutes Verhalten belohnt und für schlechtes bestraft werden. Wer also bleibt, obwohl die Chefetage ihn schlecht behandelt und keine Änderung in Aussicht stellt, macht sich nicht nur selbst das Leben schwer. Man verzichtet dadurch auch darauf, ein Marktsignal zu schicken: Wer so arbeitet, wird ein Problem bekommen.
Würden alle Menschen kündigen, die mit ihren Jobs unzufrieden sind, wäre das ein Riesenproblem für den Arbeitsmarkt. Und dieser Text soll nicht dazu einladen, das „Feindbild“ Unternehmer:innen zu schüren – die allermeisten werden sich Mühe geben, und niemand redet über die vielen guten Chef:innen, die ihre Unternehmen auch laufend verbessern. Aber auf der liberalen Ebene, die davon ausgeht, dass Individuen und Unternehmen rationale Entscheidungen treffen, wäre das ein deutliches Marktsignal, dass sich Unternehmen von ihrer schlechten Leitung trennen oder sich ändern müssen. Wer kündigt, zwingt Firmen dazu, in einen Wettbewerb um die eigene Arbeitszeit, das eigene Talent, die eigenen Ideen zu treten und sich dadurch von der besten Seite zu präsentieren. Und heizt nebenbei den Trend an, dass sich der Arbeitsmarkt auf neue Ansprüche und eine moderne, wertschätzende Arbeitsweise einstellen muss – Kündigung für Kündigung.
Darum tut es mir leid, wenn ich Eva, Christiane, Sabrina und Madeleine sehe, wenn sie über ihre Jobs reden. Denn eigentlich wäre die Lösung für alle klar: Niemand müsste sich vor der Langzeitarbeitslosigkeit fürchten, das Worst-Case-Szenario wäre nur, dass die Situation gleich bleibt. Es würde ihnen nicht nur deutlich besser gehen – es wäre auch ein kleiner Dienst für den Liberalismus.