Wut auf Klimaaktivist:innen – OK, Boomer
„Haft für Klimakleber:innen“, so oder ähnlich klingen aktuell die Reaktionen der politisch Rechten auf die Protestaktionen der Klimaschutz-Aktivist:innen in Österreich. Klebe-Aktionen, beschmierte Schutzgläser vor Gemälden in Museen, Straßensperren, auch das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker hätte als Bühne genutzt werden sollen. Den Protestierenden schlagen vonseiten jener, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten etwas gegen den Klimawandel tun hätten können, enorme Wut und Straffantasien entgegen. Als ob da schlechtes Gewissen, das Gefühl, ertappt worden zu sein, mitschwingt.
„We are digging our own graves“, so beschrieb UNO-Generalsekretär António Guterres das aktuelle Vorgehen der Menschheit in Bezug auf die Klimakrise 2021 anlässlich der damaligen Weltklimakonferenz in Glasgow. Sir David Attenborough, der große Klima- und Naturschützer der englischsprachigen Welt, versuchte dort hoffnungsvoller zu sein, doch seine Verzweiflung war deutlich hörbar:
„In my lifetime, I have witnessed a terrible decline. In yours, you could and should witness a wonderful recovery. That desperate hope, ladies and gentlemen, delegates, excellencies, is why the world is looking to you – and why you are here.“
Der NASA-Klimawissenschaftler Peter Kalmus erlangte im Frühling 2022 Bekanntheit, als er bei einer Demonstration gegen klimaschädliches Vorgehen teilnahm. Am 6. April fesselte er sich gemeinsam mit anderen Wissenschaftler:innen an die Eingangstüren der US-Bank JP Morgan Chase in Los Angeles, weil diese neue fossile Projekte finanziert. Die Verhaftung nahm er in Kauf. „Ich bin bereit, ein Risiko für diesen großartigen Planeten einzugehen.“ Bei den Worten, er tue das für seine beiden Söhne, brach ihm die Stimme.
Expert:innen unterstützen den Klimaprotest
Die Fakten sind bekannt, das haben wir auch auf Materie in zahlreichen Artikeln bereits dargelegt. Dass die Situation dramatisch ist, zeigen nicht zuletzt die Solidaritätsbekundungen und Aktionen von Expert:innen, 40 Klimawissenschaftler:innen im Zuge der Klimaproteste in Wien in der Woche ab 9. Jänner 2023. Ihr Appell richtet sich dabei klar an die Verantwortungsträger:innen, die endlich verstehen sollen, wie dringend konsequenter Klimaschutz notwendig ist, wenn massive Folgen noch verhindert werden sollen.
Alleine, die Botschaft scheint – noch – kein Gehör zu finden. Vonseiten der Regierenden werden diese Aktionen lieber als überzogen, gefährdend oder gar kriminell dargestellt, mit wohligem Grausen werden Bedrohungen von Besitz und Menschenleben heraufbeschworen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung findet nicht statt. Viel lieber empört sich über jede kleinste Grenzüberschreitung. Es wird lieber tumb auf Recht und Ordnung gepocht und innenpolitisches Kleingeld gewechselt – schließlich stehen 2023 ja drei Landtagswahlen an.
Die Geschichte wiederholt sich als Farce
Anscheinend haben die bremsenden Kräfte, die darauf pochen, dass es immer schon so war, nichts aus der Geschichte gelernt. Sozialer Wandel wird zuerst in sich ändernden Zeiten von den direkt Betroffenen begonnen, bevor immer mehr Teile der Bevölkerung umschwenken. Die Demonstrationen der Suffragetten für das Frauenwahlrecht im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert oder der Kampf Schwarzer Aktivist:innen der Bürger:innenrechtsbewegung in den USA ab den 1950ern für das Ende der Diskriminierung der Afroamerikaner:innen wurden mit ebensolcher Vehemenz abgelehnt wie heute die Klimaaktivist:innen. Doch je mehr die Entscheidungsträger:innen versuchten, diese Bewegungen zu unterdrücken, umso mehr identifizierte sich die breite Bevölkerung mit diesen „Underdogs“.
Es bleibt die Frage: Wiederholt sich die Geschichte als Farce? Oder haben die Babyboomer gelernt?
Das schlechte Gewissen der Ertappten
Das Wissen über den Klimawandel ist kein neues Phänomen. Das oft referenzierte Kyoto-Protokoll, das für die unterzeichnenden Staaten konkrete CO2-Einsparungsziele festlegte, wurde 1997 verabschiedet, auf Grundlage von damals schon bekannten Fakten. Seit damals sind 26 Jahre vergangen, in denen die Durchschnittstemperatur langsam, aber stetig anstieg, in denen die Folgen eines sich immer mehr aufheizenden Weltklimas immer deutlicher wurden. Getan wurde freilich wenig. In Österreich betrug der Treibhausgas-Ausstoß 2020 73,6 Tonnen, 1990 waren es 78,4 Tonnen, eine wesentliche Trendwende sieht anders aus. Umso unverständlicher sind dann die überschießenden Reaktionen jener in Politik und Gesellschaft, die in diesen Jahren kollektiv nichts für den Klimaschutz getan haben.
Es wirkt fast so, als ob Ertappte hier wegen ihres schlechten Gewissens überreagieren und zurückschießen. Kann es sein, dass zu viele Babyboomer, die die letzten Jahrzehnte an der Macht und die gesellschaftlich dominierende Generation waren, ihren Einfluss schwinden sehen und nicht mit der Frage „Was habt ihr getan?“ zurecht kommen, die von den nachrückenden Generationen immer verzweifelter gestellt wird? Würde man jetzt auf die Warnungen und Inhalte der Klimaaktivist:innen hören, müsste man aber eingestehen, dass man Zeit vergeudet hat, und ehrlich gemeinte Schuldeingeständnisse sind in der Politik selten.
Es liegt an uns, auf allen Ebenen Entscheidungen zu treffen, die die kurze verbleibende Zeit zum Handeln nutzen. Seien es Wahlen, das persönliche Handeln oder die Unterstützung von entsprechenden NGOs. Das demaskierende Wüten mancher gegen jene, die ihre Zukunft bedroht sehen, ist keine Antwort.