Wie liberal ist … Star Trek?
„Space: The Final Frontier …“
Mit diesen Worten beginnt der Vorspann der US-amerikanischen Science-Fiction-Serie Star Trek, deren erste Folge 1966 ausgestrahlt wurde. Was als kleines Projekt begann, das nach drei Staffeln wegen zu wenig Erfolgs eingestellt wurde, wuchs seit dem zu einem Fernseh-, Kino-, Streaming-, Buch- und Fanartikel-Franchise an, das rund 10 Milliarden Dollar Gewinn gemacht hat. Doch was noch wichtiger ist: Star Trek ist mit seinen Charakteren und seinen Ideen zu einem enorm einflussreichen Teil der Popkultur geworden – und Star Trek ist in seinen Idealen liberal und progressiv.
Star Trek war von Anfang an als Spiegel für aktuelle gesellschaftliche und politische Debatten gedacht – verpackt in Raumschiffe, die Milchstraßen-weite Planetenföderation, Warp-Antrieb und außerirdische Völker. Und genau weil die Serien und Kinofilme eine Lupe sind, durch die Konfliktlinien in der Gesellschaft deutlich gemacht werden, ist es bemerkenswert, wie klar sich dieses Franchise immer auf Fortschritt, Menschlichkeit, Rechtsstaatlichkeit und Respekt berufen hat – gerade wenn diese Ideale in den Geschichten unter Druck geraten. Es ist deshalb wenig überraschend, dass Star Trek mitten im Vietnam-Krieg und der aufstrebenden Jugendkultur geboren wurde.
Vietnam in Space
Der Drehbuchautor Gene Roddenberry entwickelte ab 1964 die Idee eines Westerns, der im Weltraum spielen sollte. Die Idee des Lebens am Rande des Bekannten, fernab von starken staatlichen Strukturen, so wie im Wilden Westen der USA im 19. Jahrhundert, sollte als Spielfläche für Abenteuer einer Entdeckungsmission dienen und gleichzeitig aktuelle Themen reflektieren. Da sein Projekt, dessen Name sich von den „Wagon Trails“ der Pionier:innen im Wilden Westen ableitet, in der Zukunft spielte, konnte er die Regierung, die diese Entdeckungsmission entsandt hatte, mit allen Prinzipien und Wünschen für eine fortschrittliche Gesellschaft ausstatten. Daraus wurde Star Trek, das 1966 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde:
„By creating a new world with new rules, I could make statements about sex, religion, Vietnam, politics, and intercontinental missiles. Indeed, we did make them on Star Trek: we were sending messages and fortunately they all got by the network.“
Roddenbery war während der Entwicklung der ersten Serie massiv von der öffentlichen Debatte über den Vietnam-Krieg beeinflusst. Das Vertrauen in die Regierung war am Boden, auch nach der Einführung einer verpflichtenden Musterung für den Krieg. Gleichzeitig wurden Themen wie die Gleichstellung der Geschlechter und die Bürgerrechtsbewegung der Afro-Amerikaner:innen immer größer. Für den überzeugten Humanisten und Linken Roddenbery konnten diese Themen in einer fiktiven Zukunft als gelöst dargestellt werden, ein positives Bild, wie eine Gesellschaft aussehen und mit Problemen umgehen könnte, wenn die aktuellen Herausforderungen im Sinne des Humanismus überwunden werden könnten. Star Trek war für ihn eine positive Utopie, die Hoffnung gibt.
Aus dieser ersten Serie, The Original Series (TOS), stammt auch die in der Einleitung erwähnte Handlung, die eine klar erkennbare Parallele des Vietnam-Kriegs als Stellvertreterkrieg zweier Großmächte ist. In der Episode warnt der Schiffsarzt Dr. „Bones“ McCoy Captain Kirk vor den Folgen dieser Aufrüstung – und er erwähnt den Vietnam-Krieg sogar als „historisches Beispiel“ sogar .
United Federation of Planets: Die Gesellschaft, die wir haben können
Hauptfokus von Star Trek ist die United Federation of Planets, die Union unterschiedlicher Planeten in der Milchstraße, deren zentrale Regierung auf der Erde in Paris sitzt. Roddenberry konstruierte diese Föderation als eine Art galaktische UNO – der militärische Arm der Föderation, Starfleet, hat seinen Sitz in San Francisco, eine Anspielung an die Gründungskonferenz der UNO, die ebendort im April 1945 abgehalten wurde. Diese Föderation ist, ganz im Sinne von Roddenberry, eine demokratische, rechtsstaatliche Institution, die auf den Prinzipien Toleranz, Menschlichkeit und Fortschritt beruht.
Einige Beispiele wurden im Laufe der verschiedenen Serien und Filme erwähnt: Gesellschaften, die ein Kasten-System haben, können nicht Mitglied der Föderation werden, auch Diskriminierung einzelner Bevölkerungsgruppen sind ein Ablehnungsgrund. Grundsätzlich ist Geld in der Föderation abgeschafft, die Bürger:innen verfolgen ihre eigenen Interessen und Talente und sollen die Gesellschaft damit weiterbringen. Tiere werden nicht mehr geschlachtet, die Erfindung von Replikatoren, die Essen aus Energie produzieren können, haben auch den Hunger abgeschafft.
