„Wir koalieren nicht mit Kickl“, sagt Ex-Kickl-Koalitionspartner
Angefangen hat das Sommergespräch mit einer überraschenden Ansage. Karl Nehammer, Chef einer Partei, die seit 36 Jahren in der Regierung ist, will bei der Kinderbetreuung etwas tun. Beim Ausbau wird gerade in ÖVP-dominierten Ländern gebremst – und durch die zahlreichen Krisen der letzten Jahre wurde das Thema noch mehr verschlafen als sonst.
Man darf gespannt sein, ob die Regierung im Klimaschutz, bei der Kinderbetreuung oder beim Informationsfreiheitsgesetz wirklich noch etwas weiterkriegt, es wäre wünschenswert. Aber mit einer Aussage liegt Nehammer ohne jeden Zweifel falsch. Und zwar, wenn es um seine rhetorische Abgrenzung zu Herbert Kickl geht. Auf die Frage von Moderatorin Susanne Schnabl, ob Herbert Kickl ein „rotes Tuch“ sei, sagt Karl Nehammer:
„Es muss die FPÖ entscheiden, in welche Richtung sie geht. Sie hat 2019 entschieden, für Herbert Kickl die Regierung zu verlassen. Seitdem ist die Volkspartei die einzige glaubhafte Partei, die nie mit Herbert Kickl zusammengearbeitet hat.“
Eine lustige Behauptung. Denn was war vor 2019? Die einzige Koalition, in der Herbert Kickl jemals in einer Regierung war – getragen durch die ÖVP.
Und gerade Karl Nehammer ist der Letzte, der diese Behauptung aufstellen kann: Er war immerhin Generalsekretär der ÖVP in einer Zeit, in der seine Partei genau diesen Herbert Kickl zum Innenminister gemacht hatte. Und damit ist seine Partei die einzige, die im wahrsten Sinne des Wortes mit Herbert Kickl zusammengearbeitet hat.
Was Nehammer als „Zusammenarbeit mit Kickl“ sieht
Worauf sich Nehammer bezieht, ist die parlamentarische Zusammenarbeit anderer Parteien mit der FPÖ, etwa beim Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz als Bundeskanzler. Dass der ÖVP nicht gefällt, dass das Parlament dieses Recht gegen ihre Regierung nutzt, ist nachvollziehbar, aber daran, dass Parteien im Parlament zusammenarbeiten, ist nichts auszusetzen. Und wenn es um Koalitionen geht, haben drei Parteien – NEOS, die Grünen und die SPÖ – eine Koalition mit der FPÖ ausgeschlossen. (Wobei die SPÖ diese Linie im Burgenland schon einmal ignoriert hat.)
De facto dominiert im Parlament ohnehin der Klubzwang: Die Abgeordneten der Regierungsparteien stimmen geeint für die Gesetze, die ihre Parteifreund:innen in den Ministerien ausgearbeitet haben. Dabei wird zwar oft angemerkt, dass mehr Gesetze als früher durch Initiativanträge, also „aus dem Parlament heraus“ eingebracht werden – dabei geht es aber eher darum, die Begutachtung zu vermeiden, durch die alle möglichen Institutionen, aber auch Privatpersonen ihr Feedback einbringen können.
In einem echten Arbeitsparlament, wie es andere Länder schon haben, wäre der Vorwurf, mit anderen Parteien zusammenzuarbeiten, offenkundig lächerlich. Aber Karl Nehammer scheint sich wirklich daran zu stören und einen Sündenfall darin zu sehen, im Nationalrat eine Mehrheit gefunden zu haben, die gegen die ÖVP handeln kann.
Was Nehammer nicht als „Zusammenarbeit mit Kickl“ sieht
Dabei hat auch die ÖVP im Parlament bereits mit der FPÖ zusammengearbeitet. Und zwar in der Konstellation, in der Nehammer parlamentarische Mehrheiten ernst nimmt: in einer Regierungskoalition.
Herbert Kickl wurde Innenminister, weil ihn die ÖVP dazu gemacht hat. Karl Nehammer war währenddessen in einer Führungsposition und hat seinen Kurs mitgetragen. Öffentlich dankte er seinem Regierungskollegen für das „Engagement“. Nach den Hausdurchsuchungen im BVT durch Kickl – heute der Hauptkritikpunkt der Volkspartei am FPÖ-Chef – ließ Nehammer über eine Presseaussendung wissen:
„Das Vorgehen von Innenminister Herbert Kickl war selbstverständlich mit der neuen Volkspartei abgestimmt und akkordiert. Die Volkspartei übt daher hier keine Kritik am Innenminister.“
Karl Nehammer
Nicht nur das: Karl Nehammer war auch im gleichen Bereich tätig wie Innenminister Kickl. Während der Regierungsverhandlungen über das Koalitionsprogramm der türkis-blauen Regierung war er zusammen mit Wolfang Sobotka und Karl Mahrer für die Fachgruppe „Innere Sicherheit“ zuständig. Heute nennen Nehammer und seine Parteifreunde Kickl ein „Sicherheitsrisiko“ – damals war er intensiv eingebunden, als es um die Zusammenarbeit mit Kickl im sicherheitspolitischen Bereich ging.
Abgrenzungsversuch ist unglaubwürdig
Wenn Karl Nehammer behauptet, dass nur die ÖVP glaubwürdig gegen Kickl sei, ist Lüge also ein verharmlosendes Wort. Die Volkspartei ist die einzige Partei, die Herbert Kickl regieren ließ, und daran war ihr damaliger Generalsekretär Karl Nehammer wortreich beteiligt. Sich jetzt davon zu distanzieren, mag zwar für Schlagzeilen sorgen – immerhin ist die Sorge einer neuen türkis-blauen Koalition in der Bevölkerung groß.
Darauf sollte man jedoch nicht reinfallen. Denn nächstes Mal drohen laut Umfragen umgekehrte Vorzeichen: Die FPÖ könnte stärkste Partei werden, Karl Nehammer liegt je nach Sonntagsfrage teilweise auf dem dritten Platz. Wenn er ankündigt, in einer Regierung mit Beteiligung von Herbert Kickl nicht einmal als Minister zur Verfügung zu stehen, ist das also keine Abgrenzung – sondern eine Ankündigung zurückzutreten, wenn seine Partei dann doch wieder mit den Freiheitlichen regieren will. Wie in Niederösterreich, Oberösterreich und Salzburg.