Wie liberal sind … Waffenlieferungen?
Durch den Ukraine-Krieg, der uns seit einem Jahr beschäftigt, müssen sich europäische Staaten wieder mit ihrer internationalen Rolle beschäftigen. Und zwar stärker als Österreich, das in der Regel die Außenpolitik als Werkzeug der Innenpolitik sieht.
Dadurch kommt auch die Frage auf, wie weit man sich in den Ukraine-Krieg involvieren soll. Einen Kriegseintritt will niemand riskieren – zu groß wäre das Risiko eines Dritten Weltkriegs, noch dazu mit einer Atommacht. Aber wie sieht es mit den Waffenlieferungen aus? Wäre das nicht auch abzulehnen, und sollten Liberale nicht immer auf der Seite des Friedens sein, statt Waffen zu sponsern?
Eigentlich spricht aus liberaler Sicht viel für Pazifismus. Liberale sind gegen Freiheitseinschränkungen, und welche wäre größer, als sein Leben geben zu müssen? Im Krieg werden Menschenrechte verletzt, durch das Kriegsrecht Bürgerrechte eingeschränkt, durch Waffen und Waffenlieferungen wird der Dialog ersetzt. All das klingt nach einer liberalen Horrorvision – Konflikte friedlich zu lösen, klingt wiederum wie die logischste aller Ideen. Wer könnte schon dagegen sein, Gewalt zu vermeiden?
Pazifismus klingt in der Theorie gut. In der Wissenschaft der Internationalen Beziehungen sind die Begriffe Liberalismus und Idealismus oft stark verbunden – immerhin ist die Weltsicht, mit der sich Staaten und andere Akteure durch Dialog auf Lösungen einigen, eine sehr idealistisch gedachte. Durch Verhandlungen und die richtigen Institutionen können Konflikte demnach beseitigt werden, ohne sinnlose Waffengewalt zu gebrauchen, die niemand wollen würde.
Aber für Pazifismus braucht es zwei dialogbereite Partner. In der Praxis zeigt der Ukraine-Krieg, dass Russland das Gegenteil betreibt: Zuerst startet es einen unprovozierten Angriffskrieg, danach täuscht es „Dialogbereitschaft“ vor und verlangt „nur“ – hier wird Entgegenkommen signalisiert – einen kleinen Teil des Territoriums, das illegal angegriffen wurde.
Hier kommt der Gegenpunkt zum Idealismus ins Spiel: der Realismus. Diese Theorie besagt, dass das internationale System eine Anarchie ist, mit Staaten als zentrale Akteure. In diesem anarchischen System gilt das Recht der Stärkeren – statt um die richtigen Institutionen geht es also um die größten Armeen und um Informationen, Ausrüstung und Interessen.
Interessanterweise stößt der Realismus immer dann auf besonderes Interesse, wenn Krieg ausbricht. Denn erst, wenn alles andere gescheitert ist, interessieren sich die Menschen wieder für Waffen und Kriegsstrategien statt für Institutionen und Verträge. Auch Putins Krieg hat in Europa für ein Comeback der Geopolitik gesorgt: Während man sich vorher auf den Standpunkt zurückgezogen hatte, dass der Energiehandel zu lukrativ wäre, beschäftigt man sich heute damit, wo russische und ukrainische Stellungen Erfolge erzielen. Man fühlt sich, als würde man in der Geschichte um Jahrzehnte zurückversetzt.
Der Realismus liefert auch das zentrale Argument für Waffenlieferungen: Wenn alle Stricke reißen, hilft Diplomatie alleine nicht mehr. Das Beispiel des Ukraine-Kriegs zeigt das fast lehrbuchartig. Ohne die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und die Sanktionen gegen Russland, die Putins Kriegswirtschaft dramatisch schwächen, wäre die Ukraine nicht in der Lage, sich zu verteidigen. Die Folge wäre, dass die Ukraine fallen und Russland daraus die Lehre ziehen würde, dass Angriffskriege zum Erfolg führen. Staaten wie Georgien und Kasachstan an der eigenen Grenze, aber vielleicht sogar EU-Mitglieder wie Polen oder die baltischen Staaten könnten die Nächsten sein.
Wenn man es ganz allgemein sehen will – und das ist nicht nur im Ukraine-Krieg wahr –, dann können Waffen auch Menschenleben schützen. Gerade im Kriegsfall, wenn alle individuellen Freiheiten und Menschenrechte bedroht sind, kann sich jeder Einzelne, aber auch ein gesamtes Volk eben nur mit Waffen gegen einen unterdrückenden Aggressor wehren. Das soll kein Persilschein sein, der Waffengewalt an sich rechtfertigt. Es ist eher eine traurige Wahrheit, dass Gewalt immer die „Ultima ratio“ ist – ob uns das aus idealistischer Sicht gefällt oder nicht.
Auch wenn es in der Theorie schön wäre, Freiheitseinschränkungen und Unrecht durch Dialog zu verhindern – wenn man es mit einem illiberalen Gegner wie Putin zu tun hat, müssen Werte wie Demokratie und Freiheit notfalls auch mit Waffengewalt verteidigt werden. Tut man das nicht, schafft man nur einen Präzedenzfall für Tyrannen: Wer einmarschiert, wird nicht bestraft und kann weiterhin Unrecht begehen.
Natürlich sollte alles getan werden, um Kriegsausbrüche im Vorfeld zu verhindern, und Institutionen, Handel und Verträge sind wichtige Mittel dafür. Trotzdem sind Waffenlieferungen auch aus liberaler Sicht nicht grundsätzlich abzulehnen. Im Kriegsfall spricht sogar einiges für sie.