Eine der Kernpunkte dieser Zukunft ist die Überzeugung, dass Diversität, das respektvolle Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen (in diesem Fall von verschiedenen Planeten), ein ungemeiner Vorteil für alle ist. „Diversity contains as many treasures as those waiting for us on other worlds. We will find it impossible to fear diversity and to enter the future at the same time“, schrieb Roddenberry Jahre nach der Erstausstrahlung. TOS setzte Maßstäbe mit der diversen Brücken-Crew der USS Enterprise: Eine schwarze Kommunikationsoffizierin, ein japanischer Navigator und ein Russe – zu Zeiten des Kalten Kriegs waren das Meilensteine der Repräsentanz. In der nächsten Serie, The next Generation (TNG), war ein Brückenmitglied ein Klingone, eine Kultur, die in TOS noch im Krieg mit der Föderation stand – und in der ersten Serie klar als ein Gleichnis auf die Sowjetunion kodiert war.
Vor allem Rassismus und die Gleichstellung von Frau und Mann wurden immer wieder thematisiert, ohne dabei mit dem moralischen Zeigefinger zu arbeiten. Allerdings dauerte es bis in die 1990er Jahre, bis zur dritten Serie, Deep Space Nine (DS9), bis es einen schwarzen Kapitän als Hauptdarsteller gab. Mit Captain Benjamin Sisko wurde klar gezeigt, wie weit der Weg für die Gesellschaft noch ist. In der nächsten Serie, Voyager, führte Captain Kathryn Janeway als erste Frau eine Raumschiffsbesatzung. Weder bei Sisko noch bei Janeway wurden ihre Hautfarbe oder ihr Geschlecht thematisiert, sondern wofür sie als Vertreter:innen der Werte der Föderation standen. Geschichte schrieb auch TOS in diesem Bereich mit einem der ersten TV-Küsse zwischen einem Weißen und einer Schwarzen in den 1960ern. Und das erst wenige Jahre, nachdem die Rassentrennung in den US-Südstaaten gesetzlich aufgehoben wurde.
Und auch nach der Jahrtausendwende, als Star Trek nach den Filmen von J.J. Abrams wieder Serien produzierte, reflektierte man aktuelle Entwicklungen der Gesellschaft. Discovery, die erste Serie nach den Abrams-Filmen, die 2017 startete, lieferte die erste asiatische Kapitänin und eine schwarze Hauptdarstellerin. Debatten über Transmenschen, das Selbstbestimmungsrecht von Personen und die Folgen von übermäßigem Ressourcenabbau wurden nun während der Reisen durch den Weltraum thematisiert.
Utopie ohne Naivität
Ein Terrorist soll nach einem tödlichen Anschlag mit bisher geheim gehaltenen Langstreckenwaffen ohne Prozess eliminiert werden – und das noch auf dem Territorium eines anderen Staats, ohne dass dessen Regierung davon informiert wird. Der Kapitän des Flaggschiffs einer militärischen Großmacht will eine Seite eines Bürgerkriegs mit modernen Waffen ausstatten, um gegen die anderen bestehen zu können, die ihrerseits von einer anderen Großmacht militärisch unterstützt werden. In einem blutigen Krieg gegen eine militärische Übermacht wird aus Verzweiflung ein Diplomat einer bisher neutral zum Konflikt stehenden Nation umgebracht – und so dargestellt, als ob das die andere Kriegspartei getan hätte, um den neutralen Staat auf der „richtigen Seite“ in den Krieg eintreten zu lassen.
Das sind keine Verweise auf die Geschichte der Menschheit. Das sind drei Beispiele von Handlungen, die in den verschiedenen Serien und Filmen des Star-Trek-Franchise behandelt werden. Denn so sehr Roddenberry und seine Nachfolger:innen auch die positive Utopie Star Treks darlegen wollten, schreckten sie auch nie davor zurück zu zeigen, wie leicht „gute“ Institution wie die Föderation und die Sternenflotte korrumpiert werden können, sowohl durch Druck von außen als auch durch Machtbesessenheit oder Ignoranz von innen.
In den drei oben beschriebenen Beispielen reflektierte Star Trek Drohnenangriffe im War on Terror nach 9/11, Stellvertreterkriege des Kalten Kriegs und False Flag Operations. Ein weiteres Beispiel für die nicht immer saubere Weste der Föderation ist die sogenannte Sektion 31, eine geheime Abteilung der Sternenflotte, die keiner rechtsstaatlichen Kontrolle unterliegt und hinter den Kulissen fragwürdige, den Werten der Federation nicht entsprechende Aktionen durchführt oder Technologien wie Biowaffen entwickelt.
Star Trek zeigt die Mühen einer komplexen Gesellschaft, ihren Zielen und Werten zu entsprechen, in allen Facetten. Die Grautöne vertiefen die Geschichten und machen deutlich, dass das Festhalten an Werten ein dauerndes Abwägen und Bemühen ist – das am Ende aber notwendig ist, wenn man die moralische Richtschnur einer Gesellschaft (oder eines multiplanetaren Bündnisses) nicht verlieren will.
Die Zukunft, die wir wollen
In der Galaxis von Star Trek wird die Föderation nach dem Dritten Weltkrieg auf der Erde aus den Ruinen der alten Zeit heraus gegründet – im Jahr 2161. Nur durch die fast vollständige Auslöschung der Menschheit durch diesen Nuklearkrieg und den Kontakt mit der aufgeklärten Kultur der Vulkanier:innen (zu denen Mr. Spock gehört), lernt die Menschheit, dass ein neuer Weg beschritten werden muss. Wir haben noch ein wenig Zeit, bis unsere Gesellschaft an diesem fiktiven Gründungsdatum ankommt. Bis dahin sollten die Lektionen dieser optimistischen, aber niemals naiven Institution der Popkultur gehört werden.
Mit dem Worten von Mr. Spock: Live long and prosper 🖖